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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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seinen Zechbrüdern erzählt, hier habe ein Mal ein Tempel gestanden,
an derselben Stelle habe ein Mal ein Priester gedroht mit Gottes
Zorn; da, wo Tanz und Jubel, habe einst eine büßende Seele in
Sack und Asche getrauert. Wer weiß, ob nicht, wo jetzt die Ge¬
beine modern, bald Rosen glühen und das Leben lacht; auf den
Schlacken der geschmolzenen Glocken -- der Schmelz von Jugend
und Schönheit! -- Noch röchelt das Echo seufzender gestorbener
Menschen durch diese Mauern, noch weht es den einsam nächtigen
Wandrer an wie Leichenduft und Brandgeruch; noch heben sich
zwischen den Trümmern -- die Geister der entsetzlich Gefallenen --
nächtlich zwischen den, Nebeln, und die Wehklage winselt zu den
Sternen; Ohnmacht und Grauen wankt in den hohlen Tiefen;
bald ist keine Spur mehr von den Tagen des Schreckens, und das
Gedächtniß löscht eine Jammerknnde nach der andern von ihrer
Tafel. Wie viel Gedanken, Bilder und Erinnerungen gehen mit
einer Generation zu Grabe! Die Enkel streifen nur flüchtig am
Sarge ihrer Ahnen vorüber. -- Stürze dich immerhin in dein
eignes gährendes Grab, du alter Frömmling aus Backsteinen; sie
werden' deiner noch lange gedenken und vielleicht kommen ihnen
Stunden der Wehmuth, in denen sie das Auge zu dir erheben, und
statt deiner Nichts sehen, als den kahlen Himmel; dann weinen sie
dir nach und sprechen eine moderne Elegie statt des Rosenkranzes.
Die Zeiten sind nicht mehr, da tausend Hände mühsam Steinchen
auf Steinchen häuften, beharrlich von nah und fern herbeischleppten
und für Ewigkeiten fest kitteten; heute muß Alles aufschießen, wach¬
sen in Einer Nacht, in Einem Nu; heute gießen wir eine Kirche
aus Eisen, Tempel aus einem Guß. Der alte Geist ist hinwegge¬
schmolzen, und der junge fließt wie klingende Glockenspeise im Feuer
einer großen schönen Sonne. Und am Ende wozu so hohe Thürme,
in einer ^eit der Nivellirung? Er hat seine Frist dahin, sein Leben
gelebt; laßt die Todten ruhn. Diesem alten müden Giganten steht
der letzte Schritt noch bevor. Bis jetzt hat man noch, nicht wie
auf dem Petrithurm seine Höhe erreichen können, fast scheint es,
keines Menschen Fuß werde dort oben je mehr Raum finden, keines
Sterblichen Auge von dort oben über die durstende Stadt
hinaus in die lachenden Fluren des leise rauschenden Elbstro-
nics spähen. Es würde Nichts besser in den Schlußact des großen
Dramas passen, das der alte Thurm selbst aufführt, als wenn er
den zagenden Händen der Menschen zuvorkäme und in einer Stur¬
mesnacht zusammenstürzte. Ich glaube fast, er thut's, denn gräm¬
licher und lebenssatter blickte nie ein lebendiger Stein.


Georg Schirges.


seinen Zechbrüdern erzählt, hier habe ein Mal ein Tempel gestanden,
an derselben Stelle habe ein Mal ein Priester gedroht mit Gottes
Zorn; da, wo Tanz und Jubel, habe einst eine büßende Seele in
Sack und Asche getrauert. Wer weiß, ob nicht, wo jetzt die Ge¬
beine modern, bald Rosen glühen und das Leben lacht; auf den
Schlacken der geschmolzenen Glocken — der Schmelz von Jugend
und Schönheit! — Noch röchelt das Echo seufzender gestorbener
Menschen durch diese Mauern, noch weht es den einsam nächtigen
Wandrer an wie Leichenduft und Brandgeruch; noch heben sich
zwischen den Trümmern — die Geister der entsetzlich Gefallenen —
nächtlich zwischen den, Nebeln, und die Wehklage winselt zu den
Sternen; Ohnmacht und Grauen wankt in den hohlen Tiefen;
bald ist keine Spur mehr von den Tagen des Schreckens, und das
Gedächtniß löscht eine Jammerknnde nach der andern von ihrer
Tafel. Wie viel Gedanken, Bilder und Erinnerungen gehen mit
einer Generation zu Grabe! Die Enkel streifen nur flüchtig am
Sarge ihrer Ahnen vorüber. — Stürze dich immerhin in dein
eignes gährendes Grab, du alter Frömmling aus Backsteinen; sie
werden' deiner noch lange gedenken und vielleicht kommen ihnen
Stunden der Wehmuth, in denen sie das Auge zu dir erheben, und
statt deiner Nichts sehen, als den kahlen Himmel; dann weinen sie
dir nach und sprechen eine moderne Elegie statt des Rosenkranzes.
Die Zeiten sind nicht mehr, da tausend Hände mühsam Steinchen
auf Steinchen häuften, beharrlich von nah und fern herbeischleppten
und für Ewigkeiten fest kitteten; heute muß Alles aufschießen, wach¬
sen in Einer Nacht, in Einem Nu; heute gießen wir eine Kirche
aus Eisen, Tempel aus einem Guß. Der alte Geist ist hinwegge¬
schmolzen, und der junge fließt wie klingende Glockenspeise im Feuer
einer großen schönen Sonne. Und am Ende wozu so hohe Thürme,
in einer ^eit der Nivellirung? Er hat seine Frist dahin, sein Leben
gelebt; laßt die Todten ruhn. Diesem alten müden Giganten steht
der letzte Schritt noch bevor. Bis jetzt hat man noch, nicht wie
auf dem Petrithurm seine Höhe erreichen können, fast scheint es,
keines Menschen Fuß werde dort oben je mehr Raum finden, keines
Sterblichen Auge von dort oben über die durstende Stadt
hinaus in die lachenden Fluren des leise rauschenden Elbstro-
nics spähen. Es würde Nichts besser in den Schlußact des großen
Dramas passen, das der alte Thurm selbst aufführt, als wenn er
den zagenden Händen der Menschen zuvorkäme und in einer Stur¬
mesnacht zusammenstürzte. Ich glaube fast, er thut's, denn gräm¬
licher und lebenssatter blickte nie ein lebendiger Stein.


Georg Schirges.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/591>, abgerufen am 23.07.2024.