Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

die Thürme abnähme, die über den vielen moosgrünen Dächern ii°
der Lust hängen wie steile Schlafmützen, müßte man es für ein
langes Dorf halten, das in einem, es fast rund umgebenden großen
See schwimmt. Am Thor hatte ich eine Wache zu Passiren, ein
wirklich origineller Contrast zu dem unscheinbaren Aeußeren Schwe¬
rins; sie sieht aus wie ich die chinesischen Tempel und Häuser
überhaupt habe abgebildet gesehen, achteckig, wenn ich nicht irre, mit
vielmal geschnäbeltcm Dach. Der Himmel mag wissen, wie man
auf die Idee gekommen ist, eine Wache so ausländisch zu construiren.
Neben dieser schritt mit großer Gemächlichkeit ein mecklenburgischer
Chinese mit dichtem Schnurrbart. Vor mir lag die Paulstadt, ein
ganz neues Viertel, welches des unlängst verstorbenen Großherzogs
Paul Friedrich Baulust hervorrief, ohne es beenden zu können.
Einige Kreuz- und Querstraßen führten mich zum Posthause^ Dort
ist'S schön: vor mir das große alterthümliche Schloß mit seinen un¬
endlich vielen Thürmchen und den kleinen Fensterscheiben; die Reit¬
bahn, Kanonen, Soldaten, Gewehre -- brr! was sieht das hier in
der mecklenburgischen Residenz kriegerisch aus. Im PostHause herrscht
reges Treiben. Alles läuft mit geschäftiger Miene durcheinander,
ich suchte vergebens einen Postboten, der mir meine Habseligkeiten
mobil machen könne. ES war nämlich ein Graf von Irgendwoher
angekommen und verlangte Relais. Was solche Leute doch stets
Unsereinem voraus haben; der Postdiener, welchen ich endlich erfaßte,
fuhr mich gerade nicht sehr sanft an, weil ich ja sähe, daß er be-
deschäftigt sei. Dafür hätte er eigentlich kein Trinkgeld vom Grafen
verdient; ich werd'S ihm wiedersagen. Ich seufzte und trollte mich
weiter -- denn ich bin kein Graf.

Trotzdem logire ich hier doch im Hs>tel de Hambourg. Alles ist
hier auf'6 eleganteste eingerichtet, auch hält man hier auf anständige
Preise; man nennt das großstädtisch. Warum reist man denn auch?
Man sollte eigentlich ruhig zu Hause bleiben, weder Schlafrock noch
Pantoffeln vom Leibe lassen, wie sich's echten Deutschen ziemt.
Unsre Urväter gingen nicht ungezwungen aus dem Lande ihrer
Heimath; deshalb gab eS damals ein Deutschland. Heut zu Tage
soll man, in der vornehmen Welt geboren, erst Franzose werden,
ehe man noch Hosen trägt, und hernach, wenn man pou -l pou einen
Backenbart kriegt, sich mit der Fibel in'S Deutschthum hineinarbeiten.


die Thürme abnähme, die über den vielen moosgrünen Dächern ii°
der Lust hängen wie steile Schlafmützen, müßte man es für ein
langes Dorf halten, das in einem, es fast rund umgebenden großen
See schwimmt. Am Thor hatte ich eine Wache zu Passiren, ein
wirklich origineller Contrast zu dem unscheinbaren Aeußeren Schwe¬
rins; sie sieht aus wie ich die chinesischen Tempel und Häuser
überhaupt habe abgebildet gesehen, achteckig, wenn ich nicht irre, mit
vielmal geschnäbeltcm Dach. Der Himmel mag wissen, wie man
auf die Idee gekommen ist, eine Wache so ausländisch zu construiren.
Neben dieser schritt mit großer Gemächlichkeit ein mecklenburgischer
Chinese mit dichtem Schnurrbart. Vor mir lag die Paulstadt, ein
ganz neues Viertel, welches des unlängst verstorbenen Großherzogs
Paul Friedrich Baulust hervorrief, ohne es beenden zu können.
Einige Kreuz- und Querstraßen führten mich zum Posthause^ Dort
ist'S schön: vor mir das große alterthümliche Schloß mit seinen un¬
endlich vielen Thürmchen und den kleinen Fensterscheiben; die Reit¬
bahn, Kanonen, Soldaten, Gewehre — brr! was sieht das hier in
der mecklenburgischen Residenz kriegerisch aus. Im PostHause herrscht
reges Treiben. Alles läuft mit geschäftiger Miene durcheinander,
ich suchte vergebens einen Postboten, der mir meine Habseligkeiten
mobil machen könne. ES war nämlich ein Graf von Irgendwoher
angekommen und verlangte Relais. Was solche Leute doch stets
Unsereinem voraus haben; der Postdiener, welchen ich endlich erfaßte,
fuhr mich gerade nicht sehr sanft an, weil ich ja sähe, daß er be-
deschäftigt sei. Dafür hätte er eigentlich kein Trinkgeld vom Grafen
verdient; ich werd'S ihm wiedersagen. Ich seufzte und trollte mich
weiter — denn ich bin kein Graf.

