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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Mstein e'rschenit, den Gervinus als den Hauptrepräsentanten der deut¬
schen Tragödie betrachtet. Und gewiß, dies Gedicht ragt, durch Geist
und Form, unter den vaterländischen Dramen Hoch hervor. Gervinus ver¬
wirft die Liebcsepisoden des Wallenstein, die freilich anfangs matt ausge¬
fallen sind. Mir scheint der Gedanke dieser Episoden nothwendig. Dei
Schiller das Lager, anstatt es ins Gedicht zu verweben, ausgesondert
hat, so würden, stoßt man die sentimentalen Partien hinaus, die beiden!
Haupttheile der Tragödie zu einförmig sein. . In den Staatsaktionen
kann ich Schillern- nicht so bewundern wie Gervinus Hut. Ich finde'
die Menge unbedeutender soldatischer Offiziere so ungünstig für eine dich¬
terische Composition, wie die' nackten, Hofmannscharcckterc anderer sehn>
lerschen Schauspiele. Mit dem Wallenstein, heißt es bei Gervinus,
,/kehrte Schiller ganz ins Nationale ein", und entsprach der großen,
kriegsbewcgten Zeit, in der er lebte. Ueberhaupt ist Gervinus der Mei¬
nung, daß das Drama, als die Spitze aller Poesie, mit den großen
Bewegungen der Geschichte gleichen Schritt halte, und er spricht deshalb
der jetzigen Zeit die Anlage zum Nationalschauspiel ab, da man "in den
mißgünstigen- und mißratenden Zeitverhältnissen" erst dafür zu sorgen
habe, "Geschichte zu machen", dann würde man sich "für daS Geschäft'
der poetischen Mache ein besseres Glück versprechen dürfen". Dagegen'
ist zu-erinnern, daß auf so specielle Zukunftsfragen der universalhistori-
sche Standpunkt keine gültige Entscheidung, es sei denn einen absoluti¬
stischen Machtspruch, giebt. Es liegt da eine mehrfache Möglichkeit vor
uns, das Talent ist unberechenbar, und wer dürfte eS wagen, nur das
morgende Jahr vorauszuzeichnen?' Ja, mit welcher Befugniß sollte man,
zu irgend einer Zeit, der Poesie das Recht verweigern, in der Welt des
Händeln's, auf die wir uns immer verwiesen sehen, etwa eine Initia¬
tive zu ergreifen? Hier Muß die Wissenschaft sich bescheiden, nicht
massenhaft in'die Praxis zu seur'Man, sondern die individuelle Wahl dem
Individuum, dem sie zusteht, zu überlassen. Wird ja die' That sofort
entscheiden,'ob ein Talent seinen Zeitberüf, und ob das Jahrzehend seine
Männer gefunden.habe. -- Der Verfasser geht darauf zu einer antithe¬
tischen Begleichung'zwischen Schiller und Göthe über, dort den Tra¬
göden, hier den Epiker zeichnend. Diese Schilderung ist wohl die ge¬
lungenste! Partie des Werkes, indem hier die Geschichte ausdem Pmtkte
des Gleichgewichts angelangt ist. "Die Wirksamkeit der beiden Dichter-
fiirstm hatte ihren Mittelpunkt in der Bühne, welche sie, Unbehindert'
von dem Gelüste des Haufens, aus der herkömmlichen Mittelmäßigkeit'


Mstein e'rschenit, den Gervinus als den Hauptrepräsentanten der deut¬
schen Tragödie betrachtet. Und gewiß, dies Gedicht ragt, durch Geist
und Form, unter den vaterländischen Dramen Hoch hervor. Gervinus ver¬
wirft die Liebcsepisoden des Wallenstein, die freilich anfangs matt ausge¬
fallen sind. Mir scheint der Gedanke dieser Episoden nothwendig. Dei
Schiller das Lager, anstatt es ins Gedicht zu verweben, ausgesondert
hat, so würden, stoßt man die sentimentalen Partien hinaus, die beiden!
