Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

dessen Dramen aber eine für die Musik passende Anordnung hatten, und
Situationen von großem Effekt darboten. Mit Hülfe dieses einsichtsvol¬
len Mitarbeiters schrieb er zu Wien während der Jahre von 1761 bis
1764 seine drei Opern, Alceste, Paris und Helena und Orpheus.
Die Partituren sind nebst italienischem Terte zu Paris 1769 in Kup¬
ferstich erschienen, und zwar auf Kosten des Grafen von Durazzo, eines
großen Musikfreundes, und durch die Sorgfalt Favart'ö, wie man dies
aus der literarischen Correspondenz des letzteren ersteht. Den ersten bei¬
den dieser Opern setzte Gluck Dcdicationö-Episteln vor, in denen er von
seinen Ideen über dramatische Musik, und von dein Plan, den er in
seinen Werken befolgt hat, Rechenschaft ablegt. Diese beiden Stücke sind
natürlich vom höchsten Interesse, indem sie uns das Ziel zeigen, daß
sich der große Künstler vorgesteckt Hat, sowie die Mittel, die er zu des¬
enErreiunanewandt.

Als Gluck die Musik zur Oper Alceste zu schreiben unternahm,
faßte er, wie er sagt, den Vorsatz, alle Mißbräuche zu vermeiden,
welche durch die übel verstandene Eitelkeit der Sänger, und durch die
übertriebene Gefälligkeit der Componisten in die italienische Oper sich
eingeschlichen hatten, und wodurch das glanzvollste und schönste aller
Schauspiele in ein überaus langweiliges und lächerliches umgewandelt
worden war. Er suchte der Musik ihre wahre Thätigkeit wiederzuge¬
ben, die darin bestände, die Poesie zu unterstützen, um den Ausdruck
der Gefühle und das Interesse der Situationen zu verstärken, ohne je¬
doch die Handlung zu unterbrechen, und sie durch überflüssige Zierrathen
zu erkälten. Er hütete sich, einen Schauspieler in der Hitze seines Dia¬
logs zu unterbrechen, um ihn auf ein geschmackloses Nitorncll warten
zu lassen, oder ihn mitten in seiner Rede an einem günstigen Vocale
anzuhalten, um ihm entweder in einer langen Passage Gelegenheit zur
Entwicklung der Gelenkigkeit seiner schönen Stimme zu verschaffen, oder
ihm dnrch Beschäftigung des bloßen Orchesters Zeit zum Athemho¬
len zu geben, um eine Fermate auszuführen. Er glaubte nicht, gleich
seinen Vorgängern, rasch über den zweiten Theil einer Arie weggehen
zu dürfen, wenn dieser gerade der imponircndste und leidenschaftlichste
war, um die Worte viermal zu wiederholen; noch glaubte er die Arie
so enden zu dürfen, daß der Sinn unterbrochen wurde, bannt dem Sän¬
ger eine Gelegenheit gegeben werde, dem Publikum zu zeigen, daß er
eine Stelle nach Belieben und auf verschiedene Arten variiren könne.
Ferner war Gluck der Ansicht, daß die Ouvertüre dem Zuschauer von


dessen Dramen aber eine für die Musik passende Anordnung hatten, und
Situationen von großem Effekt darboten. Mit Hülfe dieses einsichtsvol¬
len Mitarbeiters schrieb er zu Wien während der Jahre von 1761 bis
1764 seine drei Opern, Alceste, Paris und Helena und Orpheus.
Die Partituren sind nebst italienischem Terte zu Paris 1769 in Kup¬
ferstich erschienen, und zwar auf Kosten des Grafen von Durazzo, eines
großen Musikfreundes, und durch die Sorgfalt Favart'ö, wie man dies
aus der literarischen Correspondenz des letzteren ersteht. Den ersten bei¬
den dieser Opern setzte Gluck Dcdicationö-Episteln vor, in denen er von
seinen Ideen über dramatische Musik, und von dein Plan, den er in
seinen Werken befolgt hat, Rechenschaft ablegt. Diese beiden Stücke sind
natürlich vom höchsten Interesse, indem sie uns das Ziel zeigen, daß
sich der große Künstler vorgesteckt Hat, sowie die Mittel, die er zu des¬
enErreiunanewandt.

