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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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darzustellen. Es mußte dieser Mann mit der allgemein classischen
Bildung und der Kenntniß der modernen Literaturen Frankreichs
und der andern Völker des westlichen Europa nicht allein die
vollständige und genaue Kenntniß der slavischen Sprachen und Li¬
teraturen verbinden, sondern er mußte im Slaventhum eine so hohe
literarische Stellung einnehmen, daß dieses in allen seinen Zweigen
ihn als seinen würdigen Vertreter anerkennen konnte. Es mußte
dieser Mann endlich die Sprache seines neuen Adoptivvaterlandes
geläufig sprechen und schreiben können, damit in seinen Vorträgen
nicht der Gedanke des einschmeichelnden Gewandes der schönen Dar¬
stellung entbehre; denn es waren ihm Zuhörer bestimmt, welche in
andern Fächern die berühmtesten Redner Frankreichs von den Ka¬
thedern herab gehört hatten oder noch hörten. So schwer es nun
auch war, einen solchen Mann zu finden, so hat man ihn doch
gefunden. Der bejammernswcrthe Untergang einer Nation von Hel¬
den hatte ihn nach Frankreich geführt. Es war derselbe reisende
Sänger, von dem wir oben gesprochen und dessen gewaltige Stimme
Göthe so gern vernommen hatte. Es war der große Dichter Po¬
lens, der Byron des katholischen Nordens, der Sänger deö Kon¬
rad Wallenrod und der Dziady, er war Adam Mickiewicz,
ein anderer Dante durch seinen feurigen Glauben, sein Genie und
seine Verbannung. Von Cousin war es ein um so größeres Ver¬
dienst, daß er den Geächteten aus seiner Verborgenheit hervorzog
da er, gleich so vielen andern leicht beleidigten klein-großen Männern
unserer Zeit, dem Dichter persönlich hätte grollen können, weil ihm
dieser er seinem "Buch der polnischen Pilgerschaft" den ziemlich
originellen Beinamen einer leeren Mühle gegeben hatte.

Adam Mickiewicz ward gegen das Ende des Jahres 1798 in
Nowogorodek, einer kleinen Stadt Lithauens geboren, wo sein Va¬
ter bei einem Gerichte unterster Instanz Advocat war. Seine Fa¬
milie gehört zu den ältesten des Landes; einige Genealogen behaupten
sogar, sie sei von demselben Stamme, wie die des Prinzen Giedroyn;
sie war aber in Folge der politischen Umwälzungen des Landes in
ihren Vermögensumständen herabgekommen. Unser Dichter hat meh¬
rere Brüder. Der eine davon, Alerander Mickiewicz ist ein ausge¬
zeichneter Rechtsgelehrter, der vor dem polnischen Aufstande an dem
Lyceum von Krzemieniec in Volhynien die Stelle als Professor des


darzustellen. Es mußte dieser Mann mit der allgemein classischen
Bildung und der Kenntniß der modernen Literaturen Frankreichs
und der andern Völker des westlichen Europa nicht allein die
vollständige und genaue Kenntniß der slavischen Sprachen und Li¬
teraturen verbinden, sondern er mußte im Slaventhum eine so hohe
literarische Stellung einnehmen, daß dieses in allen seinen Zweigen
ihn als seinen würdigen Vertreter anerkennen konnte. Es mußte
dieser Mann endlich die Sprache seines neuen Adoptivvaterlandes
geläufig sprechen und schreiben können, damit in seinen Vorträgen
nicht der Gedanke des einschmeichelnden Gewandes der schönen Dar¬
stellung entbehre; denn es waren ihm Zuhörer bestimmt, welche in
andern Fächern die berühmtesten Redner Frankreichs von den Ka¬
thedern herab gehört hatten oder noch hörten. So schwer es nun
auch war, einen solchen Mann zu finden, so hat man ihn doch
gefunden. Der bejammernswcrthe Untergang einer Nation von Hel¬
den hatte ihn nach Frankreich geführt. Es war derselbe reisende
Sänger, von dem wir oben gesprochen und dessen gewaltige Stimme
Göthe so gern vernommen hatte. Es war der große Dichter Po¬
lens, der Byron des katholischen Nordens, der Sänger deö Kon¬
rad Wallenrod und der Dziady, er war Adam Mickiewicz,
ein anderer Dante durch seinen feurigen Glauben, sein Genie und
seine Verbannung. Von Cousin war es ein um so größeres Ver¬
dienst, daß er den Geächteten aus seiner Verborgenheit hervorzog
da er, gleich so vielen andern leicht beleidigten klein-großen Männern
unserer Zeit, dem Dichter persönlich hätte grollen können, weil ihm
dieser er seinem „Buch der polnischen Pilgerschaft" den ziemlich
originellen Beinamen einer leeren Mühle gegeben hatte.

