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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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i" feurigen Zügen die letzten unglücklichen Kämpfe seines Landes
malten. Von hier begab er sich nach Paris und lebte dort lange
in stiller Verborgenheit in der großen Weltstadt; an den Ufern der
Seine war er ein zweiter Zeremiaö unter den Flüchtlingen seines
Volkes und mit dem begeisterten Tone jenes Propheten griff er in
seine Harfe und sang für Polen das 8ni><-i- it"wina ZiUiylvnis.
Die Schweiz, die freie Schweiz, holte sich den Sänger einer unter¬
gegangenen Freiheit in ihre Mitte, bis ihn Frankreich wieder in
seinen Schooß zurückrief, um ihm eine große und schöne Mission
zu übertragen.

Unter den mancherlei nützlichen Einrichtungen, welche den kurzen
Aufenthalt Cousin's im Ministerium des öffentlichen Unterrichts be¬
zeichnet haben, ist die Erschaffung einer Professur am College de
France für slavische Sprachen und ihre Literatur unstreitig eine der
nützlichsten und für die Zukunft erfolgreichsten. Der Gesetzentwurf,
den der Minister hierbei den französischen Kammern vorlegte, begeg¬
nete daher auch auf allen Bänken derselben einem fast einstimmigen
Beifall. Eine zu ihrem eigenen Nachtheil sehr eigenthümlich ab¬
stechende Ausnahme machte jedoch hier der (wie ihn Cousin in seiner
Entgegnung mit Shakspeare'sehen Spotte nannte) sehr ehren¬
werthe H. Anguis, einer jener in Kleinigkeiten haushälterischer
Menschen, die sich eine Volkstümlichkeit zu erwerben suchen, indem
sie eine ganze Sitzung hindurch kämpfen, um von einem Budget
von tausend Millionen fünf Franken abzuzwacken. Dies Mal aber
war es nicht gerade eine Oekonomie der Art, weshalb H. Auguis
von der neuen Professur Nichts wissen wollte, sondern eS war Pa¬
triotismus. Der Ehrenwerthe hatte nämlich die Entdeckung
gemacht, eS verstoße durchaus gegen alles Nationalgefühl, wenn man
eine Untersuchung über den geistigen Zustand eines Volksstammes
anstelle, der wohl sechzig Millionen zählt, der die Hälfte Europas
und ein Drittel Asiens bewohnt oder beherrscht, und von. dem die
Franzosen damals nicht viel weiter wußten, als daß er zwei Ma!
den Weg nach Paris gesunden habe und daß sein einer Arm ein
Constantinopels Mauern sich lehne, während der andre hart an ti
chinesische Mauer stößt. Herr Anguis hatte gesunden, ein Studium
über den Geist dieses Volksstammes, wie er sich in seiner alle,!
Zweigen gemeinsamen Muttersprache, dem Slavischen und in dessen


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i» feurigen Zügen die letzten unglücklichen Kämpfe seines Landes
malten. Von hier begab er sich nach Paris und lebte dort lange
in stiller Verborgenheit in der großen Weltstadt; an den Ufern der
Seine war er ein zweiter Zeremiaö unter den Flüchtlingen seines
Volkes und mit dem begeisterten Tone jenes Propheten griff er in
seine Harfe und sang für Polen das 8ni><-i- it»wina ZiUiylvnis.
Die Schweiz, die freie Schweiz, holte sich den Sänger einer unter¬
gegangenen Freiheit in ihre Mitte, bis ihn Frankreich wieder in
seinen Schooß zurückrief, um ihm eine große und schöne Mission
zu übertragen.

