Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

so wird.man doch immerhin zugestehen, daß die Capacitäten, welche
das Nuder derselben sichren, das Verständniß der Gegenwart und der
öffentlichen Meinung in dem Grade besitzen,,daß sie nicht, ohne von
einer besondern Nothwendigkeit getrieben zu sein, den Zeiger der Zeit
plötzlich um einige Jahrhunderte zurückrücken werden. Vergebens aber
suchen wir nach den Motiven, welche Preußen jählings zu einer solchen
Sinnes- und Gesetzes-Aenderung gegen einen Theil seiner Unterthanen
bewegen sollte!

DerKönig vonPreußen -- sagtdasJournal deS D6half--habe aus
England einen Anflug von Mysticismus mitgebracht, dessen erste Früchte die
Juden genießen sollen. Was hat des Königs Reise nach London mit dem Gesetze
über die Juden gemein? Ware das Debats nur etwas besser unterrichtet, so
würde es wissen, daß bereits in den ersten Tagen des Jänners die allgemeine
Zeitung diesen Gegenstand besprach, während der König doch erst in der Mitte
des Februars zurückkehrte; es würde bedenken, daß,, wenn-von einer
Ausschließung der, Juden von allen bürgerlichen Rechten die Rede sein
sollte,, dies keineswegs in England ein Muster finden würde, da dort
die Juden in Besitz und Eigenthumsrecht, in vollständiger Freiheit, in
Handel und Gewerbe, ja sogar in der Municipalvertretnng jedem an¬
dern Engländer gleichstehen, und alle Welt, weiß, daß nur die Eides¬
formel (welche früher auch die Catholiken ausschloß), ihrer politischen
Zurechnungsfähigkeit hinderlich in dem Wege steht.

Der Redaktion dieser Blätter sind seit der Verbreitung jenes Ge¬
rüchtes vielfache Briefe und Aufsätze zugekommen, welche gegen diepro-
jectirten Maßregeln >eine lebhafte Polemik eröffneten. Wir haben densel¬
ben keinen Raum gestattet, denn wir hatten den, Glauben, daß jenes
Gerede unbegründet, und eine mißverstandene Aeußerung vielleicht die,
Ursache des ganzem Allarnrs sei. Wir haben in neuester Zeit so viele
Widersprüche über die kirchlichen Projecte Preußens hören müssen! Wie
oft wurde nicht die Hypothese ausgesprochen, man wollein Preußen diekirch---
liebe Verfassung Englands sich zum Muster nehmen. Welchen Deutungen
wurde nicht die Sendung ausgesetzt, welche der Hof- und Garn'sonpre-
digcr Sydow im vorigen Jahre nach England erhielt, welche Schlüsse
werden nicht gemacht, da die Rede ist, den Ritter Bunsen zum Cultus-
Minister zu erheben. Wieviel wurde nicht, schon von einer EpiScopal-,
Verfassung und von ähnlichen Dingen gesprochen! Und nun sollte plötz-,
lich Preußen wie ein Kind aus dem Schlafe sprechen und seine geheimsten
Gedanken durch, Unduldsamkeit gegen die Juden verrathen und alle.


so wird.man doch immerhin zugestehen, daß die Capacitäten, welche
das Nuder derselben sichren, das Verständniß der Gegenwart und der
öffentlichen Meinung in dem Grade besitzen,,daß sie nicht, ohne von
einer besondern Nothwendigkeit getrieben zu sein, den Zeiger der Zeit
plötzlich um einige Jahrhunderte zurückrücken werden. Vergebens aber
suchen wir nach den Motiven, welche Preußen jählings zu einer solchen
Sinnes- und Gesetzes-Aenderung gegen einen Theil seiner Unterthanen
bewegen sollte!

DerKönig vonPreußen — sagtdasJournal deS D6half—habe aus
England einen Anflug von Mysticismus mitgebracht, dessen erste Früchte die
Juden genießen sollen. Was hat des Königs Reise nach London mit dem Gesetze
über die Juden gemein? Ware das Debats nur etwas besser unterrichtet, so
würde es wissen, daß bereits in den ersten Tagen des Jänners die allgemeine
Zeitung diesen Gegenstand besprach, während der König doch erst in der Mitte
des Februars zurückkehrte; es würde bedenken, daß,, wenn-von einer
Ausschließung der, Juden von allen bürgerlichen Rechten die Rede sein
sollte,, dies keineswegs in England ein Muster finden würde, da dort
die Juden in Besitz und Eigenthumsrecht, in vollständiger Freiheit, in
Handel und Gewerbe, ja sogar in der Municipalvertretnng jedem an¬
dern Engländer gleichstehen, und alle Welt, weiß, daß nur die Eides¬
formel (welche früher auch die Catholiken ausschloß), ihrer politischen
Zurechnungsfähigkeit hinderlich in dem Wege steht.

