Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Welt allcmniren und init Vorurteilen bewaffnen! Preußen, das in
diesem Augenblicke beschäftigt ist, die ersten Früchte seines klugen Ver¬
fahrens in der Kölnischen Angelegenheit zu genießen I

Wenn wir die Aufgabe begreifen, welche Preußen im deutschen Bunde
sich gestellt zu haben scheint, wenn wir die Mission, die es in dem deutschen Vater¬
lande zu erfüllen sucht, gehörig beurtheilen, so glaubt es sich dazu bestimmt, die
einzelnen Glieder Deutschlands, wie sie die mittelalterliche Reichsverfassung in
vereinzelten Ringen hinterlassen, immer fester zu einer Kette mit einander
zu verbinden. Was der Zollverein für die materiellen Gebiete bewerk¬
stelligte, das muß eine höhere Toleranz auf dem Felde des geistigen Le¬
bens und der Religion vollenden. Die Schranken müssen fallen, ohne
daß der Einzelne darum aufhört, Herr seines Gebietes zu bleiben. Das
protestantische Preußen aber hat noch besondere Gründe, die Beweise
seiner Toleranz an den Tag zu legen, zu einer Zeit, wo das Princip
der Duldung gerade in den ' katholischen Ländern lebhafter hervor¬
tritt. Wir wollen nicht von Frankreich sprechen, dem man religiöse
Indolenz nicht mit Unrecht zum Vorwurf macht. Wohl aber dürfen
wir auf Belgien hinweisen, das im Rufe eines strengen Catholicismus
steht, in welchem die römische Hierarchie einen so überwiegenden Einfluß
hat. Unter dem Ministerium de Theur, d.h. unter jenem Ministerium,
welches seit dem Bestehen des jungen belgischen Staats die katholische
Fahne auf das Herausforderndste entfaltete, erhielt die Gewissensfreiheit
die sicherstenGarauticen. Das Ministerium de Theur war es, welches
die Kosten des jüdischen Cultus- und Unterrichtswesens dem Staate zu¬
wies. In den diesjährigen Kammerfitzungen wurde das Budget des
jüdischen Cultus in Belgien, in Berücksichtigung der Provinzen, noch
um etwas erweitert. Aber Belgien ist ein revolutionäres Land,
an welchem wir uns kein Muster nehmen wollen -- ruft man viel¬
leicht. Nun denn, so betrachtet Oese er reich, wo der katholische Glaube
und das Princip der Stabilität die Hauptsäulen der Staatspolitik bil¬
den, und wo die kleinste Aenderung eine bei Weitem größere Wichtigkeit
erhält, als in dem beweglichen Preußen; dennoch haben die Judenverhältnisse in
dem letzten Jahre eine weit günstigere Wendung dort erhalten. Wenn die
österreichische Negierung den Emancipationsantrag deö ungarischen Land¬
tags nicht genehmigte, so lag dieses in jener Scheu, welche diese Staatsregie¬
rung gegen jede plötzliche Umwälzung hat, und entsprang aus derselben
politischen Rücksicht, aus welcher mehreren andern Anträgen des unga¬
rischen Landtags die Ratification verweigert wurde. Dagegen bewilligte


Welt allcmniren und init Vorurteilen bewaffnen! Preußen, das in
diesem Augenblicke beschäftigt ist, die ersten Früchte seines klugen Ver¬
fahrens in der Kölnischen Angelegenheit zu genießen I

Wenn wir die Aufgabe begreifen, welche Preußen im deutschen Bunde
sich gestellt zu haben scheint, wenn wir die Mission, die es in dem deutschen Vater¬
lande zu erfüllen sucht, gehörig beurtheilen, so glaubt es sich dazu bestimmt, die
einzelnen Glieder Deutschlands, wie sie die mittelalterliche Reichsverfassung in
vereinzelten Ringen hinterlassen, immer fester zu einer Kette mit einander
zu verbinden. Was der Zollverein für die materiellen Gebiete bewerk¬
stelligte, das muß eine höhere Toleranz auf dem Felde des geistigen Le¬
bens und der Religion vollenden. Die Schranken müssen fallen, ohne
daß der Einzelne darum aufhört, Herr seines Gebietes zu bleiben. Das
protestantische Preußen aber hat noch besondere Gründe, die Beweise
seiner Toleranz an den Tag zu legen, zu einer Zeit, wo das Princip
der Duldung gerade in den ' katholischen Ländern lebhafter hervor¬
