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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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In diesen kölnischen Streit ließen sich, auch die höchste Gesellschaft/
die Damen von bestem Ton verflechten, ja sie nahmen mit Wärme daran
Theil. In den Soupers/ die damals noch Mode waren, kamen die geg/
nerischen Parteien zusammen, noch ganz toll und fortgerissen von den
Eindrücken, die sie im Theater empfangen hatten; man stritt mit heftig¬
ster Erbitterung, ohne Rücksichtsnahme auf Anstand und Freundschaft.
Vom Anfang dieser Streitigkeit an hatte sich die Zwietracht aller Gei¬
ster bemächtigt;, Amdemieen, literarische Gesellschaften,^ Kaffeehäuser, --
Alles war durch sie verwirrt worden. Leute, die einander früher am
Meisten gesucht hatten, flohen einander jetzt; selbst die Diners, die sonst
alle Arten Geister und Charactere so glücklich versöhnen, athmeten nur
noch Zwang und Mißtrauen; die sonst zahlreichsten, glänzendsten Ver¬
sammlungen waren jetzt halb verlassen zum Vortheil des Theaters. Alle
übrigen, selbst die theologischen Parteiunterscheidungen schwanden; man
frug nur: Gluckist oder Piccinist? Die Pariser Gesellschaft bot dem
Auge des, Beschauers ein merkwürdigeres Beispiel dar als der Streitge¬
genstand selbst. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß das Epigramm,
das damals überhaupt an der Tagesordnung war, auch für die Vor¬
kämpfer, der beiden Parteien die gewöhnlichste Waffe abgab. Marmontel
kam dabei gewöhnlich am schlimmsten weg; denn die Gluckisten hatten
nicht aufgehört, in allen ihnen zu Gebote stehenden Blättern ihn.anzu¬
greifen urd zu mißhandeln, seitdem sein Versuch über.die musica¬
lischen Revolutionen in Frankreich erschienen war, obgleich diese,
mit grosser Unparteilichkeit verfaßte Schrift dem Componisten der Alceste
vollkommene Gerechtigkeit widerfahren ließ, indem er die ausgezeichneten
Dienste anerkannte, welche die Aufführung seiner verschiedenen Werke
der französischen Musik geleistet hatte.

Die erste Aufführung der Armida fand statt an der Oper am 28.
September 1777. Die Freunde Glucks, so wie seine Gegner erwarteten
das Ereignis) mit gleicher Ungeduld; die einen in der Hoffnung,, ein
glänzender Erfolg werde den Ruhm des großen Componisten noch ver¬
mehren; die andern im Gegentheil suchten hier die Gelegenheit und den
Stoff zu neuen Angriffen. Die Erwartung der Ersteren ward getäuscht;
fast die ganze Oper wurde mit der größten Gleichgültigkeit angehört.
Der erste Act und ein Theil des dritten wurden mit Beifall aufgenom¬
men, alles Uebrige aber mit/Kälte empfangen. Eine große Anzahl.Zu-
hörer fanden, daß der Componist Unrecht gehabt habe, in einem Genre
Zu arbeiten, das nicht das seinige sei. Er hatte, sagte man, K'rast und


In diesen kölnischen Streit ließen sich, auch die höchste Gesellschaft/
die Damen von bestem Ton verflechten, ja sie nahmen mit Wärme daran
Theil. In den Soupers/ die damals noch Mode waren, kamen die geg/
nerischen Parteien zusammen, noch ganz toll und fortgerissen von den
Eindrücken, die sie im Theater empfangen hatten; man stritt mit heftig¬
ster Erbitterung, ohne Rücksichtsnahme auf Anstand und Freundschaft.
Vom Anfang dieser Streitigkeit an hatte sich die Zwietracht aller Gei¬
ster bemächtigt;, Amdemieen, literarische Gesellschaften,^ Kaffeehäuser, —
Alles war durch sie verwirrt worden. Leute, die einander früher am
Meisten gesucht hatten, flohen einander jetzt; selbst die Diners, die sonst
alle Arten Geister und Charactere so glücklich versöhnen, athmeten nur
noch Zwang und Mißtrauen; die sonst zahlreichsten, glänzendsten Ver¬
sammlungen waren jetzt halb verlassen zum Vortheil des Theaters. Alle
übrigen, selbst die theologischen Parteiunterscheidungen schwanden; man
frug nur: Gluckist oder Piccinist? Die Pariser Gesellschaft bot dem
Auge des, Beschauers ein merkwürdigeres Beispiel dar als der Streitge¬
genstand selbst. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß das Epigramm,
das damals überhaupt an der Tagesordnung war, auch für die Vor¬
kämpfer, der beiden Parteien die gewöhnlichste Waffe abgab. Marmontel
kam dabei gewöhnlich am schlimmsten weg; denn die Gluckisten hatten
nicht aufgehört, in allen ihnen zu Gebote stehenden Blättern ihn.anzu¬
greifen urd zu mißhandeln, seitdem sein Versuch über.die musica¬
lischen Revolutionen in Frankreich erschienen war, obgleich diese,
mit grosser Unparteilichkeit verfaßte Schrift dem Componisten der Alceste
vollkommene Gerechtigkeit widerfahren ließ, indem er die ausgezeichneten
Dienste anerkannte, welche die Aufführung seiner verschiedenen Werke
der französischen Musik geleistet hatte.

Die erste Aufführung der Armida fand statt an der Oper am 28.
September 1777. Die Freunde Glucks, so wie seine Gegner erwarteten
das Ereignis) mit gleicher Ungeduld; die einen in der Hoffnung,, ein
glänzender Erfolg werde den Ruhm des großen Componisten noch ver¬
mehren; die andern im Gegentheil suchten hier die Gelegenheit und den
Stoff zu neuen Angriffen. Die Erwartung der Ersteren ward getäuscht;
fast die ganze Oper wurde mit der größten Gleichgültigkeit angehört.
Der erste Act und ein Theil des dritten wurden mit Beifall aufgenom¬
men, alles Uebrige aber mit/Kälte empfangen. Eine große Anzahl.Zu-
hörer fanden, daß der Componist Unrecht gehabt habe, in einem Genre
Zu arbeiten, das nicht das seinige sei. Er hatte, sagte man, K'rast und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/278>, abgerufen am 22.12.2024.