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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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auf dem Standpunkte des Besprechet, PrüfenS und VorschlagenS;
an'S Anwenden dieser Vorschläge hat man sich noch nicht gemacht.
Die Gefahr aber ist unvermeidlich; denn wie wir vom auseinander¬
gesetzt, bestehen in diesen Ländern dieselben oder ähnliche Verhältnisse,
wie in England und gleiche Ursachen müssen gleich" Resultate her¬
beiführen. Die Bezüge zwischen Capital, Grundeigenthum, Arbeit,
immer anwachsender Bevölkerung und stets steigender Fabrikation
sind ebenfalls gestörte und in Unordnung gebrachte, müssen also
gleichermaßen zum Pauperismus oder zu einem völligen Umsturz
der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung führen.

Hat nicht Frankreich schon jetzt seine periodisch wiederkehrenden
Volksaufstände, und kann man über dem politischen Charakter, den sie
äußerlich annehmen, die materiellen Ursachen übersehen, die ihnen
in Wahrheit zu Grunde liegen und sie hervorrufen? Kann man
nicht sehen wollen, daß der Communismus, der eigentlich Nichts
als die Formel oder Vorbereitung des längst drohenden Krieges der
Armen gegen die Reichen ist, eine unvermeidliche Nothwendigkeit
geworden? Denn man glaube es nur, das Volk erhitzt sich zumeist
durch die Eingebungen jener traurigen Nachgeben", der Noth. Höhere
Ideen, staatsrechtliche Theorien haben nur insoweit einen Einfluß
auf seine Handlungen, als sie seinen Bedürfnissen entsprechen und
eS wird diejenige Staatsverfassung, welche dieselben am besten be-
friedigt, stets auch für die beste halten, möge sein Antheil an der¬
selben sein, welcher er immer wolle.

Wenn Belgien, von dessen Bevölkerung der größere Theil
durch Naturanlage und Temperament ruhiger und minder ungestüm
in seinem Benehmen ist, bisher noch keine dieser gewaltsamen Pro-
testationen der Armen erlebt hat, so ist es darum nicht minder unter
der Herrschaft jener oben angegebenen Ursachen der Auflösung aller
gesellschaftlichen Bande und es wird in geringerer oder größerer
Zeit am Rande ähnlichen Verderbens stehen. Ja es hat sogar
eine um so traurigere Aehnlichkeit mit Englands Loos zu befürchten/
da seine Industrie durch ihre eine Zeit lang so unverhältnißmäßige
Ausdehnung, weil es nicht dieselben weiten Ausfuhrwege als Eng¬
land hat, jetzt in einem Zustande des Schmachtens daniederliegt,
der die immer steigende Bevölkerung, von der zwei Drittheile, wie
in jenem Lande, auf die Industrie angewiesen sind, schon jetzt hart


auf dem Standpunkte des Besprechet, PrüfenS und VorschlagenS;
an'S Anwenden dieser Vorschläge hat man sich noch nicht gemacht.
Die Gefahr aber ist unvermeidlich; denn wie wir vom auseinander¬
gesetzt, bestehen in diesen Ländern dieselben oder ähnliche Verhältnisse,
wie in England und gleiche Ursachen müssen gleich« Resultate her¬
beiführen. Die Bezüge zwischen Capital, Grundeigenthum, Arbeit,
immer anwachsender Bevölkerung und stets steigender Fabrikation
sind ebenfalls gestörte und in Unordnung gebrachte, müssen also
gleichermaßen zum Pauperismus oder zu einem völligen Umsturz
der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung führen.

Hat nicht Frankreich schon jetzt seine periodisch wiederkehrenden
Volksaufstände, und kann man über dem politischen Charakter, den sie
äußerlich annehmen, die materiellen Ursachen übersehen, die ihnen
in Wahrheit zu Grunde liegen und sie hervorrufen? Kann man
nicht sehen wollen, daß der Communismus, der eigentlich Nichts
als die Formel oder Vorbereitung des längst drohenden Krieges der
Armen gegen die Reichen ist, eine unvermeidliche Nothwendigkeit
geworden? Denn man glaube es nur, das Volk erhitzt sich zumeist
durch die Eingebungen jener traurigen Nachgeben», der Noth. Höhere
Ideen, staatsrechtliche Theorien haben nur insoweit einen Einfluß
auf seine Handlungen, als sie seinen Bedürfnissen entsprechen und
eS wird diejenige Staatsverfassung, welche dieselben am besten be-
friedigt, stets auch für die beste halten, möge sein Antheil an der¬
selben sein, welcher er immer wolle.

