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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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in einiger Entfernung von wenigen Fuß über den Effect von Statuen
urtheilen wollten, die bestimmt warm, auf hohe Säulen gestellt zu wer¬
den. Einer jener verzärtelten Kunstfreunde, die ihre ganze Seele in die
Ohren gelegt haben, wird vielleicht irgend eine Arie zu rauh, eine Stelle
zu hart oder nicht gehörig vorbereitet gefunden haben, ohne zu beden¬
ken, daß diese Arie, diese Stelle in der Situation, für die sie bestimmt
sind, der erhabenste Ausdruck waren, den die Kunst finden konnte, und
daß sie den glücklichsten Gegensatz bildeten. Ein pedantischer Harmonist
wird vielleicht eine geistreiche Nachlässigkeit oder einen Druckfehler be¬
merkt, und sich rasch beeilt haben, auf die eine wie die andere das
Publikum aufmerksam zu machen, als auf eben so viele unverzeihliche
Sünden gegen die Mysterien der Harmonie; und öd werden sich bald
Stimmen genug gefunden haben, um über diese Musik, als eine barba¬
rische, wilde und ungereimte, das Verdammungsurtl)an auszusprechen."

Es ist ein unerfreuliches Schauspiel, wenn ein großer Künstler
sich zum Lobredner seiner eigenen Werke macht, und sich mit der Kritik
in einen Streit über das Verdienst derselben einläßt. Man erzwingt
die Bewunderung des Publikums für ein Kunstwerk nicht durch kaltes
Raisonnement; die Bewunderung ist ein freiwilliges, miwiNührliches
Gefühl, das von selbst kommen muß, und das gewöhnlich den Bewer¬
bungen, die man darum macht, widersteht. Deutschland hat sich, man
kann dies nicht läugnen, in Bezug auf ein so bedeutendes Genie, als
Gluck war, lange Zeit ungerecht benommen, während es jetzt Glucks
Namen unter diejenigen Musiker zählt, durch deren Besitz es sich am
Meisten geehrt fühlt.

Da die italienischen Gedichte, welche Gluck bisher in Musik gesetzt
hatte, seinen Ansichten nicht ganz entsprochen hatten, weil die italienische
Bühne gewisse beengende Nothwendigkeiten hat, denen der Schriftsteller
sich fügen muß, so wollte er einen Versuch machen, für die französische
Bühne zu componiren. Ueberzeugt, daß es Hin in dieser für ihn ganz
neuen Schreibart besser gelingen würde, seine Gefühle auszudrücken,
wandte er sich an den Ballet de Rottet, der sich im Jahre 1772 als
Attache der französischen Gesandtschaft zu Wien befand, und der es über
sich nahm, mit dem Direktor der Oper zu Paris in Unterhandlung zu
treten, damit man Gluck zu einer Composition auf dieses Theater, enga-
gire. Der Battel, ein geistreicher Mann, den seine musikalische Kenntnisse
in den - Stand setzten, Glück's Erfolge in seiner neuen Laufbahn zu
ahnen, rieth ihm, das Trauerspiel "Iphigenie," zum Stoss seines


in einiger Entfernung von wenigen Fuß über den Effect von Statuen
urtheilen wollten, die bestimmt warm, auf hohe Säulen gestellt zu wer¬
den. Einer jener verzärtelten Kunstfreunde, die ihre ganze Seele in die
Ohren gelegt haben, wird vielleicht irgend eine Arie zu rauh, eine Stelle
zu hart oder nicht gehörig vorbereitet gefunden haben, ohne zu beden¬
ken, daß diese Arie, diese Stelle in der Situation, für die sie bestimmt
sind, der erhabenste Ausdruck waren, den die Kunst finden konnte, und
daß sie den glücklichsten Gegensatz bildeten. Ein pedantischer Harmonist
wird vielleicht eine geistreiche Nachlässigkeit oder einen Druckfehler be¬
merkt, und sich rasch beeilt haben, auf die eine wie die andere das
Publikum aufmerksam zu machen, als auf eben so viele unverzeihliche
Sünden gegen die Mysterien der Harmonie; und öd werden sich bald
Stimmen genug gefunden haben, um über diese Musik, als eine barba¬
rische, wilde und ungereimte, das Verdammungsurtl)an auszusprechen."