Als Gluck die Musik zur Oper Alceste zu schreiben unternahm,
faßte er, wie er sagt, den Vorsatz, alle Mißbräuche zu vermeiden,
welche durch die übel verstandene Eitelkeit der Sänger, und durch die
übertriebene Gefälligkeit der Componisten in die italienische Oper sich
eingeschlichen hatten, und wodurch das glanzvollste und schönste aller
Schauspiele in ein überaus langweiliges und lächerliches umgewandelt
worden war. Er suchte der Musik ihre wahre Thätigkeit wiederzuge¬
ben, die darin bestände, die Poesie zu unterstützen, um den Ausdruck
der Gefühle und das Interesse der Situationen zu verstärken, ohne je¬
doch die Handlung zu unterbrechen, und sie durch überflüssige Zierrathen
zu erkälten. Er hütete sich, einen Schauspieler in der Hitze seines Dia¬
logs zu unterbrechen, um ihn auf ein geschmackloses Nitorncll warten
zu lassen, oder ihn mitten in seiner Rede an einem günstigen Vocale
anzuhalten, um ihm entweder in einer langen Passage Gelegenheit zur
Entwicklung der Gelenkigkeit seiner schönen Stimme zu verschaffen, oder
ihm dnrch Beschäftigung des bloßen Orchesters Zeit zum Athemho¬
len zu geben, um eine Fermate auszuführen. Er glaubte nicht, gleich
seinen Vorgängern, rasch über den zweiten Theil einer Arie weggehen
zu dürfen, wenn dieser gerade der imponircndste und leidenschaftlichste
war, um die Worte viermal zu wiederholen; noch glaubte er die Arie
so enden zu dürfen, daß der Sinn unterbrochen wurde, bannt dem Sän¬
ger eine Gelegenheit gegeben werde, dem Publikum zu zeigen, daß er
eine Stelle nach Belieben und auf verschiedene Arten variiren könne.
Ferner war Gluck der Ansicht, daß die Ouvertüre dem Zuschauer von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0267" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267481"/>
          <p xml:id="ID_1076" prev="#ID_1075"> dessen Dramen aber eine für die Musik passende Anordnung hatten, und<lb/>
Situationen von großem Effekt darboten. Mit Hülfe dieses einsichtsvol¬<lb/>
len Mitarbeiters schrieb er zu Wien während der Jahre von 1761 bis<lb/>
1764 seine drei Opern, Alceste, Paris und Helena und Orpheus.<lb/>
Die Partituren sind nebst italienischem Terte zu Paris 1769 in Kup¬<lb/>
ferstich erschienen, und zwar auf Kosten des Grafen von Durazzo, eines<lb/>
großen Musikfreundes, und durch die Sorgfalt Favart'ö, wie man dies<lb/>
aus der literarischen Correspondenz des letzteren ersteht. Den ersten bei¬<lb/>
den dieser Opern setzte Gluck Dcdicationö-Episteln vor, in denen er von<lb/>
seinen Ideen über dramatische Musik, und von dein Plan, den er in<lb/>
seinen Werken befolgt hat, Rechenschaft ablegt. Diese beiden Stücke sind<lb/>
natürlich vom höchsten Interesse, indem sie uns das Ziel zeigen, daß<lb/>
sich der große Künstler vorgesteckt Hat, sowie die Mittel, die er zu des¬<lb/>
enErreiunanewandt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1077" next="#ID_1078"> Als Gluck die Musik zur Oper Alceste zu schreiben unternahm,<lb/>
faßte er, wie er sagt, den Vorsatz, alle Mißbräuche zu vermeiden,<lb/>
welche durch die übel verstandene Eitelkeit der Sänger, und durch die<lb/>
übertriebene Gefälligkeit der Componisten in die italienische Oper sich<lb/>
eingeschlichen hatten, und wodurch das glanzvollste und schönste aller<lb/>
Schauspiele in ein überaus langweiliges und lächerliches umgewandelt<lb/>
worden war. Er suchte der Musik ihre wahre Thätigkeit wiederzuge¬<lb/>
ben, die darin bestände, die Poesie zu unterstützen, um den Ausdruck<lb/>
der Gefühle und das Interesse der Situationen zu verstärken, ohne je¬<lb/>
doch die Handlung zu unterbrechen, und sie durch überflüssige Zierrathen<lb/>
zu erkälten. Er hütete sich, einen Schauspieler in der Hitze seines Dia¬<lb/>
