Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Frankreich, wo. Eine Idee durch das g'cmze Volk geht, wo Ein
Ereignis), Eine Bewegung alle Nerven der ganzen Bevölkernung zugleich
erschüttert, da wird es dem Dichter leicht auf die Masse zu wirken, auf
die Gesammtmasse, wenn er den Einen Toi?, den Einen Gedanken zur
Grundlage seiner Schöpfung macht. Deutschland ist von tausend Ideen
zerrissen und bewegt, da wird es dem Dichter schwer, unmöglich oft,
das ganze Tastenwerk der Nation in seinen verschiedenen Stimmungen, mit
einem Griffe in Bewegung zu setzen. Hier laßt sich nicht unmittelbar durch
den Gedanken wirken, der Schauspieler muß als vermittelnde Person
zwischen Dichter und Publikum treten und seine beliebte Persönlichkeit
zinn Träger und Bahnmacher deS dichterischen Gedankens hergeben.

Nehmen wir z. B. die historische Tragödie. Man kann sich wohl
denken, daß die Person Ludwig des Eilfter, Heinrich des Vierten, Na-
poleons, Neys, Talleyrands u. s. w. auch von schlechten Schauspielern dar¬
gestellt auf der fanzösischen Bühne Glück machen könne. Nun aber denke
man sich die Figur Carl deS Fünften, Ferdinand deö Zweiten, Schwe¬
rins, Blüchers, u. s. w> ohne durch die besondere Kunst des Darstellers
in den Vordergrund gerückt zu werden, auf dem deutschen Theater. Ist
wohl der historische Name allein hinreichend für das Interesse des Publi¬
kums? was kümmern sich die Theaterläufer in Oesterreich um Blücher?
um Hardenberg? Was interessirt Hamburg Fürst'Kaunitz und Laudon?
Friedrich der Zweite ist vielleicht die einzige historische Figur, die eine
allgemeine Popularität besitzt. Wallenstein hat seinen Schiller gesunden;
der historische Name allein hätte nicht hingereicht. Täuschen wir uns
nicht, bei allem Reichthum deö deutschen Gedankenlebens, bei allen den
schönen Bestrebungen, die namentlich die neuere Zeit zur Befestigung
und Einigkeit der Gesammtnation gesehen, so sind doch jene Gedanken
zu oft getheilt, so sind doch diese Bestrebungen zu modern, um es dein
Dichter möglich zu machen durch einen Funken das Gesammtinteresse
in Flammen zu setzen, durch einen Gegenstand Aller Theilnahme zu er¬
zwingen, durch eine Anspielung Allen verständlich zu werden. In die
Hand des Schauspielers muß er sein Verständniß legen, und der geistvolle
Darsteller ist sein glücklichster Bote und sicherer Quartiermacher.

Wir wollen eS versuchen in diesen Blättern eine Charakteristik der¬
jenigen deutschen Schauspieler, zu geben die hervorragend genug sind um
auch das Interesse der bessern Literatur, zu erregen., Der Stellung die¬
ser Blätter gemäß, verbinden wir damit noch einen besondern Zweck.


Frankreich, wo. Eine Idee durch das g'cmze Volk geht, wo Ein
Ereignis), Eine Bewegung alle Nerven der ganzen Bevölkernung zugleich
erschüttert, da wird es dem Dichter leicht auf die Masse zu wirken, auf
die Gesammtmasse, wenn er den Einen Toi?, den Einen Gedanken zur
Grundlage seiner Schöpfung macht. Deutschland ist von tausend Ideen
zerrissen und bewegt, da wird es dem Dichter schwer, unmöglich oft,
das ganze Tastenwerk der Nation in seinen verschiedenen Stimmungen, mit
einem Griffe in Bewegung zu setzen. Hier laßt sich nicht unmittelbar durch
den Gedanken wirken, der Schauspieler muß als vermittelnde Person
zwischen Dichter und Publikum treten und seine beliebte Persönlichkeit
zinn Träger und Bahnmacher deS dichterischen Gedankens hergeben.