Unter den mancherlei nützlichen Einrichtungen, welche den kurzen
Aufenthalt Cousin's im Ministerium des öffentlichen Unterrichts be¬
zeichnet haben, ist die Erschaffung einer Professur am College de
France für slavische Sprachen und ihre Literatur unstreitig eine der
nützlichsten und für die Zukunft erfolgreichsten. Der Gesetzentwurf,
den der Minister hierbei den französischen Kammern vorlegte, begeg¬
nete daher auch auf allen Bänken derselben einem fast einstimmigen
Beifall. Eine zu ihrem eigenen Nachtheil sehr eigenthümlich ab¬
stechende Ausnahme machte jedoch hier der (wie ihn Cousin in seiner
Entgegnung mit Shakspeare'sehen Spotte nannte) sehr ehren¬
werthe H. Anguis, einer jener in Kleinigkeiten haushälterischer
Menschen, die sich eine Volkstümlichkeit zu erwerben suchen, indem
sie eine ganze Sitzung hindurch kämpfen, um von einem Budget
von tausend Millionen fünf Franken abzuzwacken. Dies Mal aber
war es nicht gerade eine Oekonomie der Art, weshalb H. Auguis
von der neuen Professur Nichts wissen wollte, sondern eS war Pa¬
triotismus. Der Ehrenwerthe hatte nämlich die Entdeckung
gemacht, eS verstoße durchaus gegen alles Nationalgefühl, wenn man
eine Untersuchung über den geistigen Zustand eines Volksstammes
anstelle, der wohl sechzig Millionen zählt, der die Hälfte Europas
und ein Drittel Asiens bewohnt oder beherrscht, und von. dem die
Franzosen damals nicht viel weiter wußten, als daß er zwei Ma!
den Weg nach Paris gesunden habe und daß sein einer Arm ein
Constantinopels Mauern sich lehne, während der andre hart an ti
chinesische Mauer stößt. Herr Anguis hatte gesunden, ein Studium
über den Geist dieses Volksstammes, wie er sich in seiner alle,!
Zweigen gemeinsamen Muttersprache, dem Slavischen und in dessen


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[0547] i» feurigen Zügen die letzten unglücklichen Kämpfe seines Landes malten. Von hier begab er sich nach Paris und lebte dort lange in stiller Verborgenheit in der großen Weltstadt; an den Ufern der Seine war er ein zweiter Zeremiaö unter den Flüchtlingen seines Volkes und mit dem begeisterten Tone jenes Propheten griff er in seine Harfe und sang für Polen das 8ni><-i- it»wina ZiUiylvnis. Die Schweiz, die freie Schweiz, holte sich den Sänger einer unter¬ gegangenen Freiheit in ihre Mitte, bis ihn Frankreich wieder in seinen Schooß zurückrief, um ihm eine große und schöne Mission zu übertragen. Unter den mancherlei nützlichen Einrichtungen, welche den kurzen Aufenthalt Cousin's im Ministerium des öffentlichen Unterrichts be¬ zeichnet haben, ist die Erschaffung einer Professur am College de France für slavische Sprachen und ihre Literatur unstreitig eine der nützlichsten und für die Zukunft erfolgreichsten. Der Gesetzentwurf, den der Minister hierbei den französischen Kammern vorlegte, begeg¬ nete daher auch auf allen Bänken derselben einem fast einstimmigen Beifall. Eine zu ihrem eigenen Nachtheil sehr eigenthümlich ab¬ stechende Ausnahme machte jedoch hier der (wie ihn Cousin in seiner Entgegnung mit Shakspeare'sehen Spotte nannte) sehr ehren¬ werthe H. Anguis, einer jener in Kleinigkeiten haushälterischer Menschen, die sich eine Volkstümlichkeit zu erwerben suchen, indem sie eine ganze Sitzung hindurch kämpfen, um von einem Budget von tausend Millionen fünf Franken abzuzwacken. Dies Mal aber war es nicht gerade eine Oekonomie der Art, weshalb H. Auguis von der neuen Professur Nichts wissen wollte, sondern eS war Pa¬ triotismus. Der Ehrenwerthe hatte nämlich die Entdeckung gemacht, eS verstoße durchaus gegen alles Nationalgefühl, wenn man eine Untersuchung über den geistigen Zustand eines Volksstammes anstelle, der wohl sechzig Millionen zählt, der die Hälfte Europas und ein Drittel Asiens bewohnt oder beherrscht, und von. dem die Franzosen damals nicht viel weiter wußten, als daß er zwei Ma! den Weg nach Paris gesunden habe und daß sein einer Arm ein Constantinopels Mauern sich lehne, während der andre hart an ti chinesische Mauer stößt. Herr Anguis hatte gesunden, ein Studium über den Geist dieses Volksstammes, wie er sich in seiner alle,! Zweigen gemeinsamen Muttersprache, dem Slavischen und in dessen 36»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/547>, abgerufen am 26.08.2024.