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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Herrn von Tallehrand, als er noch zu Bette lag. Frau Edmund
von Perigord saß zu den Füßen seines Bettes und war in fröhli¬
cher Unterhaltung mit ihm begriffen, als man einen Brief des Herrn
von Metternich brachte.

"ES ist gewiß nur eine Anzeige von der Stunde, wo der Con-
greß zusammenkommt," sagte der Fürst.

Indeß öffnete die schöne Gräfin mechanisch die Depesche, wirft
die Augen hinein und liest die große Nachricht. Nun sollte sie im
Laufe desselben Tages sich zu Frau von Metternich begeben, um eine
Probe des Stückes.- Der Taube oder das überfüllte Gast¬
haus zu halten. Sie rief daher aus:

"Buonaparte hat die Insel Elba verlassen. Ach, mein Gott,
was wird nun aus meiner Probe werden, Onkel?"

"Sie wird Statt haben, Madame," antwortete ruhig der Dip¬
lomat. "Und die Probe hat wirklich Statt gefunden. Europa steht
vielleicht am Vorabend eines allgemein auflodernden Kriegesfeuers.
Aber unsre Comödianten werden um so Geringes nicht ihre Hal¬
tung verlieren."

Man studirte die Gesichter der diplomatischen Notabilitäten,
auf denen sich gewöhnlich so wenig lesen läßt; man durchspürte ihre
Blicke, um ihre kleinsten Gedanken darin zu finden. Aber alle äffen--
tirten ein Vertrauen, das ohne Zweifel in ihrem Innern nichts we¬
niger als vorhanden war. Auffallend war die Abwesenheit des
Fürsten Tallevrcmd und daS tief bekümmerte, sorgenvolle Aussehen
des Kaiser Alexander ward auch allgemein bemerkt.

Welche Ursachen hatten Napoleon zu diesem großen Entschlüsse
bewogen, der für Frankreich und für ihn gleich verderbliche Folgen
hatte? Hoffte er, trotzdem sein Land so geschwächt war, dennoch ein
zweites Mal dem ganzen wider ihn verbündeten Europa Stand
halten zu können? War er verblendet über die Möglichkeit, fortan
mit all diesen Souveränen, denen er früher Gesetze dictirt und
welche nun ihrer Seits den Weg nach Paris gelernt hatten, in
Frieden zu leben? Oder war nicht seiner Seits diese Flucht von
der Insel Elba nur ein Streich der Verzweiflung, um dadurch der
Gefangenschaft zu entgehen, die ihn sechs Jahre später, ein Geier
an der Leber des modernen Prometheus, auf dem Felsen von Se.
Helena langsam zu Tode marterte?


Herrn von Tallehrand, als er noch zu Bette lag. Frau Edmund
von Perigord saß zu den Füßen seines Bettes und war in fröhli¬
cher Unterhaltung mit ihm begriffen, als man einen Brief des Herrn
von Metternich brachte.

„ES ist gewiß nur eine Anzeige von der Stunde, wo der Con-
greß zusammenkommt," sagte der Fürst.

Indeß öffnete die schöne Gräfin mechanisch die Depesche, wirft
die Augen hinein und liest die große Nachricht. Nun sollte sie im
Laufe desselben Tages sich zu Frau von Metternich begeben, um eine
Probe des Stückes.- Der Taube oder das überfüllte Gast¬
haus zu halten. Sie rief daher aus:

„Buonaparte hat die Insel Elba verlassen. Ach, mein Gott,
was wird nun aus meiner Probe werden, Onkel?"

„Sie wird Statt haben, Madame," antwortete ruhig der Dip¬
lomat. „Und die Probe hat wirklich Statt gefunden. Europa steht
vielleicht am Vorabend eines allgemein auflodernden Kriegesfeuers.
Aber unsre Comödianten werden um so Geringes nicht ihre Hal¬
tung verlieren."