Nehmen wir z. B. die historische Tragödie. Man kann sich wohl
denken, daß die Person Ludwig des Eilfter, Heinrich des Vierten, Na-
poleons, Neys, Talleyrands u. s. w. auch von schlechten Schauspielern dar¬
gestellt auf der fanzösischen Bühne Glück machen könne. Nun aber denke
man sich die Figur Carl deS Fünften, Ferdinand deö Zweiten, Schwe¬
rins, Blüchers, u. s. w> ohne durch die besondere Kunst des Darstellers
in den Vordergrund gerückt zu werden, auf dem deutschen Theater. Ist
wohl der historische Name allein hinreichend für das Interesse des Publi¬
kums? was kümmern sich die Theaterläufer in Oesterreich um Blücher?
um Hardenberg? Was interessirt Hamburg Fürst'Kaunitz und Laudon?
Friedrich der Zweite ist vielleicht die einzige historische Figur, die eine
allgemeine Popularität besitzt. Wallenstein hat seinen Schiller gesunden;
der historische Name allein hätte nicht hingereicht. Täuschen wir uns
nicht, bei allem Reichthum deö deutschen Gedankenlebens, bei allen den
schönen Bestrebungen, die namentlich die neuere Zeit zur Befestigung
und Einigkeit der Gesammtnation gesehen, so sind doch jene Gedanken
zu oft getheilt, so sind doch diese Bestrebungen zu modern, um es dein
Dichter möglich zu machen durch einen Funken das Gesammtinteresse
in Flammen zu setzen, durch einen Gegenstand Aller Theilnahme zu er¬
zwingen, durch eine Anspielung Allen verständlich zu werden. In die
Hand des Schauspielers muß er sein Verständniß legen, und der geistvolle
Darsteller ist sein glücklichster Bote und sicherer Quartiermacher.