Der Redaktion dieser Blätter sind seit der Verbreitung jenes Ge¬
rüchtes vielfache Briefe und Aufsätze zugekommen, welche gegen diepro-
jectirten Maßregeln >eine lebhafte Polemik eröffneten. Wir haben densel¬
ben keinen Raum gestattet, denn wir hatten den, Glauben, daß jenes
Gerede unbegründet, und eine mißverstandene Aeußerung vielleicht die,
Ursache des ganzem Allarnrs sei. Wir haben in neuester Zeit so viele
Widersprüche über die kirchlichen Projecte Preußens hören müssen! Wie
oft wurde nicht die Hypothese ausgesprochen, man wollein Preußen diekirch---
liebe Verfassung Englands sich zum Muster nehmen. Welchen Deutungen
wurde nicht die Sendung ausgesetzt, welche der Hof- und Garn'sonpre-
digcr Sydow im vorigen Jahre nach England erhielt, welche Schlüsse
werden nicht gemacht, da die Rede ist, den Ritter Bunsen zum Cultus-
Minister zu erheben. Wieviel wurde nicht, schon von einer EpiScopal-,
Verfassung und von ähnlichen Dingen gesprochen! Und nun sollte plötz-,
lich Preußen wie ein Kind aus dem Schlafe sprechen und seine geheimsten
Gedanken durch, Unduldsamkeit gegen die Juden verrathen und alle.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0286" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267500"/>
          <p xml:id="ID_1126" prev="#ID_1125"> so wird.man doch immerhin zugestehen, daß die Capacitäten, welche<lb/>
das Nuder derselben sichren, das Verständniß der Gegenwart und der<lb/>
öffentlichen Meinung in dem Grade besitzen,,daß sie nicht, ohne von<lb/>
einer besondern Nothwendigkeit getrieben zu sein, den Zeiger der Zeit<lb/>
plötzlich um einige Jahrhunderte zurückrücken werden. Vergebens aber<lb/>
suchen wir nach den Motiven, welche Preußen jählings zu einer solchen<lb/>
Sinnes- und Gesetzes-Aenderung gegen einen Theil seiner Unterthanen<lb/>
bewegen sollte!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1127"> DerKönig vonPreußen &#x2014; sagtdasJournal deS D6half&#x2014;habe aus<lb/>
England einen Anflug von Mysticismus mitgebracht, dessen erste Früchte die<lb/>
Juden genießen sollen. Was hat des Königs Reise nach London mit dem Gesetze<lb/>
über die Juden gemein? Ware das Debats nur etwas besser unterrichtet, so<lb/>
würde es wissen, daß bereits in den ersten Tagen des Jänners die allgemeine<lb/>
Zeitung diesen Gegenstand besprach, während der König doch erst in der Mitte<lb/>
des Februars zurückkehrte; es würde bedenken, daß,, wenn-von einer<lb/>
Ausschließung der, Juden von allen bürgerlichen Rechten die Rede sein<lb/>
sollte,, dies keineswegs in England ein Muster finden würde, da dort<lb/>
die Juden in Besitz und Eigenthumsrecht, in vollständiger Freiheit, in<lb/>
Handel und Gewerbe, ja sogar in der Municipalvertretnng jedem an¬<lb/>
dern Engländer gleichstehen, und alle Welt, weiß, daß nur die Eides¬<lb/>
formel (welche früher auch die Catholiken ausschloß), ihrer politischen<lb/>
Zurechnungsfähigkeit hinderlich in dem Wege steht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1128" next="#ID_1129"> Der Redaktion dieser Blätter sind seit der Verbreitung jenes Ge¬<lb/>
rüchtes vielfache Briefe und Aufsätze zugekommen, welche gegen diepro-<lb/>
jectirten Maßregeln &gt;eine lebhafte Polemik eröffneten. Wir haben densel¬<lb/>
ben keinen Raum gestattet, denn wir hatten den, Glauben, daß jenes<lb/>
Gerede unbegründet, und eine mißverstandene Aeußerung vielleicht die,<lb/>
Ursache des ganzem Allarnrs sei. Wir haben in neuester Zeit so viele<lb/>
Widersprüche über die kirchlichen Projecte Preußens hören müssen! Wie<lb/>