Man studirte die Gesichter der diplomatischen Notabilitäten,
auf denen sich gewöhnlich so wenig lesen läßt; man durchspürte ihre
Blicke, um ihre kleinsten Gedanken darin zu finden. Aber alle äffen--
tirten ein Vertrauen, das ohne Zweifel in ihrem Innern nichts we¬
niger als vorhanden war. Auffallend war die Abwesenheit des
Fürsten Tallevrcmd und daS tief bekümmerte, sorgenvolle Aussehen
des Kaiser Alexander ward auch allgemein bemerkt.

Welche Ursachen hatten Napoleon zu diesem großen Entschlüsse
bewogen, der für Frankreich und für ihn gleich verderbliche Folgen
hatte? Hoffte er, trotzdem sein Land so geschwächt war, dennoch ein
zweites Mal dem ganzen wider ihn verbündeten Europa Stand
halten zu können? War er verblendet über die Möglichkeit, fortan
mit all diesen Souveränen, denen er früher Gesetze dictirt und
welche nun ihrer Seits den Weg nach Paris gelernt hatten, in
Frieden zu leben? Oder war nicht seiner Seits diese Flucht von
der Insel Elba nur ein Streich der Verzweiflung, um dadurch der
Gefangenschaft zu entgehen, die ihn sechs Jahre später, ein Geier
an der Leber des modernen Prometheus, auf dem Felsen von Se.
Helena langsam zu Tode marterte?


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[0521] Herrn von Tallehrand, als er noch zu Bette lag. Frau Edmund von Perigord saß zu den Füßen seines Bettes und war in fröhli¬ cher Unterhaltung mit ihm begriffen, als man einen Brief des Herrn von Metternich brachte. „ES ist gewiß nur eine Anzeige von der Stunde, wo der Con- greß zusammenkommt," sagte der Fürst. Indeß öffnete die schöne Gräfin mechanisch die Depesche, wirft die Augen hinein und liest die große Nachricht. Nun sollte sie im Laufe desselben Tages sich zu Frau von Metternich begeben, um eine Probe des Stückes.- Der Taube oder das überfüllte Gast¬ haus zu halten. Sie rief daher aus: „Buonaparte hat die Insel Elba verlassen. Ach, mein Gott, was wird nun aus meiner Probe werden, Onkel?" „Sie wird Statt haben, Madame," antwortete ruhig der Dip¬ lomat. „Und die Probe hat wirklich Statt gefunden. Europa steht vielleicht am Vorabend eines allgemein auflodernden Kriegesfeuers. Aber unsre Comödianten werden um so Geringes nicht ihre Hal¬ tung verlieren." Man studirte die Gesichter der diplomatischen Notabilitäten, auf denen sich gewöhnlich so wenig lesen läßt; man durchspürte ihre Blicke, um ihre kleinsten Gedanken darin zu finden. Aber alle äffen-- tirten ein Vertrauen, das ohne Zweifel in ihrem Innern nichts we¬ niger als vorhanden war. Auffallend war die Abwesenheit des Fürsten Tallevrcmd und daS tief bekümmerte, sorgenvolle Aussehen des Kaiser Alexander ward auch allgemein bemerkt. Welche Ursachen hatten Napoleon zu diesem großen Entschlüsse bewogen, der für Frankreich und für ihn gleich verderbliche Folgen hatte? Hoffte er, trotzdem sein Land so geschwächt war, dennoch ein zweites Mal dem ganzen wider ihn verbündeten Europa Stand halten zu können? War er verblendet über die Möglichkeit, fortan mit all diesen Souveränen, denen er früher Gesetze dictirt und welche nun ihrer Seits den Weg nach Paris gelernt hatten, in Frieden zu leben? Oder war nicht seiner Seits diese Flucht von der Insel Elba nur ein Streich der Verzweiflung, um dadurch der Gefangenschaft zu entgehen, die ihn sechs Jahre später, ein Geier an der Leber des modernen Prometheus, auf dem Felsen von Se. Helena langsam zu Tode marterte?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/521>, abgerufen am 26.08.2024.