tritt. Wir wollen nicht von Frankreich sprechen, dem man religiöse
Indolenz nicht mit Unrecht zum Vorwurf macht. Wohl aber dürfen
wir auf Belgien hinweisen, das im Rufe eines strengen Catholicismus
steht, in welchem die römische Hierarchie einen so überwiegenden Einfluß
hat. Unter dem Ministerium de Theur, d.h. unter jenem Ministerium,
welches seit dem Bestehen des jungen belgischen Staats die katholische
Fahne auf das Herausforderndste entfaltete, erhielt die Gewissensfreiheit
die sicherstenGarauticen. Das Ministerium de Theur war es, welches
die Kosten des jüdischen Cultus- und Unterrichtswesens dem Staate zu¬
wies. In den diesjährigen Kammerfitzungen wurde das Budget des
jüdischen Cultus in Belgien, in Berücksichtigung der Provinzen, noch
um etwas erweitert. Aber Belgien ist ein revolutionäres Land,
an welchem wir uns kein Muster nehmen wollen — ruft man viel¬
leicht. Nun denn, so betrachtet Oese er reich, wo der katholische Glaube
und das Princip der Stabilität die Hauptsäulen der Staatspolitik bil¬
den, und wo die kleinste Aenderung eine bei Weitem größere Wichtigkeit
erhält, als in dem beweglichen Preußen; dennoch haben die Judenverhältnisse in
dem letzten Jahre eine weit günstigere Wendung dort erhalten. Wenn die
österreichische Negierung den Emancipationsantrag deö ungarischen Land¬
tags nicht genehmigte, so lag dieses in jener Scheu, welche diese Staatsregie¬
rung gegen jede plötzliche Umwälzung hat, und entsprang aus derselben
politischen Rücksicht, aus welcher mehreren andern Anträgen des unga¬
rischen Landtags die Ratification verweigert wurde. Dagegen bewilligte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267501"/>
          <p xml:id="ID_1129" prev="#ID_1128"> Welt allcmniren und init Vorurteilen bewaffnen! Preußen, das in<lb/>
diesem Augenblicke beschäftigt ist, die ersten Früchte seines klugen Ver¬<lb/>
fahrens in der Kölnischen Angelegenheit zu genießen I</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1130" next="#ID_1131"> Wenn wir die Aufgabe begreifen, welche Preußen im deutschen Bunde<lb/>
sich gestellt zu haben scheint, wenn wir die Mission, die es in dem deutschen Vater¬<lb/>
lande zu erfüllen sucht, gehörig beurtheilen, so glaubt es sich dazu bestimmt, die<lb/>
einzelnen Glieder Deutschlands, wie sie die mittelalterliche Reichsverfassung in<lb/>
vereinzelten Ringen hinterlassen, immer fester zu einer Kette mit einander<lb/>
zu verbinden. Was der Zollverein für die materiellen Gebiete bewerk¬<lb/>
stelligte, das muß eine höhere Toleranz auf dem Felde des geistigen Le¬<lb/>
bens und der Religion vollenden. Die Schranken müssen fallen, ohne<lb/>
daß der Einzelne darum aufhört, Herr seines Gebietes zu bleiben. Das<lb/>
protestantische Preußen aber hat noch besondere Gründe, die Beweise<lb/>
seiner Toleranz an den Tag zu legen, zu einer Zeit, wo das Princip<lb/>
der Duldung gerade in den ' katholischen Ländern lebhafter hervor¬<lb/>
tritt. Wir wollen nicht von Frankreich sprechen, dem man religiöse<lb/>
Indolenz nicht mit Unrecht zum Vorwurf macht. Wohl aber dürfen<lb/>
wir auf Belgien hinweisen, das im Rufe eines strengen Catholicismus<lb/>
steht, in welchem die römische Hierarchie einen so überwiegenden Einfluß<lb/>
hat. Unter dem Ministerium de Theur, d.h. unter jenem Ministerium,<lb/>
welches seit dem Bestehen des jungen belgischen Staats die katholische<lb/>
Fahne auf das Herausforderndste entfaltete, erhielt die Gewissensfreiheit<lb/>
die sicherstenGarauticen. Das Ministerium de Theur war es, welches<lb/>
die Kosten des jüdischen Cultus- und Unterrichtswesens dem Staate zu¬<lb/>
wies. In den diesjährigen Kammerfitzungen wurde das Budget des<lb/>
jüdischen Cultus in Belgien, in Berücksichtigung der Provinzen, noch<lb/>
