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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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lieferte den Kommentar dazu." Also waren Goethe's Vor.
fahren, auch Die, welche vor dem Erscheinen des Faust lebten, Nichts
als Affen und Bären, die Goethe erst zu Menschen gemacht! - -
Goethe ist demnach so eine Art von Messias. Der Nevakteur des
Abendblatts mußte durchaus nicht der Ansicht des Recensenten sein,
denn er machte drei große Ausrufungszeichen dabei. Weiter schreibt
dieser Schriftsteller, dessen Statue ich wohl in der Walhalla aufge¬
stellt sehen möchte, daß wenn Goethe ihm gestern Ehre
und Glück geraubt hätte, und er läse heute seinen
Faust, er mit Freuden die Füße küssen würde, die ihn
getreten.

Was soll man von einer solchen Literatur denken? -ist sie nicht
schön? nicht originell? Ich gestehe, ich hätte dies nicht in Mecklen¬
burg gesucht. Ich glaube auch, daß, wenn dieser Schriftsteller pro^-
ductiv ist, es ihm ein Leichtes sein muß, den ganzen Goethe'schen
Commentar in vierzehn Tagen wieder zunichte zu machen; und
dann wären wir wieder, was wir vor Goethe waren! --

Heute Morgen kam ich in eine Conditorei; am Fenster der¬
selben stand eine Gruppe von drei Herren, die sich sehr lebhast über
ein schläfriges Thema unierhielten. Es war nämlich die große
mecklenburgische Frage: ob der nichtadelige Rittergutsbesitzer ein Vo¬
tum auf dem Landtage habe, oder nicht. Die Rollen waren bei
dieser Verhandlung hier in dieser Konditorei etwas ungleich vertheilt,
denn zwei dieser Herren bearbeiteten ihren bürgerlichen Widersacher
auf adelig feine Weise. Ich mischte mich in diesen Streit und sprach
mit großer Kühnheit gegen die Arroganz des Adels; diese und
meines Verbündeten Hartnäckigkeit erzwangen die Bestätigung der
beiden adeligen Herren: daß es nirgendswo geschrieben stehe, der bür¬
gerliche Rittergutsbesitzer sei nicht competent für ein Votum in den
landeötägigen Versammlungen. Und hierin wollten nur ja nur
Recht haben. -- Die hochadeligen Herren Mecklenburgs sehen aber
auch gar zu schön aus in ihrer wolkigen Perrücke; sie nöthigen dies
Land noch mehr zu einer größeren Fragsamieit, wie sie jetzt in
manchen kleinen und größeren Ländern herrscht, die alle eine Frage
unter sich an sich haben; Staatslebensfragen, die fast nie genügend
beantwortet werden, da man bei aller scheinbaren Energie stets um
die Entscheidung herumschleicht wie die Katze um den heißen Brei


lieferte den Kommentar dazu." Also waren Goethe's Vor.
fahren, auch Die, welche vor dem Erscheinen des Faust lebten, Nichts
als Affen und Bären, die Goethe erst zu Menschen gemacht! - -
Goethe ist demnach so eine Art von Messias. Der Nevakteur des
Abendblatts mußte durchaus nicht der Ansicht des Recensenten sein,
denn er machte drei große Ausrufungszeichen dabei. Weiter schreibt
dieser Schriftsteller, dessen Statue ich wohl in der Walhalla aufge¬
stellt sehen möchte, daß wenn Goethe ihm gestern Ehre
und Glück geraubt hätte, und er läse heute seinen
Faust, er mit Freuden die Füße küssen würde, die ihn
getreten.

