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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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das Echo dieser Stimme? die Presse? Hier stehet wieder der Verdienst-
Volle deutsche Schauspieler im Nachtheile gegen seinen Collegen in Paris.
In Deutschland, wo es keine Eentralpresse gibt, die mit großen Bom¬
ben die kleinen Journale niederschießt -- wie dieses die Pariser Jour¬
nalistik gegenüber den Provinzialblättern thut -- in Deutschland, wo die
kleinen Journale wie die kleinen Staaten ihre Unabhängigkeit behaupten
und im Handgemenge gegen einander kämpfen, da gilt auch der Einzelne
mehr, und der Stein, der aus der Schleuder irgend eines unbeachteten
Rezensenten fliegt, kann manchem Goliath den Kopf zerschmettern. Was
fragt der Pariser Schauspieler nach der Kritik in der Provinz? Wie
Gulliver unter den Liliputanern steigt er umher, groß und überragend,
und achtet die kleinen Nadelspieße nicht, die an seiner Haut abprallen.
Den Ruf eines deutschen Schauspielers kann der obscurste Correspondent
eines unserer Schockblätter untergraben, wenn er dein Darsteller mißwill.
Hier geht aber das Schicksal des Dichters und des Schauspielers Hand
in Hand. Hat Richard Savage in Berlin gefallen? Die Theater¬
chronik sagt: Ja! die Theaterzeitung sagt: Nein! Das Morgenblatt
schlägt in die Hände, das Abendblatt zuckt die Achsel. Wem soll man
glauben? Wer kennt die Grenzen, wo die Gerechtigkeit endet und die
Scheelsucht beginnt? ,/Herr N. hat hier gastirt und ist von: Pu¬
blikum mit Jauchzen empfangen worden. -- Sein Mephisto ist eine
colossale Leistung -- Dieser Schauspieler ist unstreitig einer der größten
Künstler Deutschlands."--Herr N. ist hier aufgetreten, lautet die
Correspondenz in einem andern Blatte --das Publikum war gleichgültig, sein
Mephisto ist eine wahre Caspcrlcomödie. -- dieser Schauspieler ist ein
gewöhnlicher Coulissenreißer.// -- Was soll nun der entfernte Leser von
Herrn N. halten? Weder das eine noch das andere Blatt ist ein: "For
m-
at ein-s Nedats", noch ein: Weder das eine noch das an¬
dere ist das Organ einer compacten Masse, welches von beiden belügt
uns? Armer Dichter, armer Schauspieler, die Erzählungen deiner Tri¬
umphe werden mit Mißtrauen aufgenommen, die Schilderung deiner Nie¬
derlagen findet tausend lachende Echo'S.

Aber was kümmern uns die Schauspieler? Haben sie nicht Gehalt
und Ruhm genug? -- Die schlechten freilich, und mehr als genug, die
guten, nein! Nehmet das Wohl der Schauspieler nicht auf die allzu¬
leichte Achsel, Ihr, die Ihr auf eine Verbesserung des deutschen Theaters
hofft, an ihren Schmetterlingsflügeln hängt der Blüthenstaub der Poesie,
der die todte Blume unseres Drama'S befruchten muß. In jenem


das Echo dieser Stimme? die Presse? Hier stehet wieder der Verdienst-
Volle deutsche Schauspieler im Nachtheile gegen seinen Collegen in Paris.
In Deutschland, wo es keine Eentralpresse gibt, die mit großen Bom¬
ben die kleinen Journale niederschießt — wie dieses die Pariser Jour¬
nalistik gegenüber den Provinzialblättern thut — in Deutschland, wo die
kleinen Journale wie die kleinen Staaten ihre Unabhängigkeit behaupten
und im Handgemenge gegen einander kämpfen, da gilt auch der Einzelne
mehr, und der Stein, der aus der Schleuder irgend eines unbeachteten
Rezensenten fliegt, kann manchem Goliath den Kopf zerschmettern. Was
fragt der Pariser Schauspieler nach der Kritik in der Provinz? Wie
Gulliver unter den Liliputanern steigt er umher, groß und überragend,
und achtet die kleinen Nadelspieße nicht, die an seiner Haut abprallen.
Den Ruf eines deutschen Schauspielers kann der obscurste Correspondent
eines unserer Schockblätter untergraben, wenn er dein Darsteller mißwill.
Hier geht aber das Schicksal des Dichters und des Schauspielers Hand
in Hand. Hat Richard Savage in Berlin gefallen? Die Theater¬
chronik sagt: Ja! die Theaterzeitung sagt: Nein! Das Morgenblatt
schlägt in die Hände, das Abendblatt zuckt die Achsel. Wem soll man
glauben? Wer kennt die Grenzen, wo die Gerechtigkeit endet und die
Scheelsucht beginnt? ,/Herr N. hat hier gastirt und ist von: Pu¬
blikum mit Jauchzen empfangen worden. — Sein Mephisto ist eine
colossale Leistung — Dieser Schauspieler ist unstreitig einer der größten
Künstler Deutschlands."--Herr N. ist hier aufgetreten, lautet die
Correspondenz in einem andern Blatte —das Publikum war gleichgültig, sein
Mephisto ist eine wahre Caspcrlcomödie. — dieser Schauspieler ist ein
gewöhnlicher Coulissenreißer.// — Was soll nun der entfernte Leser von
Herrn N. halten? Weder das eine noch das andere Blatt ist ein: „For
m-
at ein-s Nedats", noch ein: Weder das eine noch das an¬
dere ist das Organ einer compacten Masse, welches von beiden belügt
uns? Armer Dichter, armer Schauspieler, die Erzählungen deiner Tri¬
umphe werden mit Mißtrauen aufgenommen, die Schilderung deiner Nie¬
derlagen findet tausend lachende Echo'S.

