Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

dem ich mich allmählig über die blos materielle Betrachtung der Dinge
hinausschwcmg, glaubte ich in diesen Kohlenbecken, die man mit so
roher Gewalt dem Boden entreißt, alle du wunderbaren Erfindungen
vor mir zu scheu, welche der Dampf ins Leben gerufen hat; es ging
mir wie dem Verehrer der Kunst, der aus einem plumpen Marmorblock
die herrlichsten Bildsäulen herausschaue. Der Weltgeist trat vor mein
innerrs Auge, und jene Kohlengräber nehmen für mich einen geheiligten
Charakter an, sie erschienen mir als geheimnißvolle Genien, als die
höchsten Schiedsrichter unseres Zeitalters.

Indessen empfand ich an diesem Orte, wo die Lust kärglich zuge¬
messen ist, wo der Geist und die Sinne zugleich aufgeregt werden, eine
beängstigende Nervenspannung. Das Herz war mir beklommen, der Puls
heftig schlagend, der Athem kurz, mein Kopf glühete, es lag mir wie
Blei in den Beinen. Ich konnte nicht lange dort ausdauern; ich war
genöthigt nach der Oeffnung der Grube zurückzugehen, was ich langsam
und schweigend that. Sobald ich daselbst angekommen war, nahm ich
wieder in derselben Tonne, die mich herabgebracht hatte, meinen Platz.
Ich wollte allein und ohne Licht hinaufsteigen, um mich durch nichts
in den Gedanken stören zu lassen, welche diese Welt der Finsterniß in
mir erregt hatte. Meine Auffahrt in der tiefsten Nacht ging ebenso
schnell von'Statten wie früher mein Hinabsteigen, denn das Gewicht ei¬
nes Menschen will in dieser gewaltigen Wage nur wenig bedeuten.
Die Augen unablässig nach oben gewandt, erwartete ich voll Ungeduld
den Augenblick, wo das Tageslicht zuerst wieder anbrechen würde. ES
war mir, als wenn ich schon eine Stunde lang unterwegs gewesen
wäre, und noch konnte ich nichts bemerken. Auf einmal fiel ein Heller
Strahl auf mich herab, und zugleich ward über meinem Haupte ein
lichter Punkt sichtbar, der anfangs einem entfernten blassen Sterne glich,
aber in Kurzem sich ausdehnte und einen helleren Glanz annahm. Dieser
Anblick allein erfrechte meine Lebensgeister; es schien mir, als wenn ich
sanfter hinausgetragen würde. Einige Sekunden darauf war ich schon
aus dem Abgrunde in meiner heimischen Weit wieder angelangt. Wie
ein Traum lag Alles, was ich gesehen hatte, hinter mir. Mit Wohlge¬
fallen ruheten nun meine Blicke auf dem Grüne der Wälder; ich erlabte
mich an dem Hauche der Winde; ich empfand ein unbeschreibliches inne¬
res Behagen: ich hatte mich in die Tiefe einer SteinMengrube ver¬
senkt und war lebend daraus zurückgekommen.




2?

dem ich mich allmählig über die blos materielle Betrachtung der Dinge
hinausschwcmg, glaubte ich in diesen Kohlenbecken, die man mit so
roher Gewalt dem Boden entreißt, alle du wunderbaren Erfindungen
vor mir zu scheu, welche der Dampf ins Leben gerufen hat; es ging
mir wie dem Verehrer der Kunst, der aus einem plumpen Marmorblock
die herrlichsten Bildsäulen herausschaue. Der Weltgeist trat vor mein
innerrs Auge, und jene Kohlengräber nehmen für mich einen geheiligten
Charakter an, sie erschienen mir als geheimnißvolle Genien, als die
höchsten Schiedsrichter unseres Zeitalters.