Haupttheile der Tragödie zu einförmig sein. . In den Staatsaktionen
kann ich Schillern- nicht so bewundern wie Gervinus Hut. Ich finde'
die Menge unbedeutender soldatischer Offiziere so ungünstig für eine dich¬
terische Composition, wie die' nackten, Hofmannscharcckterc anderer sehn>
lerschen Schauspiele. Mit dem Wallenstein, heißt es bei Gervinus,
,/kehrte Schiller ganz ins Nationale ein«, und entsprach der großen,
kriegsbewcgten Zeit, in der er lebte. Ueberhaupt ist Gervinus der Mei¬
nung, daß das Drama, als die Spitze aller Poesie, mit den großen
Bewegungen der Geschichte gleichen Schritt halte, und er spricht deshalb
der jetzigen Zeit die Anlage zum Nationalschauspiel ab, da man »in den
mißgünstigen- und mißratenden Zeitverhältnissen" erst dafür zu sorgen
habe, „Geschichte zu machen", dann würde man sich "für daS Geschäft'
der poetischen Mache ein besseres Glück versprechen dürfen". Dagegen'
ist zu-erinnern, daß auf so specielle Zukunftsfragen der universalhistori-
sche Standpunkt keine gültige Entscheidung, es sei denn einen absoluti¬
stischen Machtspruch, giebt. Es liegt da eine mehrfache Möglichkeit vor
uns, das Talent ist unberechenbar, und wer dürfte eS wagen, nur das
morgende Jahr vorauszuzeichnen?' Ja, mit welcher Befugniß sollte man,
zu irgend einer Zeit, der Poesie das Recht verweigern, in der Welt des
Händeln's, auf die wir uns immer verwiesen sehen, etwa eine Initia¬
tive zu ergreifen? Hier Muß die Wissenschaft sich bescheiden, nicht
massenhaft in'die Praxis zu seur'Man, sondern die individuelle Wahl dem
Individuum, dem sie zusteht, zu überlassen. Wird ja die' That sofort
entscheiden,'ob ein Talent seinen Zeitberüf, und ob das Jahrzehend seine
Männer gefunden.habe. — Der Verfasser geht darauf zu einer antithe¬
tischen Begleichung'zwischen Schiller und Göthe über, dort den Tra¬
göden, hier den Epiker zeichnend. Diese Schilderung ist wohl die ge¬
lungenste! Partie des Werkes, indem hier die Geschichte ausdem Pmtkte
des Gleichgewichts angelangt ist. "Die Wirksamkeit der beiden Dichter-
fiirstm hatte ihren Mittelpunkt in der Bühne, welche sie, Unbehindert'
von dem Gelüste des Haufens, aus der herkömmlichen Mittelmäßigkeit'


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[0102] Mstein e'rschenit, den Gervinus als den Hauptrepräsentanten der deut¬ schen Tragödie betrachtet. Und gewiß, dies Gedicht ragt, durch Geist und Form, unter den vaterländischen Dramen Hoch hervor. Gervinus ver¬ wirft die Liebcsepisoden des Wallenstein, die freilich anfangs matt ausge¬ fallen sind. Mir scheint der Gedanke dieser Episoden nothwendig. Dei Schiller das Lager, anstatt es ins Gedicht zu verweben, ausgesondert hat, so würden, stoßt man die sentimentalen Partien hinaus, die beiden! Haupttheile der Tragödie zu einförmig sein. . In den Staatsaktionen kann ich Schillern- nicht so bewundern wie Gervinus Hut. Ich finde' die Menge unbedeutender soldatischer Offiziere so ungünstig für eine dich¬ terische Composition, wie die' nackten, Hofmannscharcckterc anderer sehn> lerschen Schauspiele. Mit dem Wallenstein, heißt es bei Gervinus, ,/kehrte Schiller ganz ins Nationale ein«, und entsprach der großen, kriegsbewcgten Zeit, in der er lebte. Ueberhaupt ist Gervinus der Mei¬ nung, daß das Drama, als die Spitze aller Poesie, mit den großen Bewegungen der Geschichte gleichen Schritt halte, und er spricht deshalb der jetzigen Zeit die Anlage zum Nationalschauspiel ab, da man »in den mißgünstigen- und mißratenden Zeitverhältnissen" erst dafür zu sorgen habe, „Geschichte zu machen", dann würde man sich "für daS Geschäft' der poetischen Mache ein besseres Glück versprechen dürfen". Dagegen' ist zu-erinnern, daß auf so specielle Zukunftsfragen der universalhistori- sche Standpunkt keine gültige Entscheidung, es sei denn einen absoluti¬ stischen Machtspruch, giebt. Es liegt da eine mehrfache Möglichkeit vor uns, das Talent ist unberechenbar, und wer dürfte eS wagen, nur das morgende Jahr vorauszuzeichnen?' Ja, mit welcher Befugniß sollte man, zu irgend einer Zeit, der Poesie das Recht verweigern, in der Welt des Händeln's, auf die wir uns immer verwiesen sehen, etwa eine Initia¬ tive zu ergreifen? Hier Muß die Wissenschaft sich bescheiden, nicht massenhaft in'die Praxis zu seur'Man, sondern die individuelle Wahl dem Individuum, dem sie zusteht, zu überlassen. Wird ja die' That sofort entscheiden,'ob ein Talent seinen Zeitberüf, und ob das Jahrzehend seine Männer gefunden.habe. — Der Verfasser geht darauf zu einer antithe¬ tischen Begleichung'zwischen Schiller und Göthe über, dort den Tra¬ göden, hier den Epiker zeichnend. Diese Schilderung ist wohl die ge¬ lungenste! Partie des Werkes, indem hier die Geschichte ausdem Pmtkte des Gleichgewichts angelangt ist. "Die Wirksamkeit der beiden Dichter- fiirstm hatte ihren Mittelpunkt in der Bühne, welche sie, Unbehindert' von dem Gelüste des Haufens, aus der herkömmlichen Mittelmäßigkeit'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/102>, abgerufen am 22.12.2024.