logs zu unterbrechen, um ihn auf ein geschmackloses Nitorncll warten<lb/>
zu lassen, oder ihn mitten in seiner Rede an einem günstigen Vocale<lb/>
anzuhalten, um ihm entweder in einer langen Passage Gelegenheit zur<lb/>
Entwicklung der Gelenkigkeit seiner schönen Stimme zu verschaffen, oder<lb/>
ihm dnrch Beschäftigung des bloßen Orchesters Zeit zum Athemho¬<lb/>
len zu geben, um eine Fermate auszuführen. Er glaubte nicht, gleich<lb/>
seinen Vorgängern, rasch über den zweiten Theil einer Arie weggehen<lb/>
zu dürfen, wenn dieser gerade der imponircndste und leidenschaftlichste<lb/>
war, um die Worte viermal zu wiederholen; noch glaubte er die Arie<lb/>
so enden zu dürfen, daß der Sinn unterbrochen wurde, bannt dem Sän¬<lb/>
ger eine Gelegenheit gegeben werde, dem Publikum zu zeigen, daß er<lb/>
eine Stelle nach Belieben und auf verschiedene Arten variiren könne.<lb/>
Ferner war Gluck der Ansicht, daß die Ouvertüre dem Zuschauer von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0267] dessen Dramen aber eine für die Musik passende Anordnung hatten, und Situationen von großem Effekt darboten. Mit Hülfe dieses einsichtsvol¬ len Mitarbeiters schrieb er zu Wien während der Jahre von 1761 bis 1764 seine drei Opern, Alceste, Paris und Helena und Orpheus. Die Partituren sind nebst italienischem Terte zu Paris 1769 in Kup¬ ferstich erschienen, und zwar auf Kosten des Grafen von Durazzo, eines großen Musikfreundes, und durch die Sorgfalt Favart'ö, wie man dies aus der literarischen Correspondenz des letzteren ersteht. Den ersten bei¬ den dieser Opern setzte Gluck Dcdicationö-Episteln vor, in denen er von seinen Ideen über dramatische Musik, und von dein Plan, den er in seinen Werken befolgt hat, Rechenschaft ablegt. Diese beiden Stücke sind natürlich vom höchsten Interesse, indem sie uns das Ziel zeigen, daß sich der große Künstler vorgesteckt Hat, sowie die Mittel, die er zu des¬ enErreiunanewandt. Als Gluck die Musik zur Oper Alceste zu schreiben unternahm, faßte er, wie er sagt, den Vorsatz, alle Mißbräuche zu vermeiden, welche durch die übel verstandene Eitelkeit der Sänger, und durch die übertriebene Gefälligkeit der Componisten in die italienische Oper sich eingeschlichen hatten, und wodurch das glanzvollste und schönste aller Schauspiele in ein überaus langweiliges und lächerliches umgewandelt worden war. Er suchte der Musik ihre wahre Thätigkeit wiederzuge¬ ben, die darin bestände, die Poesie zu unterstützen, um den Ausdruck der Gefühle und das Interesse der Situationen zu verstärken, ohne je¬ doch die Handlung zu unterbrechen, und sie durch überflüssige Zierrathen zu erkälten. Er hütete sich, einen Schauspieler in der Hitze seines Dia¬ logs zu unterbrechen, um ihn auf ein geschmackloses Nitorncll warten zu lassen, oder ihn mitten in seiner Rede an einem günstigen Vocale anzuhalten, um ihm entweder in einer langen Passage Gelegenheit zur Entwicklung der Gelenkigkeit seiner schönen Stimme zu verschaffen, oder ihm dnrch Beschäftigung des bloßen Orchesters Zeit zum Athemho¬ len zu geben, um eine Fermate auszuführen. Er glaubte nicht, gleich seinen Vorgängern, rasch über den zweiten Theil einer Arie weggehen zu dürfen, wenn dieser gerade der imponircndste und leidenschaftlichste war, um die Worte viermal zu wiederholen; noch glaubte er die Arie so enden zu dürfen, daß der Sinn unterbrochen wurde, bannt dem Sän¬ ger eine Gelegenheit gegeben werde, dem Publikum zu zeigen, daß er eine Stelle nach Belieben und auf verschiedene Arten variiren könne. Ferner war Gluck der Ansicht, daß die Ouvertüre dem Zuschauer von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/267
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/267>, abgerufen am 22.12.2024.