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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Geschmack der Vornehmen solchen Dingen zugewandt, die noch keinen be¬
stimmten Preis haben. " Zwar ist nicht Jedermann hinlänglich Fenner,
um den Handel mit Zeichnungen zu betreiben; auch bat nicht Jedermann
in seinem jährlichen Budget ein Kapitel, das Kunstgegenstände überschrie¬
ben ist; aber die Wuth der Sammlungen verliert dabei nichts.

Man hat Siegel-Albums, Unterschriften-Albinus, Albums von Ein-
ladungs-Karten, Albums von Visiten-Karten. Was wir da sagen, ist
kein Scherz; es sind uns dergleichen Albums unter die Augen gekom¬
men, und-das nicht wenige. Ich kenne deren, die 12000 Siegel ent¬
halten, von der einfachsten Chiffre bis zum großen Wappensiegel der
Kanzeleien; andere enthalten 40 Seiten Unterschriften; ein Album ent¬
hält Einladungskarten zum Diner, die beweisen, daß der Eigenthümer
desselben seit 30 Jahren nicht zu Hause gespeisthat; das ist eine Samm¬
lung von Autographen, die wenig kostet, und daneben noch ein ganz
anderes Verdienst hat. Dieses Album ist auch noch in einer andern
Beziehung merkwürdig; man muß aber den Schlüssel zu diesem Ge¬
heimniß besitzen: unter jeder Einladung nämlich bemerkt man eine be¬
stimmte Anzahl Punkte, und das Mehr oder Minder derselben zeigt an,
ob das Diner gut oder schlecht, ausgezeichnet oder mittelmäßig gewesen.
Das Urtheil ist gefällt, und die Nachwelt wird es erfahren. Die Al¬
bums von Visitenkarten haben auch ihr eigenthümliches Interesse, aber
sie bieten nur eine Befriedigung der Eitelkeit dar, indem uns ihre Be¬
sitzer gern einreden wollen, daß alle die großen Personen, deren Namen
und Titel sie uns prunkhaft auf den Karten zeigen, diese wirklich bei
ihnen abgegeben haben.

Einen berühmten Mcdaillenliebhaber fragte man, wie es ihm mög¬
lich geworden sei, sich alle zu verschaffen, die er besitze; er erwiederte
mit köstlicher Naivetät: einen Theil habe ich gekauft, einen andern hat
man mir geschenkt, und einen dritten habe ich gestohlen. In diesen drei
Worten, und in dem letzten mehr als man glaubt, liegt das ganze Ge¬
heimniß der Sammlungen. Man kauft so wenig als möglich, man
läßt sich dagegen so viel nur möglich schenken, und was man ihm weder
schenken noch verkaufen will, das stiehlt der wahre Liebhaber.

Die Sucht, Unterschriften zu sammeln, ist nur ein armseliger Bastard
der Sucht nach Autographen. Nun haben diese seit einigen Jahren einen
bedeutenden Werth erhalten; wenn man daher Sammlungen von Auto¬
graphen durchblättert, ist man ganz erstaunt, eine große Anzahl Briefe
zu finden, die man nur noch in Folge der Handschrift erkennt, da die'


Geschmack der Vornehmen solchen Dingen zugewandt, die noch keinen be¬
stimmten Preis haben. " Zwar ist nicht Jedermann hinlänglich Fenner,
um den Handel mit Zeichnungen zu betreiben; auch bat nicht Jedermann
in seinem jährlichen Budget ein Kapitel, das Kunstgegenstände überschrie¬
ben ist; aber die Wuth der Sammlungen verliert dabei nichts.

Man hat Siegel-Albums, Unterschriften-Albinus, Albums von Ein-
ladungs-Karten, Albums von Visiten-Karten. Was wir da sagen, ist
kein Scherz; es sind uns dergleichen Albums unter die Augen gekom¬
men, und-das nicht wenige. Ich kenne deren, die 12000 Siegel ent¬
halten, von der einfachsten Chiffre bis zum großen Wappensiegel der
Kanzeleien; andere enthalten 40 Seiten Unterschriften; ein Album ent¬
hält Einladungskarten zum Diner, die beweisen, daß der Eigenthümer
desselben seit 30 Jahren nicht zu Hause gespeisthat; das ist eine Samm¬
lung von Autographen, die wenig kostet, und daneben noch ein ganz
anderes Verdienst hat. Dieses Album ist auch noch in einer andern
Beziehung merkwürdig; man muß aber den Schlüssel zu diesem Ge¬
heimniß besitzen: unter jeder Einladung nämlich bemerkt man eine be¬
stimmte Anzahl Punkte, und das Mehr oder Minder derselben zeigt an,
ob das Diner gut oder schlecht, ausgezeichnet oder mittelmäßig gewesen.
Das Urtheil ist gefällt, und die Nachwelt wird es erfahren. Die Al¬
bums von Visitenkarten haben auch ihr eigenthümliches Interesse, aber
sie bieten nur eine Befriedigung der Eitelkeit dar, indem uns ihre Be¬
sitzer gern einreden wollen, daß alle die großen Personen, deren Namen
und Titel sie uns prunkhaft auf den Karten zeigen, diese wirklich bei
ihnen abgegeben haben.

