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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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flinken Personen nichts bestreikn konnten, und Niemand' bezweifelte es,
daß es das Meisterwerk Gluck's sei. Ein Freund Piccini's selbst ge¬
stand/ indem er einen Bericht über diese Oper abstattete, daß so glän¬
zende Erfolge Gluck auch bisher in Frankreich errungen habe, doch kei¬
nes seiner Werke noch einen so starken und allgemeinen Eindruck gemacht
habe. Aber wer wollte auch ungerührt bleiben bei dem Reize einer
Musik, deren gewaltige Kraft Alles mit sich fortreißt und die voll dra¬
matischen Ausdrucks ist? Die Handlung des Gedichtes war einfach und
pathetisch, der Gang rasch und lebhaft. Wenn man aber glauben wollte,
das Resultat dieses Stücks sei ein entscheidendes gewesen, - und die An¬
hänger Piccini's hätten, ohne darum ihre Bewunderung für diesen Mei¬
ster aufzugeben, doch auch das Verdienst des andern in'ehe länger streitig
gemacht, so würde man sich gar sehr irren. Während die Gluckisten
behauptete", alle Schätze der Harmonie und Melodie seien in Iphigenie
in Tauris erschöpft, alle Geheimnisse der dramatischen Musik darin of¬
fenbart, und es sei dies Stück eine wahre antike Melopöe, die mit allen
Fortschritten bereichert sei, welche die Kunst habe machen können, 'so ging
dagegen die Ansicht der Piccinisten dahin/es sei nur stärker geschriebene
französische Musik, deren Gesänge monoton, und deren Rhythmus fehler¬
haft seien. Die Anhänger beider Systeme änderten Nichts an ihren Mei¬
nungen,'die'allzu tief eingewurzelt waren', als daß sie durch die Erfah¬
rung hätten können modificirt werden, und Jeder behielt seine' Vorliebe
und seine Antipathie bei.

Indeß hatte Piccini seinen Atys vollendet, und dieser ward den
22sten Februar 1730 zum ersten Mal gegeben. Die wirkliche Meinung
des unparteiischen Publicums ist mitten unter den lärmhaften Auftritten/
zu denen die Aufführung der Gluck'sehen und Piccini'schen Opern Ver¬
anlassung gaben, sehr schwer herauszufinden. Wenn man aber die'ver¬
schiedenes Berichte jener Zeit zu Rathe zieht, so scheint es sich als sicher
herauszustellen/ daß die Oper Atys mit unzweideutiger Gunst' aufgenom¬
men wurde. Bei der ersten Aufführung würde sie unglücklicher Weife
mittelmäßig vorgetragen und schlecht angehört. Das Parterre war so
unruhig und hustete so stark, daß man weder Musik noch Gesang ver¬
nehmen konnte. Bei den folgenden Vorstellungen wurde das Werk schon
besser gehört und richtiger beurtheilt; aber seinen ganzen Erfolg erhielt
es erst, als man es 3 Jahre hernach neu einstudirte. >
'

Während dieser Zeit waren auch die Veränderungen, die der Tert
der'Iphigenie in Tauris erfordert lMe, gemacht worden, sodaßmcm


flinken Personen nichts bestreikn konnten, und Niemand' bezweifelte es,
daß es das Meisterwerk Gluck's sei. Ein Freund Piccini's selbst ge¬
stand/ indem er einen Bericht über diese Oper abstattete, daß so glän¬
zende Erfolge Gluck auch bisher in Frankreich errungen habe, doch kei¬
nes seiner Werke noch einen so starken und allgemeinen Eindruck gemacht
habe. Aber wer wollte auch ungerührt bleiben bei dem Reize einer
Musik, deren gewaltige Kraft Alles mit sich fortreißt und die voll dra¬
matischen Ausdrucks ist? Die Handlung des Gedichtes war einfach und
pathetisch, der Gang rasch und lebhaft. Wenn man aber glauben wollte,
das Resultat dieses Stücks sei ein entscheidendes gewesen, - und die An¬
hänger Piccini's hätten, ohne darum ihre Bewunderung für diesen Mei¬
ster aufzugeben, doch auch das Verdienst des andern in'ehe länger streitig
gemacht, so würde man sich gar sehr irren. Während die Gluckisten
behauptete«, alle Schätze der Harmonie und Melodie seien in Iphigenie
in Tauris erschöpft, alle Geheimnisse der dramatischen Musik darin of¬
fenbart, und es sei dies Stück eine wahre antike Melopöe, die mit allen
Fortschritten bereichert sei, welche die Kunst habe machen können, 'so ging
dagegen die Ansicht der Piccinisten dahin/es sei nur stärker geschriebene
französische Musik, deren Gesänge monoton, und deren Rhythmus fehler¬
haft seien. Die Anhänger beider Systeme änderten Nichts an ihren Mei¬
nungen,'die'allzu tief eingewurzelt waren', als daß sie durch die Erfah¬
rung hätten können modificirt werden, und Jeder behielt seine' Vorliebe
und seine Antipathie bei.