oft wurde nicht die Hypothese ausgesprochen, man wollein Preußen diekirch---<lb/>
liebe Verfassung Englands sich zum Muster nehmen. Welchen Deutungen<lb/>
wurde nicht die Sendung ausgesetzt, welche der Hof- und Garn'sonpre-<lb/>
digcr Sydow im vorigen Jahre nach England erhielt, welche Schlüsse<lb/>
werden nicht gemacht, da die Rede ist, den Ritter Bunsen zum Cultus-<lb/>
Minister zu erheben. Wieviel wurde nicht, schon von einer EpiScopal-,<lb/>
Verfassung und von ähnlichen Dingen gesprochen! Und nun sollte plötz-,<lb/>
lich Preußen wie ein Kind aus dem Schlafe sprechen und seine geheimsten<lb/>
Gedanken durch, Unduldsamkeit gegen die Juden verrathen und alle.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0286] so wird.man doch immerhin zugestehen, daß die Capacitäten, welche das Nuder derselben sichren, das Verständniß der Gegenwart und der öffentlichen Meinung in dem Grade besitzen,,daß sie nicht, ohne von einer besondern Nothwendigkeit getrieben zu sein, den Zeiger der Zeit plötzlich um einige Jahrhunderte zurückrücken werden. Vergebens aber suchen wir nach den Motiven, welche Preußen jählings zu einer solchen Sinnes- und Gesetzes-Aenderung gegen einen Theil seiner Unterthanen bewegen sollte! DerKönig vonPreußen — sagtdasJournal deS D6half—habe aus England einen Anflug von Mysticismus mitgebracht, dessen erste Früchte die Juden genießen sollen. Was hat des Königs Reise nach London mit dem Gesetze über die Juden gemein? Ware das Debats nur etwas besser unterrichtet, so würde es wissen, daß bereits in den ersten Tagen des Jänners die allgemeine Zeitung diesen Gegenstand besprach, während der König doch erst in der Mitte des Februars zurückkehrte; es würde bedenken, daß,, wenn-von einer Ausschließung der, Juden von allen bürgerlichen Rechten die Rede sein sollte,, dies keineswegs in England ein Muster finden würde, da dort die Juden in Besitz und Eigenthumsrecht, in vollständiger Freiheit, in Handel und Gewerbe, ja sogar in der Municipalvertretnng jedem an¬ dern Engländer gleichstehen, und alle Welt, weiß, daß nur die Eides¬ formel (welche früher auch die Catholiken ausschloß), ihrer politischen Zurechnungsfähigkeit hinderlich in dem Wege steht. Der Redaktion dieser Blätter sind seit der Verbreitung jenes Ge¬ rüchtes vielfache Briefe und Aufsätze zugekommen, welche gegen diepro- jectirten Maßregeln >eine lebhafte Polemik eröffneten. Wir haben densel¬ ben keinen Raum gestattet, denn wir hatten den, Glauben, daß jenes Gerede unbegründet, und eine mißverstandene Aeußerung vielleicht die, Ursache des ganzem Allarnrs sei. Wir haben in neuester Zeit so viele Widersprüche über die kirchlichen Projecte Preußens hören müssen! Wie oft wurde nicht die Hypothese ausgesprochen, man wollein Preußen diekirch--- liebe Verfassung Englands sich zum Muster nehmen. Welchen Deutungen wurde nicht die Sendung ausgesetzt, welche der Hof- und Garn'sonpre- digcr Sydow im vorigen Jahre nach England erhielt, welche Schlüsse werden nicht gemacht, da die Rede ist, den Ritter Bunsen zum Cultus- Minister zu erheben. Wieviel wurde nicht, schon von einer EpiScopal-, Verfassung und von ähnlichen Dingen gesprochen! Und nun sollte plötz-, lich Preußen wie ein Kind aus dem Schlafe sprechen und seine geheimsten Gedanken durch, Unduldsamkeit gegen die Juden verrathen und alle.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/286
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/286>, abgerufen am 24.07.2024.