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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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es ist bühnengerecht, es ist in meiner Vaterstadt mit entschiedenem Bei-
falle aufgenommen und wiederholt worden. Das Publikum von Dres¬
den, von Hamburg hat einen Ruf; ich will jetzt zusehen, ob man nicht von
allen Seiten mein Stück verlangen wird, man muß es verlangen, denn
die guten darstellbaren Dramen wachsen in Deutschland nicht auf den Bäu¬
men; ich will zusehen und erwarten. Trübseliger Stolz, kindischer Dichter!
dein Drama wird eine alte Jungfrau bleiben, wenn Du zu Hause
wartest. -- Willst Du es unter die Haube bringen, mußt Du es auf¬
bieten, antragen/ anpreisen. ---, Von der Stunde an, wo ein deutscher
Poet so unglücklich war, auf der Bühne Glück zu machen, muß er
seine Hand in eine Briefmaschine umwandeln, er muß täglich fünfzig
Couverte siegeln an die königliche Intendanz in X, und an den großher¬
zoglichen Regisseur in A, an ein vcrehrlicheS Theatercomitv in A, und an löb¬
liche städtische Theaterdirektion in B. Und um erst die Briefchen auf Sei¬
denpapier! An die Hofschauspielcrin Theodolinde in Meiningen und an
den. Regisseur Sarastro in Glogau, an die Heldenmutter Octavia in Ak¬
kon", und an den zärtlichen Liebhaber Hippolyt in Hechingen.' Ich habe
bxi der Schöpfung dieser Rolle Sie vor Augen gehabt -- Ihr Geist
allein kann diese Rolle beleben -- Ihr Einfluß -- Ihr bekannter Kunst¬
eifer -- u. s., w;, Gott , was braucht ein deutscher Dichter für Selbst--
verläugMng! Ihr, die Ihr Abends ins Theater geht.und das Drama
eines jungen Dichters bekrittelt und zerfasert,, werft Euch auf die Kniee
vor ihm! Dieser Dichter ist ein Heiliger an Demuth, an Geduld;
ein- Held an Muth und Ausdauer. Nicht nach dem Werke allein, das
Ihr auf der Bühne seht, müßt Ihr fein Talent beurtheilen; geht nach Hause
ein, seinen Schreibtisch und leset die, Hunderte Briefe/ die er hinüber und
herüber schreiben, muß; studirt die tausend psychologischen, Hebel, die er
in> Bewegung setzen mußte, um die Seele einer eitlen Schauspielerin,
eines übermüthigen Comödianten> eines ausgetrockneten Gcldgcizigen Di¬
rektors zu bewegen --, ihr werdet ,ihn, bewundern.

Ein Drama zu schreiben ist bei weitem, nicht so schwer -- die Briefe
um es zu begleiten,-dazu gehört in Deutschland das Talent eines Tal-
leyrand, und solche Talente sind zu. unserem großen Glücke, wie zu un¬
serem großen Unglücke in Deutschland selten.

Der deutsche Schauspieler leidet an einem gleichen Mißbcstand,, und
sein Verhältniß zu dem französischen gleicht dem des deutschen, zu dem
französischen Schriftsteller. Ist es in Frankreichs dem schauspielerischen
Talente gelungen, bis in die Residenz vorzurücken, und seine Künste auf


es ist bühnengerecht, es ist in meiner Vaterstadt mit entschiedenem Bei-
falle aufgenommen und wiederholt worden. Das Publikum von Dres¬
den, von Hamburg hat einen Ruf; ich will jetzt zusehen, ob man nicht von
allen Seiten mein Stück verlangen wird, man muß es verlangen, denn
die guten darstellbaren Dramen wachsen in Deutschland nicht auf den Bäu¬
men; ich will zusehen und erwarten. Trübseliger Stolz, kindischer Dichter!
dein Drama wird eine alte Jungfrau bleiben, wenn Du zu Hause
wartest. — Willst Du es unter die Haube bringen, mußt Du es auf¬
bieten, antragen/ anpreisen. -—, Von der Stunde an, wo ein deutscher
Poet so unglücklich war, auf der Bühne Glück zu machen, muß er
seine Hand in eine Briefmaschine umwandeln, er muß täglich fünfzig
Couverte siegeln an die königliche Intendanz in X, und an den großher¬
zoglichen Regisseur in A, an ein vcrehrlicheS Theatercomitv in A, und an löb¬
liche städtische Theaterdirektion in B. Und um erst die Briefchen auf Sei¬
denpapier! An die Hofschauspielcrin Theodolinde in Meiningen und an
den. Regisseur Sarastro in Glogau, an die Heldenmutter Octavia in Ak¬
kon«, und an den zärtlichen Liebhaber Hippolyt in Hechingen.' Ich habe
bxi der Schöpfung dieser Rolle Sie vor Augen gehabt — Ihr Geist
allein kann diese Rolle beleben — Ihr Einfluß — Ihr bekannter Kunst¬
eifer — u. s., w;, Gott , was braucht ein deutscher Dichter für Selbst--
verläugMng! Ihr, die Ihr Abends ins Theater geht.und das Drama
eines jungen Dichters bekrittelt und zerfasert,, werft Euch auf die Kniee
vor ihm! Dieser Dichter ist ein Heiliger an Demuth, an Geduld;
ein- Held an Muth und Ausdauer. Nicht nach dem Werke allein, das
Ihr auf der Bühne seht, müßt Ihr fein Talent beurtheilen; geht nach Hause
ein, seinen Schreibtisch und leset die, Hunderte Briefe/ die er hinüber und
herüber schreiben, muß; studirt die tausend psychologischen, Hebel, die er
in> Bewegung setzen mußte, um die Seele einer eitlen Schauspielerin,
eines übermüthigen Comödianten> eines ausgetrockneten Gcldgcizigen Di¬
rektors zu bewegen —, ihr werdet ,ihn, bewundern.

Ein Drama zu schreiben ist bei weitem, nicht so schwer — die Briefe
um es zu begleiten,-dazu gehört in Deutschland das Talent eines Tal-
leyrand, und solche Talente sind zu. unserem großen Glücke, wie zu un¬
serem großen Unglücke in Deutschland selten.

Der deutsche Schauspieler leidet an einem gleichen Mißbcstand,, und
sein Verhältniß zu dem französischen gleicht dem des deutschen, zu dem
französischen Schriftsteller. Ist es in Frankreichs dem schauspielerischen
Talente gelungen, bis in die Residenz vorzurücken, und seine Künste auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/142>, abgerufen am 23.07.2024.