Aber was kümmern uns die Schauspieler? Haben sie nicht Gehalt
und Ruhm genug? — Die schlechten freilich, und mehr als genug, die
guten, nein! Nehmet das Wohl der Schauspieler nicht auf die allzu¬
leichte Achsel, Ihr, die Ihr auf eine Verbesserung des deutschen Theaters
hofft, an ihren Schmetterlingsflügeln hängt der Blüthenstaub der Poesie,
der die todte Blume unseres Drama'S befruchten muß. In jenem


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[0144] das Echo dieser Stimme? die Presse? Hier stehet wieder der Verdienst- Volle deutsche Schauspieler im Nachtheile gegen seinen Collegen in Paris. In Deutschland, wo es keine Eentralpresse gibt, die mit großen Bom¬ ben die kleinen Journale niederschießt — wie dieses die Pariser Jour¬ nalistik gegenüber den Provinzialblättern thut — in Deutschland, wo die kleinen Journale wie die kleinen Staaten ihre Unabhängigkeit behaupten und im Handgemenge gegen einander kämpfen, da gilt auch der Einzelne mehr, und der Stein, der aus der Schleuder irgend eines unbeachteten Rezensenten fliegt, kann manchem Goliath den Kopf zerschmettern. Was fragt der Pariser Schauspieler nach der Kritik in der Provinz? Wie Gulliver unter den Liliputanern steigt er umher, groß und überragend, und achtet die kleinen Nadelspieße nicht, die an seiner Haut abprallen. Den Ruf eines deutschen Schauspielers kann der obscurste Correspondent eines unserer Schockblätter untergraben, wenn er dein Darsteller mißwill. Hier geht aber das Schicksal des Dichters und des Schauspielers Hand in Hand. Hat Richard Savage in Berlin gefallen? Die Theater¬ chronik sagt: Ja! die Theaterzeitung sagt: Nein! Das Morgenblatt schlägt in die Hände, das Abendblatt zuckt die Achsel. Wem soll man glauben? Wer kennt die Grenzen, wo die Gerechtigkeit endet und die Scheelsucht beginnt? ,/Herr N. hat hier gastirt und ist von: Pu¬ blikum mit Jauchzen empfangen worden. — Sein Mephisto ist eine colossale Leistung — Dieser Schauspieler ist unstreitig einer der größten Künstler Deutschlands."--Herr N. ist hier aufgetreten, lautet die Correspondenz in einem andern Blatte —das Publikum war gleichgültig, sein Mephisto ist eine wahre Caspcrlcomödie. — dieser Schauspieler ist ein gewöhnlicher Coulissenreißer.// — Was soll nun der entfernte Leser von Herrn N. halten? Weder das eine noch das andere Blatt ist ein: „For m- at ein-s Nedats", noch ein: Weder das eine noch das an¬ dere ist das Organ einer compacten Masse, welches von beiden belügt uns? Armer Dichter, armer Schauspieler, die Erzählungen deiner Tri¬ umphe werden mit Mißtrauen aufgenommen, die Schilderung deiner Nie¬ derlagen findet tausend lachende Echo'S. Aber was kümmern uns die Schauspieler? Haben sie nicht Gehalt und Ruhm genug? — Die schlechten freilich, und mehr als genug, die guten, nein! Nehmet das Wohl der Schauspieler nicht auf die allzu¬ leichte Achsel, Ihr, die Ihr auf eine Verbesserung des deutschen Theaters hofft, an ihren Schmetterlingsflügeln hängt der Blüthenstaub der Poesie, der die todte Blume unseres Drama'S befruchten muß. In jenem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/144>, abgerufen am 23.07.2024.