Es ist ein unerfreuliches Schauspiel, wenn ein großer Künstler
sich zum Lobredner seiner eigenen Werke macht, und sich mit der Kritik
in einen Streit über das Verdienst derselben einläßt. Man erzwingt
die Bewunderung des Publikums für ein Kunstwerk nicht durch kaltes
Raisonnement; die Bewunderung ist ein freiwilliges, miwiNührliches
Gefühl, das von selbst kommen muß, und das gewöhnlich den Bewer¬
bungen, die man darum macht, widersteht. Deutschland hat sich, man
kann dies nicht läugnen, in Bezug auf ein so bedeutendes Genie, als
Gluck war, lange Zeit ungerecht benommen, während es jetzt Glucks
Namen unter diejenigen Musiker zählt, durch deren Besitz es sich am
Meisten geehrt fühlt.

Da die italienischen Gedichte, welche Gluck bisher in Musik gesetzt
hatte, seinen Ansichten nicht ganz entsprochen hatten, weil die italienische
Bühne gewisse beengende Nothwendigkeiten hat, denen der Schriftsteller
sich fügen muß, so wollte er einen Versuch machen, für die französische
Bühne zu componiren. Ueberzeugt, daß es Hin in dieser für ihn ganz
neuen Schreibart besser gelingen würde, seine Gefühle auszudrücken,
wandte er sich an den Ballet de Rottet, der sich im Jahre 1772 als
Attache der französischen Gesandtschaft zu Wien befand, und der es über
sich nahm, mit dem Direktor der Oper zu Paris in Unterhandlung zu
treten, damit man Gluck zu einer Composition auf dieses Theater, enga-
gire. Der Battel, ein geistreicher Mann, den seine musikalische Kenntnisse
in den - Stand setzten, Glück's Erfolge in seiner neuen Laufbahn zu
ahnen, rieth ihm, das Trauerspiel „Iphigenie," zum Stoss seines


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[0269] in einiger Entfernung von wenigen Fuß über den Effect von Statuen urtheilen wollten, die bestimmt warm, auf hohe Säulen gestellt zu wer¬ den. Einer jener verzärtelten Kunstfreunde, die ihre ganze Seele in die Ohren gelegt haben, wird vielleicht irgend eine Arie zu rauh, eine Stelle zu hart oder nicht gehörig vorbereitet gefunden haben, ohne zu beden¬ ken, daß diese Arie, diese Stelle in der Situation, für die sie bestimmt sind, der erhabenste Ausdruck waren, den die Kunst finden konnte, und daß sie den glücklichsten Gegensatz bildeten. Ein pedantischer Harmonist wird vielleicht eine geistreiche Nachlässigkeit oder einen Druckfehler be¬ merkt, und sich rasch beeilt haben, auf die eine wie die andere das Publikum aufmerksam zu machen, als auf eben so viele unverzeihliche Sünden gegen die Mysterien der Harmonie; und öd werden sich bald Stimmen genug gefunden haben, um über diese Musik, als eine barba¬ rische, wilde und ungereimte, das Verdammungsurtl)an auszusprechen." Es ist ein unerfreuliches Schauspiel, wenn ein großer Künstler sich zum Lobredner seiner eigenen Werke macht, und sich mit der Kritik in einen Streit über das Verdienst derselben einläßt. Man erzwingt die Bewunderung des Publikums für ein Kunstwerk nicht durch kaltes Raisonnement; die Bewunderung ist ein freiwilliges, miwiNührliches Gefühl, das von selbst kommen muß, und das gewöhnlich den Bewer¬ bungen, die man darum macht, widersteht. Deutschland hat sich, man kann dies nicht läugnen, in Bezug auf ein so bedeutendes Genie, als Gluck war, lange Zeit ungerecht benommen, während es jetzt Glucks Namen unter diejenigen Musiker zählt, durch deren Besitz es sich am Meisten geehrt fühlt. Da die italienischen Gedichte, welche Gluck bisher in Musik gesetzt hatte, seinen Ansichten nicht ganz entsprochen hatten, weil die italienische Bühne gewisse beengende Nothwendigkeiten hat, denen der Schriftsteller sich fügen muß, so wollte er einen Versuch machen, für die französische Bühne zu componiren. Ueberzeugt, daß es Hin in dieser für ihn ganz neuen Schreibart besser gelingen würde, seine Gefühle auszudrücken, wandte er sich an den Ballet de Rottet, der sich im Jahre 1772 als Attache der französischen Gesandtschaft zu Wien befand, und der es über sich nahm, mit dem Direktor der Oper zu Paris in Unterhandlung zu treten, damit man Gluck zu einer Composition auf dieses Theater, enga- gire. Der Battel, ein geistreicher Mann, den seine musikalische Kenntnisse in den - Stand setzten, Glück's Erfolge in seiner neuen Laufbahn zu ahnen, rieth ihm, das Trauerspiel „Iphigenie," zum Stoss seines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/269>, abgerufen am 22.12.2024.