Wenn Belgien, von dessen Bevölkerung der größere Theil
durch Naturanlage und Temperament ruhiger und minder ungestüm
in seinem Benehmen ist, bisher noch keine dieser gewaltsamen Pro-
testationen der Armen erlebt hat, so ist es darum nicht minder unter
der Herrschaft jener oben angegebenen Ursachen der Auflösung aller
gesellschaftlichen Bande und es wird in geringerer oder größerer
Zeit am Rande ähnlichen Verderbens stehen. Ja es hat sogar
eine um so traurigere Aehnlichkeit mit Englands Loos zu befürchten/
da seine Industrie durch ihre eine Zeit lang so unverhältnißmäßige
Ausdehnung, weil es nicht dieselben weiten Ausfuhrwege als Eng¬
land hat, jetzt in einem Zustande des Schmachtens daniederliegt,
der die immer steigende Bevölkerung, von der zwei Drittheile, wie
in jenem Lande, auf die Industrie angewiesen sind, schon jetzt hart


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[0575] auf dem Standpunkte des Besprechet, PrüfenS und VorschlagenS; an'S Anwenden dieser Vorschläge hat man sich noch nicht gemacht. Die Gefahr aber ist unvermeidlich; denn wie wir vom auseinander¬ gesetzt, bestehen in diesen Ländern dieselben oder ähnliche Verhältnisse, wie in England und gleiche Ursachen müssen gleich« Resultate her¬ beiführen. Die Bezüge zwischen Capital, Grundeigenthum, Arbeit, immer anwachsender Bevölkerung und stets steigender Fabrikation sind ebenfalls gestörte und in Unordnung gebrachte, müssen also gleichermaßen zum Pauperismus oder zu einem völligen Umsturz der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung führen. Hat nicht Frankreich schon jetzt seine periodisch wiederkehrenden Volksaufstände, und kann man über dem politischen Charakter, den sie äußerlich annehmen, die materiellen Ursachen übersehen, die ihnen in Wahrheit zu Grunde liegen und sie hervorrufen? Kann man nicht sehen wollen, daß der Communismus, der eigentlich Nichts als die Formel oder Vorbereitung des längst drohenden Krieges der Armen gegen die Reichen ist, eine unvermeidliche Nothwendigkeit geworden? Denn man glaube es nur, das Volk erhitzt sich zumeist durch die Eingebungen jener traurigen Nachgeben», der Noth. Höhere Ideen, staatsrechtliche Theorien haben nur insoweit einen Einfluß auf seine Handlungen, als sie seinen Bedürfnissen entsprechen und eS wird diejenige Staatsverfassung, welche dieselben am besten be- friedigt, stets auch für die beste halten, möge sein Antheil an der¬ selben sein, welcher er immer wolle. Wenn Belgien, von dessen Bevölkerung der größere Theil durch Naturanlage und Temperament ruhiger und minder ungestüm in seinem Benehmen ist, bisher noch keine dieser gewaltsamen Pro- testationen der Armen erlebt hat, so ist es darum nicht minder unter der Herrschaft jener oben angegebenen Ursachen der Auflösung aller gesellschaftlichen Bande und es wird in geringerer oder größerer Zeit am Rande ähnlichen Verderbens stehen. Ja es hat sogar eine um so traurigere Aehnlichkeit mit Englands Loos zu befürchten/ da seine Industrie durch ihre eine Zeit lang so unverhältnißmäßige Ausdehnung, weil es nicht dieselben weiten Ausfuhrwege als Eng¬ land hat, jetzt in einem Zustande des Schmachtens daniederliegt, der die immer steigende Bevölkerung, von der zwei Drittheile, wie in jenem Lande, auf die Industrie angewiesen sind, schon jetzt hart

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/575>, abgerufen am 23.07.2024.