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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Prometheus des Thones befand sich damals in Weimar. Es war
dies der berühmte französische Bildhauer David aus Angers, den
seine Bewunderung für Goethe nach Weimar geführt harte, wo er
sich mit Modellirung jener so berühmten colossalen Büste des Dich¬
ters beschäftigte, die ohne Zweifel des Bildhauers geistreichste und
gelungenste Arbeit ist und wohl die Stelle einer Bildsäule deö
Dichters vertritt, wenn gleich der bescheidene Schöpfer sie in seinem
Uebersendungs-Schreiben an Goethe nur ein Fragment einer sol¬
chen nennt. Der fremde Dichter übersetzte dem Bildhauer einen
seiner herrlichsten Gesänge in's Französische und David fesselte die
markirten und ernsten Züge des Sängers auf ein Medaillon, das
Goethe's Eigenthum war. Nachdem so diese drei friedlichen Rin¬
ger um den Lorbeerkranz in antiker Weise freundliche Gastgeschenke
und Beweise ihrer gegenseitigen Sympathien mit einander ausge¬
tauscht hatten, setzte der Reisende seinen Wanderstab weiter, reiste
ohne längeren Aufenthalt durch Paris und überschritt die Alpen.
Unter Italiens schönem, blauem Himmel, in seiner stets milden Früh¬
lingsluft wollte er die eisig kalte Atmosphäre von Petersburg und
die dumpfe Modcrluft von Wilnas Kerkern vergessen. Da erscholl
in Paris der Freiheitsruf der großen Woche und das Echo hallte
wieder an den Usern der Weichsel und an den Ufern des Po. Der
Reisende erwachte aus seiner Ruhe. Das Vaterland rief ihn zu
den Waffen und er eilte herbei. Aber die preußische Polizei ver¬
rammelte ihm den Weg in die Heimath. Es war dem Sänger
der heroischen Erinnerungen seines Volkes nicht vergönnt, Theil zu
nehmen an seinem letzten, verzweiflungsvollen Freiheitskämpfe. Er
irrte eine Zeit lang in den Grenzstaaten Preußens umher und bald
vernahm er da einen zweiten durch ganz Europa widerhallenden Schrei;
aber es war der Todesschrei seiner unglücklichen, in ihrem Blute
zusammenbrechenden Nation. Der Dichter hatte kein Vaterland
mehr, der Reisende war nur noch ein Geächteter. In Dresden,
dermaleinst der Hauptstadt polnischer Könige, wo er die Trümmer
und Scheiter seines Vaterlandes, die in freiere Länder pilgernden
Genossen einer besseren Jugendzeit, mit heißem Schmerz an seine
Brust drückte, hier war es, wo er aus dem Eisen, mit dem er nicht
hatte kämpfen können, eine Saite auf seiner Lyra formte. Ihr ent¬
gangen damals gewaltige Lieder voll hohen poetischen Werthes, die


Prometheus des Thones befand sich damals in Weimar. Es war
dies der berühmte französische Bildhauer David aus Angers, den
seine Bewunderung für Goethe nach Weimar geführt harte, wo er
sich mit Modellirung jener so berühmten colossalen Büste des Dich¬
ters beschäftigte, die ohne Zweifel des Bildhauers geistreichste und
gelungenste Arbeit ist und wohl die Stelle einer Bildsäule deö
Dichters vertritt, wenn gleich der bescheidene Schöpfer sie in seinem
Uebersendungs-Schreiben an Goethe nur ein Fragment einer sol¬
chen nennt. Der fremde Dichter übersetzte dem Bildhauer einen
seiner herrlichsten Gesänge in's Französische und David fesselte die
markirten und ernsten Züge des Sängers auf ein Medaillon, das
Goethe's Eigenthum war. Nachdem so diese drei friedlichen Rin¬
ger um den Lorbeerkranz in antiker Weise freundliche Gastgeschenke
und Beweise ihrer gegenseitigen Sympathien mit einander ausge¬
tauscht hatten, setzte der Reisende seinen Wanderstab weiter, reiste
ohne längeren Aufenthalt durch Paris und überschritt die Alpen.