Adam Mickiewicz ward gegen das Ende des Jahres 1798 in
Nowogorodek, einer kleinen Stadt Lithauens geboren, wo sein Va¬
ter bei einem Gerichte unterster Instanz Advocat war. Seine Fa¬
milie gehört zu den ältesten des Landes; einige Genealogen behaupten
sogar, sie sei von demselben Stamme, wie die des Prinzen Giedroyn;
sie war aber in Folge der politischen Umwälzungen des Landes in
ihren Vermögensumständen herabgekommen. Unser Dichter hat meh¬
rere Brüder. Der eine davon, Alerander Mickiewicz ist ein ausge¬
zeichneter Rechtsgelehrter, der vor dem polnischen Aufstande an dem
Lyceum von Krzemieniec in Volhynien die Stelle als Professor des


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[0549] darzustellen. Es mußte dieser Mann mit der allgemein classischen Bildung und der Kenntniß der modernen Literaturen Frankreichs und der andern Völker des westlichen Europa nicht allein die vollständige und genaue Kenntniß der slavischen Sprachen und Li¬ teraturen verbinden, sondern er mußte im Slaventhum eine so hohe literarische Stellung einnehmen, daß dieses in allen seinen Zweigen ihn als seinen würdigen Vertreter anerkennen konnte. Es mußte dieser Mann endlich die Sprache seines neuen Adoptivvaterlandes geläufig sprechen und schreiben können, damit in seinen Vorträgen nicht der Gedanke des einschmeichelnden Gewandes der schönen Dar¬ stellung entbehre; denn es waren ihm Zuhörer bestimmt, welche in andern Fächern die berühmtesten Redner Frankreichs von den Ka¬ thedern herab gehört hatten oder noch hörten. So schwer es nun auch war, einen solchen Mann zu finden, so hat man ihn doch gefunden. Der bejammernswcrthe Untergang einer Nation von Hel¬ den hatte ihn nach Frankreich geführt. Es war derselbe reisende Sänger, von dem wir oben gesprochen und dessen gewaltige Stimme Göthe so gern vernommen hatte. Es war der große Dichter Po¬ lens, der Byron des katholischen Nordens, der Sänger deö Kon¬ rad Wallenrod und der Dziady, er war Adam Mickiewicz, ein anderer Dante durch seinen feurigen Glauben, sein Genie und seine Verbannung. Von Cousin war es ein um so größeres Ver¬ dienst, daß er den Geächteten aus seiner Verborgenheit hervorzog da er, gleich so vielen andern leicht beleidigten klein-großen Männern unserer Zeit, dem Dichter persönlich hätte grollen können, weil ihm dieser er seinem „Buch der polnischen Pilgerschaft" den ziemlich originellen Beinamen einer leeren Mühle gegeben hatte. Adam Mickiewicz ward gegen das Ende des Jahres 1798 in Nowogorodek, einer kleinen Stadt Lithauens geboren, wo sein Va¬ ter bei einem Gerichte unterster Instanz Advocat war. Seine Fa¬ milie gehört zu den ältesten des Landes; einige Genealogen behaupten sogar, sie sei von demselben Stamme, wie die des Prinzen Giedroyn; sie war aber in Folge der politischen Umwälzungen des Landes in ihren Vermögensumständen herabgekommen. Unser Dichter hat meh¬ rere Brüder. Der eine davon, Alerander Mickiewicz ist ein ausge¬ zeichneter Rechtsgelehrter, der vor dem polnischen Aufstande an dem Lyceum von Krzemieniec in Volhynien die Stelle als Professor des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/549>, abgerufen am 26.08.2024.