Indeß hatte Piccini seinen Atys vollendet, und dieser ward den
22sten Februar 1730 zum ersten Mal gegeben. Die wirkliche Meinung
des unparteiischen Publicums ist mitten unter den lärmhaften Auftritten/
zu denen die Aufführung der Gluck'sehen und Piccini'schen Opern Ver¬
anlassung gaben, sehr schwer herauszufinden. Wenn man aber die'ver¬
schiedenes Berichte jener Zeit zu Rathe zieht, so scheint es sich als sicher
herauszustellen/ daß die Oper Atys mit unzweideutiger Gunst' aufgenom¬
men wurde. Bei der ersten Aufführung würde sie unglücklicher Weife
mittelmäßig vorgetragen und schlecht angehört. Das Parterre war so
unruhig und hustete so stark, daß man weder Musik noch Gesang ver¬
nehmen konnte. Bei den folgenden Vorstellungen wurde das Werk schon
besser gehört und richtiger beurtheilt; aber seinen ganzen Erfolg erhielt
es erst, als man es 3 Jahre hernach neu einstudirte. >
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Während dieser Zeit waren auch die Veränderungen, die der Tert
der'Iphigenie in Tauris erfordert lMe, gemacht worden, sodaßmcm


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[0281] flinken Personen nichts bestreikn konnten, und Niemand' bezweifelte es, daß es das Meisterwerk Gluck's sei. Ein Freund Piccini's selbst ge¬ stand/ indem er einen Bericht über diese Oper abstattete, daß so glän¬ zende Erfolge Gluck auch bisher in Frankreich errungen habe, doch kei¬ nes seiner Werke noch einen so starken und allgemeinen Eindruck gemacht habe. Aber wer wollte auch ungerührt bleiben bei dem Reize einer Musik, deren gewaltige Kraft Alles mit sich fortreißt und die voll dra¬ matischen Ausdrucks ist? Die Handlung des Gedichtes war einfach und pathetisch, der Gang rasch und lebhaft. Wenn man aber glauben wollte, das Resultat dieses Stücks sei ein entscheidendes gewesen, - und die An¬ hänger Piccini's hätten, ohne darum ihre Bewunderung für diesen Mei¬ ster aufzugeben, doch auch das Verdienst des andern in'ehe länger streitig gemacht, so würde man sich gar sehr irren. Während die Gluckisten behauptete«, alle Schätze der Harmonie und Melodie seien in Iphigenie in Tauris erschöpft, alle Geheimnisse der dramatischen Musik darin of¬ fenbart, und es sei dies Stück eine wahre antike Melopöe, die mit allen Fortschritten bereichert sei, welche die Kunst habe machen können, 'so ging dagegen die Ansicht der Piccinisten dahin/es sei nur stärker geschriebene französische Musik, deren Gesänge monoton, und deren Rhythmus fehler¬ haft seien. Die Anhänger beider Systeme änderten Nichts an ihren Mei¬ nungen,'die'allzu tief eingewurzelt waren', als daß sie durch die Erfah¬ rung hätten können modificirt werden, und Jeder behielt seine' Vorliebe und seine Antipathie bei. Indeß hatte Piccini seinen Atys vollendet, und dieser ward den 22sten Februar 1730 zum ersten Mal gegeben. Die wirkliche Meinung des unparteiischen Publicums ist mitten unter den lärmhaften Auftritten/ zu denen die Aufführung der Gluck'sehen und Piccini'schen Opern Ver¬ anlassung gaben, sehr schwer herauszufinden. Wenn man aber die'ver¬ schiedenes Berichte jener Zeit zu Rathe zieht, so scheint es sich als sicher herauszustellen/ daß die Oper Atys mit unzweideutiger Gunst' aufgenom¬ men wurde. Bei der ersten Aufführung würde sie unglücklicher Weife mittelmäßig vorgetragen und schlecht angehört. Das Parterre war so unruhig und hustete so stark, daß man weder Musik noch Gesang ver¬ nehmen konnte. Bei den folgenden Vorstellungen wurde das Werk schon besser gehört und richtiger beurtheilt; aber seinen ganzen Erfolg erhielt es erst, als man es 3 Jahre hernach neu einstudirte. > ' Während dieser Zeit waren auch die Veränderungen, die der Tert der'Iphigenie in Tauris erfordert lMe, gemacht worden, sodaßmcm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/281>, abgerufen am 23.07.2024.