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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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che wie auf einem Amboß zurcchtschlug. -- In der Tragödie verfiel
man auf die Nachahmung Senckas, eines affectirter, rhetorischen Schrift¬
stellers, dessen Nachwirkung in der französischen Poesie nur zu stark ge¬
wesen ist. Denn aus ihm Holle man sich ein falsches Muster der so¬
genannten antiken Tragödie. Glücklicher war man in der Comödie,
welche auch, in jener Zeit der Aufregung, mehr Stoff zu finden schien.
Auch die Satire duldete durch Regnier auf, den "originellsten Po¬
eten, den Frankreich seit Viktor besessen." Er erhob sich, wie nach ihm
Moliere, zur wahren Satire, welche allgemeine Fehler und Widersprü-
che im Menschenleben behandelt. Ueberhaupt dominirt dem Gehalte nach,
diese ganze Epoche hindurch, der Witz mit dem ihm verwandten Geistes¬
kräften, während der Ernst mehr eine formale, regulirende Macht be¬
hauptete, und dem Verse seinen gemessenen Gang' vorschrieb. Es kam
darauf an, einerseits alle falschen Autoritäten zu entblößen, andrerseits aber
der Sprache eine Norm anzulegen, um sür die nächste Periode, die der
edlern Dichtung, der Kunst des Schönen, eine Stätte zu bereiten. --
Von Montaigne urtheilt Herr Baron: er sei "der erste Prosaist
und der erste, Moralist des 16. Jahrhunderts." Dieser Autor war, wie
sein Zeitalter, noch unentschieden, aber rüstig der Aufklärung entgegen¬
schreitend, zugleich skeptisch und, autoritätsunterthan; was ihn auszeich¬
net, ist die tüchtige Gesinnung. -- Ans Ende dieses ganzen Abschnittes
fällt die Menippische Satire, ein gemeinschaftliches Unternehmen
mehrer Schriftsteller, "voll Allegorie, Ironie Beredsamkeit, Verstand";
ein wahrer Inbegriff aller Zeitrichtungen, trachtend nach dem "Siege der
Vernunft, der Toleranz und der gesetzlichen Freiheit," steht sie auf der
Grenze einer Epoche der Unordnung und des Widerstrebens und der ru¬
higern, gestaltenden Zeit, während der Heinrich ZVUiber Frankreich herrschte.

Den ganzen Zeitraum des 16. JarhundertS theilt Herr Baron in
drei Hauptabschnitte: der erste eine Periode der That, begreift die Wie¬
dergeburt der Wissenschaften durch die classischen Studien, die Befreiung
des Gedankens; der zweite begreift die Reaction dagegen, sowohl
durch die Unterdrückung des Protestantismus in Frankreich, als auch
die Zerwürfnisse unter den neuen Selten; der dritte endlich versuchten?
Ausgleichung der Gegensätze. Aus diesem Bestreben, dessen Ver¬
treter Heinrich ZV. ist, entspringt einestheils die christliche Philosophie,
angebaut durch Erasmus, weiter geführt durch Montaigne und Des-
cartes; und auf Seiten der Poesie, die große classische Schule, die von
Malherbe an gerechnet wird.


che wie auf einem Amboß zurcchtschlug. — In der Tragödie verfiel
man auf die Nachahmung Senckas, eines affectirter, rhetorischen Schrift¬
stellers, dessen Nachwirkung in der französischen Poesie nur zu stark ge¬
wesen ist. Denn aus ihm Holle man sich ein falsches Muster der so¬
genannten antiken Tragödie. Glücklicher war man in der Comödie,
welche auch, in jener Zeit der Aufregung, mehr Stoff zu finden schien.
Auch die Satire duldete durch Regnier auf, den „originellsten Po¬
eten, den Frankreich seit Viktor besessen." Er erhob sich, wie nach ihm
Moliere, zur wahren Satire, welche allgemeine Fehler und Widersprü-
che im Menschenleben behandelt. Ueberhaupt dominirt dem Gehalte nach,
diese ganze Epoche hindurch, der Witz mit dem ihm verwandten Geistes¬
kräften, während der Ernst mehr eine formale, regulirende Macht be¬
hauptete, und dem Verse seinen gemessenen Gang' vorschrieb. Es kam
darauf an, einerseits alle falschen Autoritäten zu entblößen, andrerseits aber
der Sprache eine Norm anzulegen, um sür die nächste Periode, die der
edlern Dichtung, der Kunst des Schönen, eine Stätte zu bereiten. —
Von Montaigne urtheilt Herr Baron: er sei „der erste Prosaist
und der erste, Moralist des 16. Jahrhunderts." Dieser Autor war, wie
sein Zeitalter, noch unentschieden, aber rüstig der Aufklärung entgegen¬
schreitend, zugleich skeptisch und, autoritätsunterthan; was ihn auszeich¬
net, ist die tüchtige Gesinnung. — Ans Ende dieses ganzen Abschnittes
fällt die Menippische Satire, ein gemeinschaftliches Unternehmen
mehrer Schriftsteller, „voll Allegorie, Ironie Beredsamkeit, Verstand";
ein wahrer Inbegriff aller Zeitrichtungen, trachtend nach dem „Siege der
Vernunft, der Toleranz und der gesetzlichen Freiheit," steht sie auf der
Grenze einer Epoche der Unordnung und des Widerstrebens und der ru¬
higern, gestaltenden Zeit, während der Heinrich ZVUiber Frankreich herrschte.

Den ganzen Zeitraum des 16. JarhundertS theilt Herr Baron in
drei Hauptabschnitte: der erste eine Periode der That, begreift die Wie¬
dergeburt der Wissenschaften durch die classischen Studien, die Befreiung
des Gedankens; der zweite begreift die Reaction dagegen, sowohl
durch die Unterdrückung des Protestantismus in Frankreich, als auch
die Zerwürfnisse unter den neuen Selten; der dritte endlich versuchten?
Ausgleichung der Gegensätze. Aus diesem Bestreben, dessen Ver¬
treter Heinrich ZV. ist, entspringt einestheils die christliche Philosophie,
angebaut durch Erasmus, weiter geführt durch Montaigne und Des-
cartes; und auf Seiten der Poesie, die große classische Schule, die von
Malherbe an gerechnet wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/225>, abgerufen am 03.07.2024.