Einen berühmten Mcdaillenliebhaber fragte man, wie es ihm mög¬
lich geworden sei, sich alle zu verschaffen, die er besitze; er erwiederte
mit köstlicher Naivetät: einen Theil habe ich gekauft, einen andern hat
man mir geschenkt, und einen dritten habe ich gestohlen. In diesen drei
Worten, und in dem letzten mehr als man glaubt, liegt das ganze Ge¬
heimniß der Sammlungen. Man kauft so wenig als möglich, man
läßt sich dagegen so viel nur möglich schenken, und was man ihm weder
schenken noch verkaufen will, das stiehlt der wahre Liebhaber.

Die Sucht, Unterschriften zu sammeln, ist nur ein armseliger Bastard
der Sucht nach Autographen. Nun haben diese seit einigen Jahren einen
bedeutenden Werth erhalten; wenn man daher Sammlungen von Auto¬
graphen durchblättert, ist man ganz erstaunt, eine große Anzahl Briefe
zu finden, die man nur noch in Folge der Handschrift erkennt, da die'


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[0209] Geschmack der Vornehmen solchen Dingen zugewandt, die noch keinen be¬ stimmten Preis haben. " Zwar ist nicht Jedermann hinlänglich Fenner, um den Handel mit Zeichnungen zu betreiben; auch bat nicht Jedermann in seinem jährlichen Budget ein Kapitel, das Kunstgegenstände überschrie¬ ben ist; aber die Wuth der Sammlungen verliert dabei nichts. Man hat Siegel-Albums, Unterschriften-Albinus, Albums von Ein- ladungs-Karten, Albums von Visiten-Karten. Was wir da sagen, ist kein Scherz; es sind uns dergleichen Albums unter die Augen gekom¬ men, und-das nicht wenige. Ich kenne deren, die 12000 Siegel ent¬ halten, von der einfachsten Chiffre bis zum großen Wappensiegel der Kanzeleien; andere enthalten 40 Seiten Unterschriften; ein Album ent¬ hält Einladungskarten zum Diner, die beweisen, daß der Eigenthümer desselben seit 30 Jahren nicht zu Hause gespeisthat; das ist eine Samm¬ lung von Autographen, die wenig kostet, und daneben noch ein ganz anderes Verdienst hat. Dieses Album ist auch noch in einer andern Beziehung merkwürdig; man muß aber den Schlüssel zu diesem Ge¬ heimniß besitzen: unter jeder Einladung nämlich bemerkt man eine be¬ stimmte Anzahl Punkte, und das Mehr oder Minder derselben zeigt an, ob das Diner gut oder schlecht, ausgezeichnet oder mittelmäßig gewesen. Das Urtheil ist gefällt, und die Nachwelt wird es erfahren. Die Al¬ bums von Visitenkarten haben auch ihr eigenthümliches Interesse, aber sie bieten nur eine Befriedigung der Eitelkeit dar, indem uns ihre Be¬ sitzer gern einreden wollen, daß alle die großen Personen, deren Namen und Titel sie uns prunkhaft auf den Karten zeigen, diese wirklich bei ihnen abgegeben haben. Einen berühmten Mcdaillenliebhaber fragte man, wie es ihm mög¬ lich geworden sei, sich alle zu verschaffen, die er besitze; er erwiederte mit köstlicher Naivetät: einen Theil habe ich gekauft, einen andern hat man mir geschenkt, und einen dritten habe ich gestohlen. In diesen drei Worten, und in dem letzten mehr als man glaubt, liegt das ganze Ge¬ heimniß der Sammlungen. Man kauft so wenig als möglich, man läßt sich dagegen so viel nur möglich schenken, und was man ihm weder schenken noch verkaufen will, das stiehlt der wahre Liebhaber. Die Sucht, Unterschriften zu sammeln, ist nur ein armseliger Bastard der Sucht nach Autographen. Nun haben diese seit einigen Jahren einen bedeutenden Werth erhalten; wenn man daher Sammlungen von Auto¬ graphen durchblättert, ist man ganz erstaunt, eine große Anzahl Briefe zu finden, die man nur noch in Folge der Handschrift erkennt, da die'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/209>, abgerufen am 23.07.2024.