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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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wissen vielleicht nicht, daß diese ehrsame Corporation in Ochsen-Metzger und
in Kalbs-Metzger streng abgetheilt ist. Wehe dem Ochsenmctzger, der das
Fleisch eines zarten Kalbes seinem Käufer anbietet; wehe dem Kalbsmctzger,
dessen Ehrgeiz sich bis zum Ochsen versteigt. Das Schwert des Gesetzes hängt
drohend über dem Haupt des Frevlers, der solche Uebergriffe in die Rechte
seines Nachbars zu thun wagt. Für einen französischen Baudcvillisten wäre
dieß Stoff genug, um einen Abend zu füllen. MontagueÄ Sohn, Romeo der
Ochsenmetzger, liebt Capulct's Tochter, die Kalbsmetzgerin, aber Capulet hat
dem Sohne seines Feindes geflucht. Balconsccne. Romeo eilt im Mondschein
unter das Fenster der Geliebten. Plötzlich tönen Schritte. Romeo schlüpft
hinter einen Baum. Das Hausthor der Geliebten öffnet sich. Da erblicken
seine Augen den gräßlichsten Frevel- Ein schreckliches Geheimniß wird ihn"
kund. Aus dem Hause der Geliebten tragen vier starke Knechte, heimlich
unter dem Deckmantel der Nacht, ein Ochsenviertcl heraus. Ein Ochsenviertcl
aus dem'Hause des Kalbsmctzgcrs! Romeo stürzt gegen die Lampen vor:

Nun ist er in meinen Händen
Niemand kann sein Schicksal wenden.

Abgang mit obligaten Reimen -- Knalleffekt--Aplaus; der Borhang fällt.--

Sie müssen mich bei Ihren Lesern entschuldigen, wenn ich sie mit solchen
schlechten "Späßen unterhalte. Die Schuld trifft Sie ganz allein, warum ver¬
langten Sie so ernsthaft Briefe aus Frankfurt von mir? Nehmen Sie un¬
sere hiesigen Journale zur, Hand, durchfliegen Sie alle übrigen Journale
Deutschlands und sehen Sie, was aus Frankfurt berichtet wird.

ES gehört die ganze Geduld unseres guten Ebner dazu, um das noth¬
wendige Budget der kleinen Tagesneuigkeiten herauszufischen, mit welchen er
die zehn bis fünfzehn politischen Journale, für welche er correspondirt, versehen
muß. Ich habe oft Mitleid mit dem fleißigen Manne, wenn ich ihn von sei¬
ner Gartenwohnung vor dem Bockenheimcr Thore im tiefsten Schnee wie in
der glühendsten Sommerhitze fünf bis sechsmal nach der Stadt trotten sehe.
Bald nach der Post, bald nach der Börse, nach einer Buchhandlung u. s. w., um
seinen täglichen Correspondenzbedarf wie eine Schwalbe aus allen Enden zu¬
sammenzutragen. Mit der Hälfte dieser Mühe und dieses Fleißes würde in
einer andern Stadt von gleichem Range wie Frankfurt, ein jeder Correspon-
dent bogenlange Materialien finden und doch ist Frankfurt der Sitz des Bun¬
destags. Depesche", Verhandlungen, Persönlichkeiten drängen einander, aber
die Presse steht wie die Zuschauer hinter einem Gitter, weit entfernt von dem
politischen Drama, dessen Sctauspielcr hinter dem herabgelassenen Borhcnige


wissen vielleicht nicht, daß diese ehrsame Corporation in Ochsen-Metzger und
in Kalbs-Metzger streng abgetheilt ist. Wehe dem Ochsenmctzger, der das
Fleisch eines zarten Kalbes seinem Käufer anbietet; wehe dem Kalbsmctzger,
dessen Ehrgeiz sich bis zum Ochsen versteigt. Das Schwert des Gesetzes hängt
drohend über dem Haupt des Frevlers, der solche Uebergriffe in die Rechte
seines Nachbars zu thun wagt. Für einen französischen Baudcvillisten wäre
dieß Stoff genug, um einen Abend zu füllen. MontagueÄ Sohn, Romeo der
Ochsenmetzger, liebt Capulct's Tochter, die Kalbsmetzgerin, aber Capulet hat
dem Sohne seines Feindes geflucht. Balconsccne. Romeo eilt im Mondschein
unter das Fenster der Geliebten. Plötzlich tönen Schritte. Romeo schlüpft
hinter einen Baum. Das Hausthor der Geliebten öffnet sich. Da erblicken
seine Augen den gräßlichsten Frevel- Ein schreckliches Geheimniß wird ihn»
kund. Aus dem Hause der Geliebten tragen vier starke Knechte, heimlich
unter dem Deckmantel der Nacht, ein Ochsenviertcl heraus. Ein Ochsenviertcl
aus dem'Hause des Kalbsmctzgcrs! Romeo stürzt gegen die Lampen vor:

Nun ist er in meinen Händen
Niemand kann sein Schicksal wenden.

Abgang mit obligaten Reimen — Knalleffekt—Aplaus; der Borhang fällt.—

Sie müssen mich bei Ihren Lesern entschuldigen, wenn ich sie mit solchen
schlechten «Späßen unterhalte. Die Schuld trifft Sie ganz allein, warum ver¬
langten Sie so ernsthaft Briefe aus Frankfurt von mir? Nehmen Sie un¬
sere hiesigen Journale zur, Hand, durchfliegen Sie alle übrigen Journale
Deutschlands und sehen Sie, was aus Frankfurt berichtet wird.

ES gehört die ganze Geduld unseres guten Ebner dazu, um das noth¬
wendige Budget der kleinen Tagesneuigkeiten herauszufischen, mit welchen er
die zehn bis fünfzehn politischen Journale, für welche er correspondirt, versehen
muß. Ich habe oft Mitleid mit dem fleißigen Manne, wenn ich ihn von sei¬
ner Gartenwohnung vor dem Bockenheimcr Thore im tiefsten Schnee wie in
der glühendsten Sommerhitze fünf bis sechsmal nach der Stadt trotten sehe.
Bald nach der Post, bald nach der Börse, nach einer Buchhandlung u. s. w., um
seinen täglichen Correspondenzbedarf wie eine Schwalbe aus allen Enden zu¬
sammenzutragen. Mit der Hälfte dieser Mühe und dieses Fleißes würde in
einer andern Stadt von gleichem Range wie Frankfurt, ein jeder Correspon-
dent bogenlange Materialien finden und doch ist Frankfurt der Sitz des Bun¬
destags. Depesche», Verhandlungen, Persönlichkeiten drängen einander, aber
die Presse steht wie die Zuschauer hinter einem Gitter, weit entfernt von dem
politischen Drama, dessen Sctauspielcr hinter dem herabgelassenen Borhcnige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/98>, abgerufen am 23.07.2024.