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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Indessen bei einem peinigen Journal, das tagtäglich die
Tribune betreten ausi, das nicht Zeit hat, sich ans- und anzu¬
kleiden, sondern gestiefelt und gespornt zu Belle gehen muß, um
des anderen Tages, beim ersten Postruf, wieder aufzuspringen und
in's Feld zu rücken, da kann man nicht die Ansprüche macheu,
daß es seine Worte lange poliren und auf diplomatische Wendun-
gen nachdenken solle.

Was aber den politischen Tageblättern unmöglich wird, warum
übernehmen dies nicht die Wochenblätter, die literarischen und bettet,
n istischen Zeitschriften?

Die belletristischen Journale gehen ohnstreitig einer Krisis entge¬
gen, ihre Form ist abgenutzt und, wenn sie den Zug der Zeit nur
einigermaßen begreifen, wenn sie ihr ferneres Bestehen möglich machen
"vollen, so müssen sie einen andern Weg einschlagen. In Frankreich,
wo die Politik alles Andere aussaugt, haben die politischen Jour¬
nale längst die bellettristischen verschlungen; das Feuilleton wird von
dem Hauptblatte wie ein Nachen von einem Linienschiff am Schlepp¬
tau nachgezogen. In Deutschland ist bisher dieses Beispiel nur von
einigen Journalen mit Erfolg versucht worden, diese Versuche wer¬
den aber immer häufiger, die Materien, welcher sich unsere politi¬
schen Journale bemächtigen, greisen immer mehr und mehr in's li-
terarische Gebiet hinüber; und es dauert vielleicht nicht mehr lange,
so lesen wir in der Augsburger und in der Leipziger Allgemeinen
Zeitung auch Novellen.

Mögen die bellettristischen Journale die drohende Gefahr beden¬
ken und aus ihrer Schlaffheit, aus ihrem trägen l'-ki- mente sich auf¬
raffen ; noch ist es Zeit, einen Plan zu machen. Die Kreise müssen
weiter ausgesteckt werden, die Kräfte rüstiger sich drängen. Muß
doch unsere ganze Journalistik bei England in die Schule gehen,
warum wollen die literarischen Journale nicht gleichfalls dort ihre
Erfahrungen herholen; auch die untergeordneten englischen und fran¬
zösischen Revuen wagen sich nicht mit so leichter Fracht auf den
Strom, wie die unseren.

Die deutschen bellettristischen Zeitschriften haben aber noch den
großen Vortheil voraus, daß ihnen eine Lücke der politischen Ta¬
gesliteratur zu bebauen übrig bleibt, welche sür die englischen und
französischen verloren ist. Sie können jene Gegenstände aufgreifen,


Indessen bei einem peinigen Journal, das tagtäglich die
Tribune betreten ausi, das nicht Zeit hat, sich ans- und anzu¬
kleiden, sondern gestiefelt und gespornt zu Belle gehen muß, um
des anderen Tages, beim ersten Postruf, wieder aufzuspringen und
in's Feld zu rücken, da kann man nicht die Ansprüche macheu,
daß es seine Worte lange poliren und auf diplomatische Wendun-
gen nachdenken solle.

Was aber den politischen Tageblättern unmöglich wird, warum
übernehmen dies nicht die Wochenblätter, die literarischen und bettet,
n istischen Zeitschriften?

Die belletristischen Journale gehen ohnstreitig einer Krisis entge¬
gen, ihre Form ist abgenutzt und, wenn sie den Zug der Zeit nur
einigermaßen begreifen, wenn sie ihr ferneres Bestehen möglich machen
»vollen, so müssen sie einen andern Weg einschlagen. In Frankreich,
wo die Politik alles Andere aussaugt, haben die politischen Jour¬
nale längst die bellettristischen verschlungen; das Feuilleton wird von
dem Hauptblatte wie ein Nachen von einem Linienschiff am Schlepp¬
tau nachgezogen. In Deutschland ist bisher dieses Beispiel nur von
einigen Journalen mit Erfolg versucht worden, diese Versuche wer¬
den aber immer häufiger, die Materien, welcher sich unsere politi¬
schen Journale bemächtigen, greisen immer mehr und mehr in's li-
terarische Gebiet hinüber; und es dauert vielleicht nicht mehr lange,
so lesen wir in der Augsburger und in der Leipziger Allgemeinen
Zeitung auch Novellen.

Mögen die bellettristischen Journale die drohende Gefahr beden¬
ken und aus ihrer Schlaffheit, aus ihrem trägen l'-ki- mente sich auf¬
raffen ; noch ist es Zeit, einen Plan zu machen. Die Kreise müssen
weiter ausgesteckt werden, die Kräfte rüstiger sich drängen. Muß
doch unsere ganze Journalistik bei England in die Schule gehen,
warum wollen die literarischen Journale nicht gleichfalls dort ihre
Erfahrungen herholen; auch die untergeordneten englischen und fran¬
zösischen Revuen wagen sich nicht mit so leichter Fracht auf den
Strom, wie die unseren.

Die deutschen bellettristischen Zeitschriften haben aber noch den
großen Vortheil voraus, daß ihnen eine Lücke der politischen Ta¬
gesliteratur zu bebauen übrig bleibt, welche sür die englischen und
französischen verloren ist. Sie können jene Gegenstände aufgreifen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/92>, abgerufen am 23.07.2024.