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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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ihre Scenen abspielen. Ist es doch Grundsatz fast aller politischen Körper in
Deutschland, in ihrer Nähe das tiefste Schweigen herrschen zu lassen. Was
in Berlin und Wien verhandelt wird, das muß man überall eher suchen als
in den Berliner und Wiener Journalen; sogar die Kammerverhandlungen des
konstitutionellen und freisinnigen Würtembergs werden nicht in den einheimi¬
schen Journalen zum vollständigen Abdruck erlaubt. Will man etwas, zur
öffentlichen Kenntniß bringen, so sendet man es in die Fremde. Die Augs¬
burger Allgemeine spricht, indeß der österreichische Beobachter schweigt; die
Leipziger nimmt das Wort, wo die Staatszeitung die Lippen verschließt und
die Oberdeutsche meldet, was der schwäbische Merkur verschweigt. Frankfurt
aber, wo alle Mächte zusammen sitzen, ist der Ordnung nach das verschwiegenste
unter Allen. Darum haben die Frankfurter Journale nicht nur weit weniger
politische Originalmittheilungen als andere, welche weder durch die Lokalität
noch durch die Abonnentenzahl so bedeutend sind wie sie, sondern sie haben auch
mit einer weit zimperlicheren Censur zu kämpfen. Der Censor hat hier nicht
wie in jeder andern Stadt nur einen Herrn zu fürchten, sondern er hat eben
so viel Herren als Gesandte beim Bundestag accreditirt sind; hieraus nament¬
lich können Sie ersehen, wie wenig frei die freie Stadt Frankfurt ist. Dieser
Sciroccohauch der Censur-Verhältnisse ist es auch, was den früher so blühen¬
den Frankfurter Buchhandel so herabgedrückt hat, was die Literatur trotz der
manichfachen Kräfte, die hier sich finden, nach den versprechendsten Anfängen
immer wieder entwurzelt hat. Glauben Sie nicht, daß es hier an Talenten
und tüchtigen Köpfen fehlt, welche zusammen vereint, ein frisches und kräftiges
Literaturleben hier hervorrufen könnten. Außer vielen Fachgelehrten und
Schriftstellern leben hier noch viele eigentlich literarische Talente wie Theodor
Creizenach, Ludwig Braunfels, Lorenz'Diefenbach :c. Dennoch kann mit Aus¬
nahme der mit den politischen Zeitungen erscheinenden bellettristischen Beiblätter
und einiger Lokalblätter kein bedeutendes literarisches Journal emporkom¬
men- Wenn es wahr ist, daß Gutzkow seit einem Monate sich wieder hier
niedergelassen hat und seinen Telegraph Hieher verlegt, so könnenISie überzeugt
sein, daß Frankfurt selbst nicht der Druckort desselben werden wird. Wäre
nicht besser, daß ich Ihnen Offenbachcr statt Frankfurter Briefe schriebe -




ihre Scenen abspielen. Ist es doch Grundsatz fast aller politischen Körper in
Deutschland, in ihrer Nähe das tiefste Schweigen herrschen zu lassen. Was
in Berlin und Wien verhandelt wird, das muß man überall eher suchen als
in den Berliner und Wiener Journalen; sogar die Kammerverhandlungen des
konstitutionellen und freisinnigen Würtembergs werden nicht in den einheimi¬
schen Journalen zum vollständigen Abdruck erlaubt. Will man etwas, zur
öffentlichen Kenntniß bringen, so sendet man es in die Fremde. Die Augs¬
burger Allgemeine spricht, indeß der österreichische Beobachter schweigt; die
Leipziger nimmt das Wort, wo die Staatszeitung die Lippen verschließt und
die Oberdeutsche meldet, was der schwäbische Merkur verschweigt. Frankfurt
aber, wo alle Mächte zusammen sitzen, ist der Ordnung nach das verschwiegenste
unter Allen. Darum haben die Frankfurter Journale nicht nur weit weniger
politische Originalmittheilungen als andere, welche weder durch die Lokalität
noch durch die Abonnentenzahl so bedeutend sind wie sie, sondern sie haben auch
mit einer weit zimperlicheren Censur zu kämpfen. Der Censor hat hier nicht
wie in jeder andern Stadt nur einen Herrn zu fürchten, sondern er hat eben