Indessen empfand ich an diesem Orte, wo die Lust kärglich zuge¬
messen ist, wo der Geist und die Sinne zugleich aufgeregt werden, eine
beängstigende Nervenspannung. Das Herz war mir beklommen, der Puls
heftig schlagend, der Athem kurz, mein Kopf glühete, es lag mir wie
Blei in den Beinen. Ich konnte nicht lange dort ausdauern; ich war
genöthigt nach der Oeffnung der Grube zurückzugehen, was ich langsam
und schweigend that. Sobald ich daselbst angekommen war, nahm ich
wieder in derselben Tonne, die mich herabgebracht hatte, meinen Platz.
Ich wollte allein und ohne Licht hinaufsteigen, um mich durch nichts
in den Gedanken stören zu lassen, welche diese Welt der Finsterniß in
mir erregt hatte. Meine Auffahrt in der tiefsten Nacht ging ebenso
schnell von'Statten wie früher mein Hinabsteigen, denn das Gewicht ei¬
nes Menschen will in dieser gewaltigen Wage nur wenig bedeuten.
Die Augen unablässig nach oben gewandt, erwartete ich voll Ungeduld
den Augenblick, wo das Tageslicht zuerst wieder anbrechen würde. ES
war mir, als wenn ich schon eine Stunde lang unterwegs gewesen
wäre, und noch konnte ich nichts bemerken. Auf einmal fiel ein Heller
Strahl auf mich herab, und zugleich ward über meinem Haupte ein
lichter Punkt sichtbar, der anfangs einem entfernten blassen Sterne glich,
aber in Kurzem sich ausdehnte und einen helleren Glanz annahm. Dieser
Anblick allein erfrechte meine Lebensgeister; es schien mir, als wenn ich
sanfter hinausgetragen würde. Einige Sekunden darauf war ich schon
aus dem Abgrunde in meiner heimischen Weit wieder angelangt. Wie
ein Traum lag Alles, was ich gesehen hatte, hinter mir. Mit Wohlge¬
fallen ruheten nun meine Blicke auf dem Grüne der Wälder; ich erlabte
mich an dem Hauche der Winde; ich empfand ein unbeschreibliches inne¬
res Behagen: ich hatte mich in die Tiefe einer SteinMengrube ver¬
senkt und war lebend daraus zurückgekommen.




