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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Energie in Stellen gelegt, wo es nur der Anmut!) und der Lieblichkeit
bedurft hätte. Einige Personen endlich behaupteten, daß mit Ausnahme
der Chöre und einiger großen Orchestercffecte es wenig Stücke gäbe, wo
man nicht in Versuchung geriethe, die Einfachheit der Lulu'schen Melo"
diem zurückzuwünschen. Dies waren die ersten Urtheile. Als man aber
nach einer Unterbrechung von einigen Monaten Armida wiederaufführte,
da ward dies schöne Werk richtiger gewürdigt. Die Kälte des Publi¬
kums hielt gegen die Schönheiten, von denen es voll ist, nicht lange Stich,
man gewöhnte sich unmerklich an die Neuheit gewisser Formen und! man
fing an zu glauben, daß das Sujet zu Armida Gluck's Genie günstiger
war, als man Anfangs vermuthet hatte. Mit jeder neuen Aufführung
wuchs die Zahl seiner Anhänger, und an die Stelle der Gleichgültigkeit
trat zuletzt der lebendigste Enthusiasmus.

Piccini seinerseits war aber auch nicht unthätig geblieben; seine
Oper Roland war componirt und mit großem Erfolge aufgeführt
worden, wodurch er bei Hofe eine Art von Gunst erhielt. Er kam re¬
gelmäßig zwei Mal die Woche nach Versailles, um der Königin Marie
Antoinette Gesang-Unterricht zu geben, und ward von dieser stets sehr
gut behandelt. Dies war aber auch in Wahrheit sein ganzer Ehrensold
und ein ganzes Jahr hindurch hatte er bedeutende Ausgaben für den
Wagen zu machen, ohne daß ihm auch nur ein Heller erstattet worden
wäre. Eben so wahr ist es auch, daß er der Königin eine prächtig ein¬
gebundene Abschrift der Partitur des Roland überreichte und durch sie
die Erlaubniß erhielt, bei dem König, so wie den Prinzen und Prin-
zessinen von Geblüt ein Gleiches zu thun, welche Gunst ihm auch in
der Folge für seine andere Partituren bewilligt wurde; aber nie frug
man ihn auch nur, was ihm die schönen Einbände kosteten.

Nie waren übrigens Proben stürmischer und geräuschvoller gewesen,
als die des Roland. Die Sänger und das Orchester, die an diese
neue Art Musik jetzt eben so wenig gewöhnt waren, als ihnen vor ei¬
nigen Jahren die Gluck'sche ungewohnt gewesen, verfielen immer wieder
in die ihnen jetzt so bekannte Glucksche Vortragsart und kamen außer
Tact. Man hätte in diesen Proben Marmontel für den Componisten
halten können, so viel Mühe gab er sich, um den Vsrtrag zu verbessern,
während Piccini in einem einsamen Winkel des Theaters in stummer
Verzweiflung dasaß. Wenn er um seinen Rath oder seine Meinung an¬
gegangen oder ersucht wurde, die Uebergänge anzugeben, begnügte sich
der unglückselige Componist mit der traurigen Antwort: Jude" male,


Energie in Stellen gelegt, wo es nur der Anmut!) und der Lieblichkeit
bedurft hätte. Einige Personen endlich behaupteten, daß mit Ausnahme
der Chöre und einiger großen Orchestercffecte es wenig Stücke gäbe, wo
man nicht in Versuchung geriethe, die Einfachheit der Lulu'schen Melo»
diem zurückzuwünschen. Dies waren die ersten Urtheile. Als man aber
nach einer Unterbrechung von einigen Monaten Armida wiederaufführte,
da ward dies schöne Werk richtiger gewürdigt. Die Kälte des Publi¬
kums hielt gegen die Schönheiten, von denen es voll ist, nicht lange Stich,
man gewöhnte sich unmerklich an die Neuheit gewisser Formen und! man
fing an zu glauben, daß das Sujet zu Armida Gluck's Genie günstiger
war, als man Anfangs vermuthet hatte. Mit jeder neuen Aufführung
wuchs die Zahl seiner Anhänger, und an die Stelle der Gleichgültigkeit
trat zuletzt der lebendigste Enthusiasmus.

Piccini seinerseits war aber auch nicht unthätig geblieben; seine
Oper Roland war componirt und mit großem Erfolge aufgeführt
worden, wodurch er bei Hofe eine Art von Gunst erhielt. Er kam re¬
gelmäßig zwei Mal die Woche nach Versailles, um der Königin Marie
Antoinette Gesang-Unterricht zu geben, und ward von dieser stets sehr
gut behandelt. Dies war aber auch in Wahrheit sein ganzer Ehrensold
und ein ganzes Jahr hindurch hatte er bedeutende Ausgaben für den
Wagen zu machen, ohne daß ihm auch nur ein Heller erstattet worden
wäre. Eben so wahr ist es auch, daß er der Königin eine prächtig ein¬
gebundene Abschrift der Partitur des Roland überreichte und durch sie
die Erlaubniß erhielt, bei dem König, so wie den Prinzen und Prin-
zessinen von Geblüt ein Gleiches zu thun, welche Gunst ihm auch in
der Folge für seine andere Partituren bewilligt wurde; aber nie frug
man ihn auch nur, was ihm die schönen Einbände kosteten.

Nie waren übrigens Proben stürmischer und geräuschvoller gewesen,
als die des Roland. Die Sänger und das Orchester, die an diese
neue Art Musik jetzt eben so wenig gewöhnt waren, als ihnen vor ei¬
nigen Jahren die Gluck'sche ungewohnt gewesen, verfielen immer wieder
in die ihnen jetzt so bekannte Glucksche Vortragsart und kamen außer
Tact. Man hätte in diesen Proben Marmontel für den Componisten
halten können, so viel Mühe gab er sich, um den Vsrtrag zu verbessern,
während Piccini in einem einsamen Winkel des Theaters in stummer
Verzweiflung dasaß. Wenn er um seinen Rath oder seine Meinung an¬
gegangen oder ersucht wurde, die Uebergänge anzugeben, begnügte sich
der unglückselige Componist mit der traurigen Antwort: Jude» male,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/279>, abgerufen am 23.07.2024.