so viel Herren als Gesandte beim Bundestag accreditirt sind; hieraus nament¬
lich können Sie ersehen, wie wenig frei die freie Stadt Frankfurt ist. Dieser
Sciroccohauch der Censur-Verhältnisse ist es auch, was den früher so blühen¬
den Frankfurter Buchhandel so herabgedrückt hat, was die Literatur trotz der
manichfachen Kräfte, die hier sich finden, nach den versprechendsten Anfängen
immer wieder entwurzelt hat. Glauben Sie nicht, daß es hier an Talenten
und tüchtigen Köpfen fehlt, welche zusammen vereint, ein frisches und kräftiges
Literaturleben hier hervorrufen könnten. Außer vielen Fachgelehrten und
Schriftstellern leben hier noch viele eigentlich literarische Talente wie Theodor
Creizenach, Ludwig Braunfels, Lorenz'Diefenbach :c. Dennoch kann mit Aus¬
nahme der mit den politischen Zeitungen erscheinenden bellettristischen Beiblätter
und einiger Lokalblätter kein bedeutendes literarisches Journal emporkom¬
men- Wenn es wahr ist, daß Gutzkow seit einem Monate sich wieder hier
niedergelassen hat und seinen Telegraph Hieher verlegt, so könnenISie überzeugt
sein, daß Frankfurt selbst nicht der Druckort desselben werden wird. Wäre
nicht besser, daß ich Ihnen Offenbachcr statt Frankfurter Briefe schriebe -




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[0099] ihre Scenen abspielen. Ist es doch Grundsatz fast aller politischen Körper in Deutschland, in ihrer Nähe das tiefste Schweigen herrschen zu lassen. Was in Berlin und Wien verhandelt wird, das muß man überall eher suchen als in den Berliner und Wiener Journalen; sogar die Kammerverhandlungen des konstitutionellen und freisinnigen Würtembergs werden nicht in den einheimi¬ schen Journalen zum vollständigen Abdruck erlaubt. Will man etwas, zur öffentlichen Kenntniß bringen, so sendet man es in die Fremde. Die Augs¬ burger Allgemeine spricht, indeß der österreichische Beobachter schweigt; die Leipziger nimmt das Wort, wo die Staatszeitung die Lippen verschließt und die Oberdeutsche meldet, was der schwäbische Merkur verschweigt. Frankfurt aber, wo alle Mächte zusammen sitzen, ist der Ordnung nach das verschwiegenste unter Allen. Darum haben die Frankfurter Journale nicht nur weit weniger politische Originalmittheilungen als andere, welche weder durch die Lokalität noch durch die Abonnentenzahl so bedeutend sind wie sie, sondern sie haben auch mit einer weit zimperlicheren Censur zu kämpfen. Der Censor hat hier nicht wie in jeder andern Stadt nur einen Herrn zu fürchten, sondern er hat eben so viel Herren als Gesandte beim Bundestag accreditirt sind; hieraus nament¬ lich können Sie ersehen, wie wenig frei die freie Stadt Frankfurt ist. Dieser Sciroccohauch der Censur-Verhältnisse ist es auch, was den früher so blühen¬ den Frankfurter Buchhandel so herabgedrückt hat, was die Literatur trotz der manichfachen Kräfte, die hier sich finden, nach den versprechendsten Anfängen immer wieder entwurzelt hat. Glauben Sie nicht, daß es hier an Talenten und tüchtigen Köpfen fehlt, welche zusammen vereint, ein frisches und kräftiges Literaturleben hier hervorrufen könnten. Außer vielen Fachgelehrten und Schriftstellern leben hier noch viele eigentlich literarische Talente wie Theodor Creizenach, Ludwig Braunfels, Lorenz'Diefenbach :c. Dennoch kann mit Aus¬ nahme der mit den politischen Zeitungen erscheinenden bellettristischen Beiblätter und einiger Lokalblätter kein bedeutendes literarisches Journal emporkom¬ men- Wenn es wahr ist, daß Gutzkow seit einem Monate sich wieder hier niedergelassen hat und seinen Telegraph Hieher verlegt, so könnenISie überzeugt sein, daß Frankfurt selbst nicht der Druckort desselben werden wird. Wäre nicht besser, daß ich Ihnen Offenbachcr statt Frankfurter Briefe schriebe -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/99>, abgerufen am 23.07.2024.