2?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267404"/>
          <p xml:id="ID_876" prev="#ID_875"> dem ich mich allmählig über die blos materielle Betrachtung der Dinge<lb/>
hinausschwcmg, glaubte ich in diesen Kohlenbecken, die man mit so<lb/>
roher Gewalt dem Boden entreißt, alle du wunderbaren Erfindungen<lb/>
vor mir zu scheu, welche der Dampf ins Leben gerufen hat; es ging<lb/>
mir wie dem Verehrer der Kunst, der aus einem plumpen Marmorblock<lb/>
die herrlichsten Bildsäulen herausschaue. Der Weltgeist trat vor mein<lb/>
innerrs Auge, und jene Kohlengräber nehmen für mich einen geheiligten<lb/>
Charakter an, sie erschienen mir als geheimnißvolle Genien, als die<lb/>
höchsten Schiedsrichter unseres Zeitalters.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_877"> Indessen empfand ich an diesem Orte, wo die Lust kärglich zuge¬<lb/>
messen ist, wo der Geist und die Sinne zugleich aufgeregt werden, eine<lb/>
beängstigende Nervenspannung. Das Herz war mir beklommen, der Puls<lb/>
heftig schlagend, der Athem kurz, mein Kopf glühete, es lag mir wie<lb/>
Blei in den Beinen. Ich konnte nicht lange dort ausdauern; ich war<lb/>
genöthigt nach der Oeffnung der Grube zurückzugehen, was ich langsam<lb/>
und schweigend that. Sobald ich daselbst angekommen war, nahm ich<lb/>
wieder in derselben Tonne, die mich herabgebracht hatte, meinen Platz.<lb/>
Ich wollte allein und ohne Licht hinaufsteigen, um mich durch nichts<lb/>
in den Gedanken stören zu lassen, welche diese Welt der Finsterniß in<lb/>
mir erregt hatte. Meine Auffahrt in der tiefsten Nacht ging ebenso<lb/>
schnell von'Statten wie früher mein Hinabsteigen, denn das Gewicht ei¬<lb/>
nes Menschen will in dieser gewaltigen Wage nur wenig bedeuten.<lb/>
Die Augen unablässig nach oben gewandt, erwartete ich voll Ungeduld<lb/>
den Augenblick, wo das Tageslicht zuerst wieder anbrechen würde. ES<lb/>
war mir, als wenn ich schon eine Stunde lang unterwegs gewesen<lb/>
wäre, und noch konnte ich nichts bemerken. Auf einmal fiel ein Heller<lb/>
Strahl auf mich herab, und zugleich ward über meinem Haupte ein<lb/>
lichter Punkt sichtbar, der anfangs einem entfernten blassen Sterne glich,<lb/>
aber in Kurzem sich ausdehnte und einen helleren Glanz annahm. Dieser<lb/>
Anblick allein erfrechte meine Lebensgeister; es schien mir, als wenn ich<lb/>
sanfter hinausgetragen würde. Einige Sekunden darauf war ich schon<lb/>
aus dem Abgrunde in meiner heimischen Weit wieder angelangt. Wie<lb/>
ein Traum lag Alles, was ich gesehen hatte, hinter mir. Mit Wohlge¬<lb/>
fallen ruheten nun meine Blicke auf dem Grüne der Wälder; ich erlabte<lb/>
mich an dem Hauche der Winde; ich empfand ein unbeschreibliches inne¬<lb/>
res Behagen: ich hatte mich in die Tiefe einer SteinMengrube ver¬<lb/>
senkt und war lebend daraus zurückgekommen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 2?</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0190] dem ich mich allmählig über die blos materielle Betrachtung der Dinge hinausschwcmg, glaubte ich in diesen Kohlenbecken, die man mit so roher Gewalt dem Boden entreißt, alle du wunderbaren Erfindungen vor mir zu scheu, welche der Dampf ins Leben gerufen hat; es ging mir wie dem Verehrer der Kunst, der aus einem plumpen Marmorblock die herrlichsten Bildsäulen herausschaue. Der Weltgeist trat vor mein innerrs Auge, und jene Kohlengräber nehmen für mich einen geheiligten Charakter an, sie erschienen mir als geheimnißvolle Genien, als die höchsten Schiedsrichter unseres Zeitalters. Indessen empfand ich an diesem Orte, wo die Lust kärglich zuge¬ messen ist, wo der Geist und die Sinne zugleich aufgeregt werden, eine beängstigende Nervenspannung. Das Herz war mir beklommen, der Puls heftig schlagend, der Athem kurz, mein Kopf glühete, es lag mir wie Blei in den Beinen. Ich konnte nicht lange dort ausdauern; ich war genöthigt nach der Oeffnung der Grube zurückzugehen, was ich langsam und schweigend that. Sobald ich daselbst angekommen war, nahm ich wieder in derselben Tonne, die mich herabgebracht hatte, meinen Platz. Ich wollte allein und ohne Licht hinaufsteigen, um mich durch nichts in den Gedanken stören zu lassen, welche diese Welt der Finsterniß in mir erregt hatte. Meine Auffahrt in der tiefsten Nacht ging ebenso schnell von'Statten wie früher mein Hinabsteigen, denn das Gewicht ei¬ nes Menschen will in dieser gewaltigen Wage nur wenig bedeuten. Die Augen unablässig nach oben gewandt, erwartete ich voll Ungeduld den Augenblick, wo das Tageslicht zuerst wieder anbrechen würde. ES war mir, als wenn ich schon eine Stunde lang unterwegs gewesen wäre, und noch konnte ich nichts bemerken. Auf einmal fiel ein Heller Strahl auf mich herab, und zugleich ward über meinem Haupte ein lichter Punkt sichtbar, der anfangs einem entfernten blassen Sterne glich, aber in Kurzem sich ausdehnte und einen helleren Glanz annahm. Dieser Anblick allein erfrechte meine Lebensgeister; es schien mir, als wenn ich sanfter hinausgetragen würde. Einige Sekunden darauf war ich schon aus dem Abgrunde in meiner heimischen Weit wieder angelangt. Wie ein Traum lag Alles, was ich gesehen hatte, hinter mir. Mit Wohlge¬ fallen ruheten nun meine Blicke auf dem Grüne der Wälder; ich erlabte mich an dem Hauche der Winde; ich empfand ein unbeschreibliches inne¬ res Behagen: ich hatte mich in die Tiefe einer SteinMengrube ver¬ senkt und war lebend daraus zurückgekommen. 2?

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/190
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/190>, abgerufen am 24.07.2024.