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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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mittelalterlichen Poesien aber, da schöpfte der Dichter unmittelbar aus
dem Munde des Volkes, er brauchte die gewöhnlichen Worte nurryth-,
misch zu ordnen, und mit einer Neimnniform zu bekleiden und ein gan¬
zes Heer von Poesieen erstund auf seinen Befehl. Und' Hierzu war
die weiche und klingende schwäbische Mundart mit ihrer Treuherzigkeit
und Naivität ganz besonders geeignet - -

Wer von Ihnen, meine freundlichen Hörer, Gelegenheit hatte, einen
Tyroler, Schweizer oder, österreichischen Landmann sprechen zu hören,
der wird gewiß zugeben, daß diese Mundarten einen gewissen Ton ha¬
ben, der das Gemüth auf eine freundliche Weife berührt, von der man
sich keine Rechenschaft geben kann, die aber einen wohlthätigen Eindruck
macht" s 6?et''lin!G MiAzHW. HKG Sta

Der 'heutige österreichische Dialekt ist zwar von dem schwäbischen
ganz verschieden; indeß sind beide eines Ursprungs. Auch waren es
namentlich die habsburgischen Kaiser, durch welche die süddeutsche Sprache
im ganzen Mittelalter ihr Uebergewicht' erhielt. Das letzte bedeutende
Gedicht des Mittelalters, der berühmte Theuerdank, scheint "sogar, aus
ner andern Feder geflossen, als, aus der des Kaisers selbst. Es ist die¬
ses derselbe Kaiser Maximilian, der in Brügge gefangen saß, und wäh¬
rend die unruhigen Brügger sich draußen abmühten, um ihrem Herrn
allerlei Schabernack zu spielen, saß inwendig der junge deutsche Kaiserö-
sohn und dachte vielleicht die Verse aus, ^ die später in den berühmten Ge¬
dichten : '/der weiße Kunig" und dem "Theuerdank" unter, fremdem
Namen erschienen. Die heißköpfigen Brügger Bürger haben, später "n
gar theures Honorar für diese Verse zahlen, müssen. Brügge ist die
einzige Stadt in Belgien, der man es verzeihen muß, daß sie keine
Vorliebe für deutsche Literatur besitzt II ' > - > - '

Was sagte aber der deutsche Norden hierzu?. Ließ sich der Nor¬
den diese Herrschaft des Südens duldsam gefallen? Nichts weniger!
Der deutsche Norden steht an Freiheitsmuth, an kriegerischer Tapferkeit
und männlicher Kraft keinem andern nordischen Volke nach.. Und der
Ruhm seiner Waffen datirt sich nicht etwa erst seit dem siebenjährigen
Kriege, oder seit den Jahren 1812 und 13 her, seine Helden hießen uicht
immer Blücher, Schwerin und Friedrich der Zweite; noch ganz andere
Eroberer sind aus dem nördlichen Deutschland ausgegangen: Kant, Fichte,
Leibnitz, Lessing! --Mit diesen Führern an, der Spitze ist der deutsche
Norden gar oft über den Süden hergefallen und hat ^ ihn seinen Waffen
unterworfen. -- Den Sieg über die süddeutsch? Mundart hat jedoch der


mittelalterlichen Poesien aber, da schöpfte der Dichter unmittelbar aus
dem Munde des Volkes, er brauchte die gewöhnlichen Worte nurryth-,
misch zu ordnen, und mit einer Neimnniform zu bekleiden und ein gan¬
zes Heer von Poesieen erstund auf seinen Befehl. Und' Hierzu war
die weiche und klingende schwäbische Mundart mit ihrer Treuherzigkeit
und Naivität ganz besonders geeignet - -

Wer von Ihnen, meine freundlichen Hörer, Gelegenheit hatte, einen
Tyroler, Schweizer oder, österreichischen Landmann sprechen zu hören,
der wird gewiß zugeben, daß diese Mundarten einen gewissen Ton ha¬
ben, der das Gemüth auf eine freundliche Weife berührt, von der man
sich keine Rechenschaft geben kann, die aber einen wohlthätigen Eindruck
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Der 'heutige österreichische Dialekt ist zwar von dem schwäbischen
ganz verschieden; indeß sind beide eines Ursprungs. Auch waren es
namentlich die habsburgischen Kaiser, durch welche die süddeutsche Sprache
im ganzen Mittelalter ihr Uebergewicht' erhielt. Das letzte bedeutende
Gedicht des Mittelalters, der berühmte Theuerdank, scheint "sogar, aus
ner andern Feder geflossen, als, aus der des Kaisers selbst. Es ist die¬
ses derselbe Kaiser Maximilian, der in Brügge gefangen saß, und wäh¬
rend die unruhigen Brügger sich draußen abmühten, um ihrem Herrn
allerlei Schabernack zu spielen, saß inwendig der junge deutsche Kaiserö-
sohn und dachte vielleicht die Verse aus, ^ die später in den berühmten Ge¬
dichten : '/der weiße Kunig" und dem "Theuerdank" unter, fremdem
Namen erschienen. Die heißköpfigen Brügger Bürger haben, später «n
gar theures Honorar für diese Verse zahlen, müssen. Brügge ist die
einzige Stadt in Belgien, der man es verzeihen muß, daß sie keine
Vorliebe für deutsche Literatur besitzt II ' > - > - '

Was sagte aber der deutsche Norden hierzu?. Ließ sich der Nor¬
den diese Herrschaft des Südens duldsam gefallen? Nichts weniger!
Der deutsche Norden steht an Freiheitsmuth, an kriegerischer Tapferkeit
und männlicher Kraft keinem andern nordischen Volke nach.. Und der
Ruhm seiner Waffen datirt sich nicht etwa erst seit dem siebenjährigen
Kriege, oder seit den Jahren 1812 und 13 her, seine Helden hießen uicht
immer Blücher, Schwerin und Friedrich der Zweite; noch ganz andere
Eroberer sind aus dem nördlichen Deutschland ausgegangen: Kant, Fichte,
Leibnitz, Lessing! —Mit diesen Führern an, der Spitze ist der deutsche
Norden gar oft über den Süden hergefallen und hat ^ ihn seinen Waffen
unterworfen. — Den Sieg über die süddeutsch? Mundart hat jedoch der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/18>, abgerufen am 24.07.2024.