Was soll man von einer solchen Literatur denken? -ist sie nicht
schön? nicht originell? Ich gestehe, ich hätte dies nicht in Mecklen¬
burg gesucht. Ich glaube auch, daß, wenn dieser Schriftsteller pro^-
ductiv ist, es ihm ein Leichtes sein muß, den ganzen Goethe'schen
Commentar in vierzehn Tagen wieder zunichte zu machen; und
dann wären wir wieder, was wir vor Goethe waren! —

Heute Morgen kam ich in eine Conditorei; am Fenster der¬
selben stand eine Gruppe von drei Herren, die sich sehr lebhast über
ein schläfriges Thema unierhielten. Es war nämlich die große
mecklenburgische Frage: ob der nichtadelige Rittergutsbesitzer ein Vo¬
tum auf dem Landtage habe, oder nicht. Die Rollen waren bei
dieser Verhandlung hier in dieser Konditorei etwas ungleich vertheilt,
denn zwei dieser Herren bearbeiteten ihren bürgerlichen Widersacher
auf adelig feine Weise. Ich mischte mich in diesen Streit und sprach
mit großer Kühnheit gegen die Arroganz des Adels; diese und
meines Verbündeten Hartnäckigkeit erzwangen die Bestätigung der
beiden adeligen Herren: daß es nirgendswo geschrieben stehe, der bür¬
gerliche Rittergutsbesitzer sei nicht competent für ein Votum in den
landeötägigen Versammlungen. Und hierin wollten nur ja nur
Recht haben. — Die hochadeligen Herren Mecklenburgs sehen aber
auch gar zu schön aus in ihrer wolkigen Perrücke; sie nöthigen dies
Land noch mehr zu einer größeren Fragsamieit, wie sie jetzt in
manchen kleinen und größeren Ländern herrscht, die alle eine Frage
unter sich an sich haben; Staatslebensfragen, die fast nie genügend
beantwortet werden, da man bei aller scheinbaren Energie stets um
die Entscheidung herumschleicht wie die Katze um den heißen Brei


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[0508] lieferte den Kommentar dazu." Also waren Goethe's Vor. fahren, auch Die, welche vor dem Erscheinen des Faust lebten, Nichts als Affen und Bären, die Goethe erst zu Menschen gemacht! - - Goethe ist demnach so eine Art von Messias. Der Nevakteur des Abendblatts mußte durchaus nicht der Ansicht des Recensenten sein, denn er machte drei große Ausrufungszeichen dabei. Weiter schreibt dieser Schriftsteller, dessen Statue ich wohl in der Walhalla aufge¬ stellt sehen möchte, daß wenn Goethe ihm gestern Ehre und Glück geraubt hätte, und er läse heute seinen Faust, er mit Freuden die Füße küssen würde, die ihn getreten. Was soll man von einer solchen Literatur denken? -ist sie nicht schön? nicht originell? Ich gestehe, ich hätte dies nicht in Mecklen¬ burg gesucht. Ich glaube auch, daß, wenn dieser Schriftsteller pro^- ductiv ist, es ihm ein Leichtes sein muß, den ganzen Goethe'schen Commentar in vierzehn Tagen wieder zunichte zu machen; und dann wären wir wieder, was wir vor Goethe waren! — Heute Morgen kam ich in eine Conditorei; am Fenster der¬ selben stand eine Gruppe von drei Herren, die sich sehr lebhast über ein schläfriges Thema unierhielten. Es war nämlich die große mecklenburgische Frage: ob der nichtadelige Rittergutsbesitzer ein Vo¬ tum auf dem Landtage habe, oder nicht. Die Rollen waren bei dieser Verhandlung hier in dieser Konditorei etwas ungleich vertheilt, denn zwei dieser Herren bearbeiteten ihren bürgerlichen Widersacher auf adelig feine Weise. Ich mischte mich in diesen Streit und sprach mit großer Kühnheit gegen die Arroganz des Adels; diese und meines Verbündeten Hartnäckigkeit erzwangen die Bestätigung der beiden adeligen Herren: daß es nirgendswo geschrieben stehe, der bür¬ gerliche Rittergutsbesitzer sei nicht competent für ein Votum in den landeötägigen Versammlungen. Und hierin wollten nur ja nur Recht haben. — Die hochadeligen Herren Mecklenburgs sehen aber auch gar zu schön aus in ihrer wolkigen Perrücke; sie nöthigen dies Land noch mehr zu einer größeren Fragsamieit, wie sie jetzt in manchen kleinen und größeren Ländern herrscht, die alle eine Frage unter sich an sich haben; Staatslebensfragen, die fast nie genügend beantwortet werden, da man bei aller scheinbaren Energie stets um die Entscheidung herumschleicht wie die Katze um den heißen Brei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/508>, abgerufen am 26.08.2024.