um etwas erweitert. Aber Belgien ist ein revolutionäres Land,<lb/>
an welchem wir uns kein Muster nehmen wollen &#x2014; ruft man viel¬<lb/>
leicht. Nun denn, so betrachtet Oese er reich, wo der katholische Glaube<lb/>
und das Princip der Stabilität die Hauptsäulen der Staatspolitik bil¬<lb/>
den, und wo die kleinste Aenderung eine bei Weitem größere Wichtigkeit<lb/>
erhält, als in dem beweglichen Preußen; dennoch haben die Judenverhältnisse in<lb/>
dem letzten Jahre eine weit günstigere Wendung dort erhalten. Wenn die<lb/>
österreichische Negierung den Emancipationsantrag deö ungarischen Land¬<lb/>
tags nicht genehmigte, so lag dieses in jener Scheu, welche diese Staatsregie¬<lb/>
rung gegen jede plötzliche Umwälzung hat, und entsprang aus derselben<lb/>
politischen Rücksicht, aus welcher mehreren andern Anträgen des unga¬<lb/>
rischen Landtags die Ratification verweigert wurde. Dagegen bewilligte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0287] Welt allcmniren und init Vorurteilen bewaffnen! Preußen, das in diesem Augenblicke beschäftigt ist, die ersten Früchte seines klugen Ver¬ fahrens in der Kölnischen Angelegenheit zu genießen I Wenn wir die Aufgabe begreifen, welche Preußen im deutschen Bunde sich gestellt zu haben scheint, wenn wir die Mission, die es in dem deutschen Vater¬ lande zu erfüllen sucht, gehörig beurtheilen, so glaubt es sich dazu bestimmt, die einzelnen Glieder Deutschlands, wie sie die mittelalterliche Reichsverfassung in vereinzelten Ringen hinterlassen, immer fester zu einer Kette mit einander zu verbinden. Was der Zollverein für die materiellen Gebiete bewerk¬ stelligte, das muß eine höhere Toleranz auf dem Felde des geistigen Le¬ bens und der Religion vollenden. Die Schranken müssen fallen, ohne daß der Einzelne darum aufhört, Herr seines Gebietes zu bleiben. Das protestantische Preußen aber hat noch besondere Gründe, die Beweise seiner Toleranz an den Tag zu legen, zu einer Zeit, wo das Princip der Duldung gerade in den ' katholischen Ländern lebhafter hervor¬ tritt. Wir wollen nicht von Frankreich sprechen, dem man religiöse Indolenz nicht mit Unrecht zum Vorwurf macht. Wohl aber dürfen wir auf Belgien hinweisen, das im Rufe eines strengen Catholicismus steht, in welchem die römische Hierarchie einen so überwiegenden Einfluß hat. Unter dem Ministerium de Theur, d.h. unter jenem Ministerium, welches seit dem Bestehen des jungen belgischen Staats die katholische Fahne auf das Herausforderndste entfaltete, erhielt die Gewissensfreiheit die sicherstenGarauticen. Das Ministerium de Theur war es, welches die Kosten des jüdischen Cultus- und Unterrichtswesens dem Staate zu¬ wies. In den diesjährigen Kammerfitzungen wurde das Budget des jüdischen Cultus in Belgien, in Berücksichtigung der Provinzen, noch um etwas erweitert. Aber Belgien ist ein revolutionäres Land, an welchem wir uns kein Muster nehmen wollen — ruft man viel¬ leicht. Nun denn, so betrachtet Oese er reich, wo der katholische Glaube und das Princip der Stabilität die Hauptsäulen der Staatspolitik bil¬ den, und wo die kleinste Aenderung eine bei Weitem größere Wichtigkeit erhält, als in dem beweglichen Preußen; dennoch haben die Judenverhältnisse in dem letzten Jahre eine weit günstigere Wendung dort erhalten. Wenn die österreichische Negierung den Emancipationsantrag deö ungarischen Land¬ tags nicht genehmigte, so lag dieses in jener Scheu, welche diese Staatsregie¬ rung gegen jede plötzliche Umwälzung hat, und entsprang aus derselben politischen Rücksicht, aus welcher mehreren andern Anträgen des unga¬ rischen Landtags die Ratification verweigert wurde. Dagegen bewilligte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/287
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/287>, abgerufen am 22.12.2024.