Unter Italiens schönem, blauem Himmel, in seiner stets milden Früh¬
lingsluft wollte er die eisig kalte Atmosphäre von Petersburg und
die dumpfe Modcrluft von Wilnas Kerkern vergessen. Da erscholl
in Paris der Freiheitsruf der großen Woche und das Echo hallte
wieder an den Usern der Weichsel und an den Ufern des Po. Der
Reisende erwachte aus seiner Ruhe. Das Vaterland rief ihn zu
den Waffen und er eilte herbei. Aber die preußische Polizei ver¬
rammelte ihm den Weg in die Heimath. Es war dem Sänger
der heroischen Erinnerungen seines Volkes nicht vergönnt, Theil zu
nehmen an seinem letzten, verzweiflungsvollen Freiheitskämpfe. Er
irrte eine Zeit lang in den Grenzstaaten Preußens umher und bald
vernahm er da einen zweiten durch ganz Europa widerhallenden Schrei;
aber es war der Todesschrei seiner unglücklichen, in ihrem Blute
zusammenbrechenden Nation. Der Dichter hatte kein Vaterland
mehr, der Reisende war nur noch ein Geächteter. In Dresden,
dermaleinst der Hauptstadt polnischer Könige, wo er die Trümmer
und Scheiter seines Vaterlandes, die in freiere Länder pilgernden
Genossen einer besseren Jugendzeit, mit heißem Schmerz an seine
Brust drückte, hier war es, wo er aus dem Eisen, mit dem er nicht
hatte kämpfen können, eine Saite auf seiner Lyra formte. Ihr ent¬
gangen damals gewaltige Lieder voll hohen poetischen Werthes, die


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[0546] Prometheus des Thones befand sich damals in Weimar. Es war dies der berühmte französische Bildhauer David aus Angers, den seine Bewunderung für Goethe nach Weimar geführt harte, wo er sich mit Modellirung jener so berühmten colossalen Büste des Dich¬ ters beschäftigte, die ohne Zweifel des Bildhauers geistreichste und gelungenste Arbeit ist und wohl die Stelle einer Bildsäule deö Dichters vertritt, wenn gleich der bescheidene Schöpfer sie in seinem Uebersendungs-Schreiben an Goethe nur ein Fragment einer sol¬ chen nennt. Der fremde Dichter übersetzte dem Bildhauer einen seiner herrlichsten Gesänge in's Französische und David fesselte die markirten und ernsten Züge des Sängers auf ein Medaillon, das Goethe's Eigenthum war. Nachdem so diese drei friedlichen Rin¬ ger um den Lorbeerkranz in antiker Weise freundliche Gastgeschenke und Beweise ihrer gegenseitigen Sympathien mit einander ausge¬ tauscht hatten, setzte der Reisende seinen Wanderstab weiter, reiste ohne längeren Aufenthalt durch Paris und überschritt die Alpen. Unter Italiens schönem, blauem Himmel, in seiner stets milden Früh¬ lingsluft wollte er die eisig kalte Atmosphäre von Petersburg und die dumpfe Modcrluft von Wilnas Kerkern vergessen. Da erscholl in Paris der Freiheitsruf der großen Woche und das Echo hallte wieder an den Usern der Weichsel und an den Ufern des Po. Der Reisende erwachte aus seiner Ruhe. Das Vaterland rief ihn zu den Waffen und er eilte herbei. Aber die preußische Polizei ver¬ rammelte ihm den Weg in die Heimath. Es war dem Sänger der heroischen Erinnerungen seines Volkes nicht vergönnt, Theil zu nehmen an seinem letzten, verzweiflungsvollen Freiheitskämpfe. Er irrte eine Zeit lang in den Grenzstaaten Preußens umher und bald vernahm er da einen zweiten durch ganz Europa widerhallenden Schrei; aber es war der Todesschrei seiner unglücklichen, in ihrem Blute zusammenbrechenden Nation. Der Dichter hatte kein Vaterland mehr, der Reisende war nur noch ein Geächteter. In Dresden, dermaleinst der Hauptstadt polnischer Könige, wo er die Trümmer und Scheiter seines Vaterlandes, die in freiere Länder pilgernden Genossen einer besseren Jugendzeit, mit heißem Schmerz an seine Brust drückte, hier war es, wo er aus dem Eisen, mit dem er nicht hatte kämpfen können, eine Saite auf seiner Lyra formte. Ihr ent¬ gangen damals gewaltige Lieder voll hohen poetischen Werthes, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/546>, abgerufen am 29.09.2024.