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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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den Socialismus geworfen hat, kann man wohl sagen, daß ihre schöne
Geisteskraft sich in ein Labyrinth von Sophismen verirrte, aus dem
wir durchaus keinen Ausgang für sie möglich sehen. Es scheint uns eine
sehr schwere Aufgabe, zu bestimmen, welcher Meinung Georges Sand,
als Organ dienen kann? Man kann mit Sicherheit nur Eins von ihr sagen,
daß sie nämlich ein wesentlich revolutionairer Geist ist. Aber was ist
das Ziel ihres Strebens? Ob sie es selbst wohl weiß? Wäre Georges
Sand, wie in ihren ersten Romanen, eine Frau geblieben, so würden
wir den Apostel der Frauenemancipation in ihr sehen. Eine Zeitlang
war man zu dem Glauben berechtigt, sie versuche die Grundlagen einer
neuen Moral aufzuführen, um die Familienbeziehungcn/ wie sie daS
Christenthum und das aus ihm hervorgegangene Gesetz sanctionirt haben,
zu ändern. Bald aber, nachdem sie in einer Art Durchgangsepoche,
(welcher ihr Roman ,/Spiridion" angehört,) das republikanische Chri¬
stenthum Lamennais hinter sich gelassen hatte, hat sich ihrer eine aus¬
schließliche Sympathie für die arbeitenden Klassen bemächtigt und das
Lob ihrer edlen Eigenschaften, die Verherrlichung des verkannten Genies,
von denen die Werkstätten wimmeln, -- das sind seit einiger Zeit die
Gegenstände, denen'sie ihre beredte Feder widmet. Aber das Alles dul¬
det noch keine Doctrin, die den Gegenstand einer Discussion abgeben
kann, und'wenn die-NeviiL incl^ienclante keinen andern leitenden
Grundsatz hätte, als den grausamen Haß zu entwickeln, von dem sich
Georges Sand in ihrem letzten Romane: ,/Der französische Wander¬
bursche" (T^o Loup"Fron ein de>in> cle ^rsneo) gegen den Theil der
Gesellschaft beseelt zeigt, der im Besitze der Macht und des Reichthums ist,
-- dann wäre uns der Zweck ihrer Gründung unbegreiflich. Die Re¬
vue aber zählt unter ihre Gründer auch noch einen dritten Schriftsteller,
der in der neuen Wissenschaft, die man die ,/Sociale Philosophie"
nennen kann, sich einen mit Recht berühmten Namen gemacht hat. Wir
meinen Pierre Leroux, der es übernommen, das Dogma, zu dessen
Veröffentlichung und Verbreitung die neue Neviie bestimmt ist, den Le¬
sern auseinanderzusetzen. Es sind hauptsächlich die von ihm in dieser
Monatsschrift erschienenen' Artikel, welche uns einer nachdenklicheren Prü¬
fung würdig getaucht haben.

Unser Jahrhundert beschäftigt sich viel mit socialen THeorieen: es
ist dieß eine streng logische Folge der großen Revolution, die das vorige
abgeschlossen hat. Voll Schreckens, da es > so viel zerstört sah, will es
den Ruhm des Wiederaufbcmens haben. Es fühlt wohl, daß sich die Ge-


den Socialismus geworfen hat, kann man wohl sagen, daß ihre schöne
Geisteskraft sich in ein Labyrinth von Sophismen verirrte, aus dem
wir durchaus keinen Ausgang für sie möglich sehen. Es scheint uns eine
sehr schwere Aufgabe, zu bestimmen, welcher Meinung Georges Sand,
als Organ dienen kann? Man kann mit Sicherheit nur Eins von ihr sagen,
daß sie nämlich ein wesentlich revolutionairer Geist ist. Aber was ist
das Ziel ihres Strebens? Ob sie es selbst wohl weiß? Wäre Georges
Sand, wie in ihren ersten Romanen, eine Frau geblieben, so würden
wir den Apostel der Frauenemancipation in ihr sehen. Eine Zeitlang
war man zu dem Glauben berechtigt, sie versuche die Grundlagen einer
neuen Moral aufzuführen, um die Familienbeziehungcn/ wie sie daS
Christenthum und das aus ihm hervorgegangene Gesetz sanctionirt haben,
zu ändern. Bald aber, nachdem sie in einer Art Durchgangsepoche,
(welcher ihr Roman ,/Spiridion" angehört,) das republikanische Chri¬
stenthum Lamennais hinter sich gelassen hatte, hat sich ihrer eine aus¬
schließliche Sympathie für die arbeitenden Klassen bemächtigt und das
Lob ihrer edlen Eigenschaften, die Verherrlichung des verkannten Genies,
von denen die Werkstätten wimmeln, — das sind seit einiger Zeit die
Gegenstände, denen'sie ihre beredte Feder widmet. Aber das Alles dul¬
det noch keine Doctrin, die den Gegenstand einer Discussion abgeben
kann, und'wenn die-NeviiL incl^ienclante keinen andern leitenden
Grundsatz hätte, als den grausamen Haß zu entwickeln, von dem sich
Georges Sand in ihrem letzten Romane: ,/Der französische Wander¬
bursche" (T^o Loup»Fron ein de>in> cle ^rsneo) gegen den Theil der
Gesellschaft beseelt zeigt, der im Besitze der Macht und des Reichthums ist,
— dann wäre uns der Zweck ihrer Gründung unbegreiflich. Die Re¬
vue aber zählt unter ihre Gründer auch noch einen dritten Schriftsteller,
der in der neuen Wissenschaft, die man die ,/Sociale Philosophie"
nennen kann, sich einen mit Recht berühmten Namen gemacht hat. Wir
meinen Pierre Leroux, der es übernommen, das Dogma, zu dessen
Veröffentlichung und Verbreitung die neue Neviie bestimmt ist, den Le¬
sern auseinanderzusetzen. Es sind hauptsächlich die von ihm in dieser
Monatsschrift erschienenen' Artikel, welche uns einer nachdenklicheren Prü¬
fung würdig getaucht haben.

Unser Jahrhundert beschäftigt sich viel mit socialen THeorieen: es
ist dieß eine streng logische Folge der großen Revolution, die das vorige
abgeschlossen hat. Voll Schreckens, da es > so viel zerstört sah, will es
den Ruhm des Wiederaufbcmens haben. Es fühlt wohl, daß sich die Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/235>, abgerufen am 25.08.2024.