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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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trieben wird. Es reicht nicht mehr hin, das Fleisch zur Schau zu stellen;
die Malerschule stutzt es mit Blumen und Bändern auf; die bloße Wollust
ist für den blasirten Geschmack des Jahrhunderts nicht mehr pikant ge¬
nug; durch Würzen muß man dem faden Geschmack der Speisen nach¬
helfen; man vergoldet das Gold, man verduftet die Rose. Die franzö¬
sische Malerei, die sich gern ganz in der Wirklichkeit hält, legt der Venus
Roth auf, bestreut Juno mit Puder, verleiht Minerven Reifröcke, und
ftisirt Jupiters königliches Haupt. Auf allen Gemälden dieser erotischen
Zeit, sind die Götter, die Menschen und Thiere in einander verliebt, die
Bäume girren und die Steine seufzen. Die ganze Schöpfung ist geschminkt
und zärtlich entflammt wie der Hos von Versailles^--In Watteau's Ge¬
folge kommen Boucher, Lancret, die beiden Moreau, Fragonard,
welche die lüsterne und zärtliche Malerei betreiben; sie bieten alles auf,
um die üppigen Bilder des jüngeren Crebillon und die bebisamten
Fadheiten Dorctts zu übertreffen. Vergebens bemüheten sich zwei Männer
diesen beklagenswerthen Verfall aufzuhalten; es waren: Van Loo und
Lemoine. Van Loo, ein geborner Flamänder, hat alle seine Kraft
Angestrengt, um in die französische Schule etwas vom Styl der Nubens-
schen Kunst einzuführen. Lemoine, unverstanden und entmuthigt, entleibt
sich durch sieben Degenstiche, indem, er in der römischen Geschichte das
LebensendeCatoö liest; von seinem Talente zeugt die bewundernswürdige
Kuppel von Se. Sulpitius und der große Plafond zu Versailles, zwei
Meisterwerke, welche jenes Zeitalter nicht zu verstehen fähig war. --
Demnach blieb Watteau Herr des Feldes.

Der französische Uttgeschmack hatte der flamändischen Malerei alle
Farbe ausgesogen; er brachte sie allgemach zu völliger Entartung. Die
Trümmer unserer vaterländischen Schule hatten nicht mehr Halt genug, um
diesem Eindringen der fremden Art zu widerstehen. Seit den Zeiten Ludwigs
XlV. sah man Jederman der im Kopf und Herzen sich eine Kraft regen
fühlte, ins Ausland gehen, um die Hülfsquellen zu suchen, welche das
Vaterland nicht mehr darbot. So hatte sich Van der Meuten dem
großen Könige angeschlossen, um seine Schlachten zu malen, besser als
Boileau sie besang. Philipp von Champagne war Genosse der Weisen
des Port-Royal und erfüllte mit seinen correcten und strengen Gemälden
die Kirchen und die Palläste. Van Schuppen und Edelinck waren
dem Rufe Colberts gefolgt, und brachten in Frankreich die Kunst des
Bildxrstichs zu ihrer höchsten Blüthe. Nicolaus.Vlenghels hatte
in Rom die Direktion der französischen Akademie übernommen, und Ge-


trieben wird. Es reicht nicht mehr hin, das Fleisch zur Schau zu stellen;
die Malerschule stutzt es mit Blumen und Bändern auf; die bloße Wollust
ist für den blasirten Geschmack des Jahrhunderts nicht mehr pikant ge¬
nug; durch Würzen muß man dem faden Geschmack der Speisen nach¬
helfen; man vergoldet das Gold, man verduftet die Rose. Die franzö¬
sische Malerei, die sich gern ganz in der Wirklichkeit hält, legt der Venus
Roth auf, bestreut Juno mit Puder, verleiht Minerven Reifröcke, und
ftisirt Jupiters königliches Haupt. Auf allen Gemälden dieser erotischen
Zeit, sind die Götter, die Menschen und Thiere in einander verliebt, die
Bäume girren und die Steine seufzen. Die ganze Schöpfung ist geschminkt
und zärtlich entflammt wie der Hos von Versailles^—In Watteau's Ge¬
folge kommen Boucher, Lancret, die beiden Moreau, Fragonard,
welche die lüsterne und zärtliche Malerei betreiben; sie bieten alles auf,
um die üppigen Bilder des jüngeren Crebillon und die bebisamten
Fadheiten Dorctts zu übertreffen. Vergebens bemüheten sich zwei Männer
diesen beklagenswerthen Verfall aufzuhalten; es waren: Van Loo und
Lemoine. Van Loo, ein geborner Flamänder, hat alle seine Kraft
Angestrengt, um in die französische Schule etwas vom Styl der Nubens-
schen Kunst einzuführen. Lemoine, unverstanden und entmuthigt, entleibt
sich durch sieben Degenstiche, indem, er in der römischen Geschichte das
LebensendeCatoö liest; von seinem Talente zeugt die bewundernswürdige
Kuppel von Se. Sulpitius und der große Plafond zu Versailles, zwei
Meisterwerke, welche jenes Zeitalter nicht zu verstehen fähig war. —
Demnach blieb Watteau Herr des Feldes.

Der französische Uttgeschmack hatte der flamändischen Malerei alle
Farbe ausgesogen; er brachte sie allgemach zu völliger Entartung. Die
Trümmer unserer vaterländischen Schule hatten nicht mehr Halt genug, um
diesem Eindringen der fremden Art zu widerstehen. Seit den Zeiten Ludwigs
XlV. sah man Jederman der im Kopf und Herzen sich eine Kraft regen
fühlte, ins Ausland gehen, um die Hülfsquellen zu suchen, welche das
Vaterland nicht mehr darbot. So hatte sich Van der Meuten dem
großen Könige angeschlossen, um seine Schlachten zu malen, besser als
Boileau sie besang. Philipp von Champagne war Genosse der Weisen
des Port-Royal und erfüllte mit seinen correcten und strengen Gemälden
die Kirchen und die Palläste. Van Schuppen und Edelinck waren
dem Rufe Colberts gefolgt, und brachten in Frankreich die Kunst des
Bildxrstichs zu ihrer höchsten Blüthe. Nicolaus.Vlenghels hatte
in Rom die Direktion der französischen Akademie übernommen, und Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/31>, abgerufen am 23.07.2024.