Wir wollen eS versuchen in diesen Blättern eine Charakteristik der¬
jenigen deutschen Schauspieler, zu geben die hervorragend genug sind um
auch das Interesse der bessern Literatur, zu erregen., Der Stellung die¬
ser Blätter gemäß, verbinden wir damit noch einen besondern Zweck.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0145" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267360"/>
            <p xml:id="ID_762" prev="#ID_761"> Frankreich, wo. Eine Idee durch das g'cmze Volk geht, wo Ein<lb/>
Ereignis), Eine Bewegung alle Nerven der ganzen Bevölkernung zugleich<lb/>
erschüttert, da wird es dem Dichter leicht auf die Masse zu wirken, auf<lb/>
die Gesammtmasse, wenn er den Einen Toi?, den Einen Gedanken zur<lb/>
Grundlage seiner Schöpfung macht. Deutschland ist von tausend Ideen<lb/>
zerrissen und bewegt, da wird es dem Dichter schwer, unmöglich oft,<lb/>
das ganze Tastenwerk der Nation in seinen verschiedenen Stimmungen, mit<lb/>
einem Griffe in Bewegung zu setzen. Hier laßt sich nicht unmittelbar durch<lb/>
den Gedanken wirken, der Schauspieler muß als vermittelnde Person<lb/>
zwischen Dichter und Publikum treten und seine beliebte Persönlichkeit<lb/>
zinn Träger und Bahnmacher deS dichterischen Gedankens hergeben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_763"> Nehmen wir z. B. die historische Tragödie. Man kann sich wohl<lb/>
denken, daß die Person Ludwig des Eilfter, Heinrich des Vierten, Na-<lb/>
poleons, Neys, Talleyrands u. s. w. auch von schlechten Schauspielern dar¬<lb/>
gestellt auf der fanzösischen Bühne Glück machen könne. Nun aber denke<lb/>
man sich die Figur Carl deS Fünften, Ferdinand deö Zweiten, Schwe¬<lb/>
rins, Blüchers, u. s. w&gt; ohne durch die besondere Kunst des Darstellers<lb/>
in den Vordergrund gerückt zu werden, auf dem deutschen Theater. Ist<lb/>
wohl der historische Name allein hinreichend für das Interesse des Publi¬<lb/>
kums? was kümmern sich die Theaterläufer in Oesterreich um Blücher?<lb/>
um Hardenberg? Was interessirt Hamburg Fürst'Kaunitz und Laudon?<lb/>
Friedrich der Zweite ist vielleicht die einzige historische Figur, die eine<lb/>
allgemeine Popularität besitzt. Wallenstein hat seinen Schiller gesunden;<lb/>
der historische Name allein hätte nicht hingereicht. Täuschen wir uns<lb/>
nicht, bei allem Reichthum deö deutschen Gedankenlebens, bei allen den<lb/>
schönen Bestrebungen, die namentlich die neuere Zeit zur Befestigung<lb/>
und Einigkeit der Gesammtnation gesehen, so sind doch jene Gedanken<lb/>
zu oft getheilt, so sind doch diese Bestrebungen zu modern, um es dein<lb/>
Dichter möglich zu machen durch einen Funken das Gesammtinteresse<lb/>
in Flammen zu setzen, durch einen Gegenstand Aller Theilnahme zu er¬<lb/>
zwingen, durch eine Anspielung Allen verständlich zu werden. In die<lb/>
Hand des Schauspielers muß er sein Verständniß legen, und der geistvolle<lb/>
Darsteller ist sein glücklichster Bote und sicherer Quartiermacher.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_764"> Wir wollen eS versuchen in diesen Blättern eine Charakteristik der¬<lb/>
jenigen deutschen Schauspieler, zu geben die hervorragend genug sind um<lb/>
auch das Interesse der bessern Literatur, zu erregen., Der Stellung die¬<lb/>
ser Blätter gemäß, verbinden wir damit noch einen besondern Zweck.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0145] Frankreich, wo. Eine Idee durch das g'cmze Volk geht, wo Ein Ereignis), Eine Bewegung alle Nerven der ganzen Bevölkernung zugleich erschüttert, da wird es dem Dichter leicht auf die Masse zu wirken, auf die Gesammtmasse, wenn er den Einen Toi?, den Einen Gedanken zur Grundlage seiner Schöpfung macht. Deutschland ist von tausend Ideen zerrissen und bewegt, da wird es dem Dichter schwer, unmöglich oft, das ganze Tastenwerk der Nation in seinen verschiedenen Stimmungen, mit einem Griffe in Bewegung zu setzen. Hier laßt sich nicht unmittelbar durch den Gedanken wirken, der Schauspieler muß als vermittelnde Person zwischen Dichter und Publikum treten und seine beliebte Persönlichkeit zinn Träger und Bahnmacher deS dichterischen Gedankens hergeben. Nehmen wir z. B. die historische Tragödie. Man kann sich wohl denken, daß die Person Ludwig des Eilfter, Heinrich des Vierten, Na- poleons, Neys, Talleyrands u. s. w. auch von schlechten Schauspielern dar¬ gestellt auf der fanzösischen Bühne Glück machen könne. Nun aber denke man sich die Figur Carl deS Fünften, Ferdinand deö Zweiten, Schwe¬ rins, Blüchers, u. s. w> ohne durch die besondere Kunst des Darstellers in den Vordergrund gerückt zu werden, auf dem deutschen Theater. Ist wohl der historische Name allein hinreichend für das Interesse des Publi¬ kums? was kümmern sich die Theaterläufer in Oesterreich um Blücher? um Hardenberg? Was interessirt Hamburg Fürst'Kaunitz und Laudon? Friedrich der Zweite ist vielleicht die einzige historische Figur, die eine allgemeine Popularität besitzt. Wallenstein hat seinen Schiller gesunden; der historische Name allein hätte nicht hingereicht. Täuschen wir uns nicht, bei allem Reichthum deö deutschen Gedankenlebens, bei allen den schönen Bestrebungen, die namentlich die neuere Zeit zur Befestigung und Einigkeit der Gesammtnation gesehen, so sind doch jene Gedanken zu oft getheilt, so sind doch diese Bestrebungen zu modern, um es dein Dichter möglich zu machen durch einen Funken das Gesammtinteresse in Flammen zu setzen, durch einen Gegenstand Aller Theilnahme zu er¬ zwingen, durch eine Anspielung Allen verständlich zu werden. In die Hand des Schauspielers muß er sein Verständniß legen, und der geistvolle Darsteller ist sein glücklichster Bote und sicherer Quartiermacher. Wir wollen eS versuchen in diesen Blättern eine Charakteristik der¬ jenigen deutschen Schauspieler, zu geben die hervorragend genug sind um auch das Interesse der bessern Literatur, zu erregen., Der Stellung die¬ ser Blätter gemäß, verbinden wir damit noch einen besondern Zweck.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/145
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/145>, abgerufen am 23.07.2024.