Trotzdem logire ich hier doch im Hs>tel de Hambourg. Alles ist
hier auf'6 eleganteste eingerichtet, auch hält man hier auf anständige
Preise; man nennt das großstädtisch. Warum reist man denn auch?
Man sollte eigentlich ruhig zu Hause bleiben, weder Schlafrock noch
Pantoffeln vom Leibe lassen, wie sich's echten Deutschen ziemt.
Unsre Urväter gingen nicht ungezwungen aus dem Lande ihrer
Heimath; deshalb gab eS damals ein Deutschland. Heut zu Tage
soll man, in der vornehmen Welt geboren, erst Franzose werden,
ehe man noch Hosen trägt, und hernach, wenn man pou -l pou einen
Backenbart kriegt, sich mit der Fibel in'S Deutschthum hineinarbeiten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0506" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267123"/>
          <p xml:id="ID_1383" prev="#ID_1382"> die Thürme abnähme, die über den vielen moosgrünen Dächern ii°<lb/>
der Lust hängen wie steile Schlafmützen, müßte man es für ein<lb/>
langes Dorf halten, das in einem, es fast rund umgebenden großen<lb/>
See schwimmt. Am Thor hatte ich eine Wache zu Passiren, ein<lb/>
wirklich origineller Contrast zu dem unscheinbaren Aeußeren Schwe¬<lb/>
rins; sie sieht aus wie ich die chinesischen Tempel und Häuser<lb/>
überhaupt habe abgebildet gesehen, achteckig, wenn ich nicht irre, mit<lb/>
vielmal geschnäbeltcm Dach. Der Himmel mag wissen, wie man<lb/>
auf die Idee gekommen ist, eine Wache so ausländisch zu construiren.<lb/>
Neben dieser schritt mit großer Gemächlichkeit ein mecklenburgischer<lb/>
Chinese mit dichtem Schnurrbart. Vor mir lag die Paulstadt, ein<lb/>
ganz neues Viertel, welches des unlängst verstorbenen Großherzogs<lb/>
Paul Friedrich Baulust hervorrief, ohne es beenden zu können.<lb/>
Einige Kreuz- und Querstraßen führten mich zum Posthause^ Dort<lb/>
ist'S schön: vor mir das große alterthümliche Schloß mit seinen un¬<lb/>
endlich vielen Thürmchen und den kleinen Fensterscheiben; die Reit¬<lb/>
bahn, Kanonen, Soldaten, Gewehre &#x2014; brr! was sieht das hier in<lb/>
der mecklenburgischen Residenz kriegerisch aus. Im PostHause herrscht<lb/>
reges Treiben. Alles läuft mit geschäftiger Miene durcheinander,<lb/>
ich suchte vergebens einen Postboten, der mir meine Habseligkeiten<lb/>
mobil machen könne. ES war nämlich ein Graf von Irgendwoher<lb/>
angekommen und verlangte Relais. Was solche Leute doch stets<lb/>
Unsereinem voraus haben; der Postdiener, welchen ich endlich erfaßte,<lb/>
fuhr mich gerade nicht sehr sanft an, weil ich ja sähe, daß er be-<lb/>
deschäftigt sei. Dafür hätte er eigentlich kein Trinkgeld vom Grafen<lb/>
verdient; ich werd'S ihm wiedersagen. Ich seufzte und trollte mich<lb/>
weiter &#x2014; denn ich bin kein Graf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1384" next="#ID_1385"> Trotzdem logire ich hier doch im Hs&gt;tel de Hambourg. Alles ist<lb/>
hier auf'6 eleganteste eingerichtet, auch hält man hier auf anständige<lb/>
Preise; man nennt das großstädtisch. Warum reist man denn auch?<lb/>
Man sollte eigentlich ruhig zu Hause bleiben, weder Schlafrock noch<lb/>
Pantoffeln vom Leibe lassen, wie sich's echten Deutschen ziemt.<lb/>
Unsre Urväter gingen nicht ungezwungen aus dem Lande ihrer<lb/>
Heimath; deshalb gab eS damals ein Deutschland. Heut zu Tage<lb/>
soll man, in der vornehmen Welt geboren, erst Franzose werden,<lb/>
ehe man noch Hosen trägt, und hernach, wenn man pou -l pou einen<lb/>
Backenbart kriegt, sich mit der Fibel in'S Deutschthum hineinarbeiten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0506] die Thürme abnähme, die über den vielen moosgrünen Dächern ii° der Lust hängen wie steile Schlafmützen, müßte man es für ein langes Dorf halten, das in einem, es fast rund umgebenden großen See schwimmt. Am Thor hatte ich eine Wache zu Passiren, ein wirklich origineller Contrast zu dem unscheinbaren Aeußeren Schwe¬ rins; sie sieht aus wie ich die chinesischen Tempel und Häuser überhaupt habe abgebildet gesehen, achteckig, wenn ich nicht irre, mit vielmal geschnäbeltcm Dach. Der Himmel mag wissen, wie man auf die Idee gekommen ist, eine Wache so ausländisch zu construiren. Neben dieser schritt mit großer Gemächlichkeit ein mecklenburgischer Chinese mit dichtem Schnurrbart. Vor mir lag die Paulstadt, ein ganz neues Viertel, welches des unlängst verstorbenen Großherzogs Paul Friedrich Baulust hervorrief, ohne es beenden zu können. Einige Kreuz- und Querstraßen führten mich zum Posthause^ Dort ist'S schön: vor mir das große alterthümliche Schloß mit seinen un¬ endlich vielen Thürmchen und den kleinen Fensterscheiben; die Reit¬ bahn, Kanonen, Soldaten, Gewehre — brr! was sieht das hier in der mecklenburgischen Residenz kriegerisch aus. Im PostHause herrscht reges Treiben. Alles läuft mit geschäftiger Miene durcheinander, ich suchte vergebens einen Postboten, der mir meine Habseligkeiten mobil machen könne. ES war nämlich ein Graf von Irgendwoher angekommen und verlangte Relais. Was solche Leute doch stets Unsereinem voraus haben; der Postdiener, welchen ich endlich erfaßte, fuhr mich gerade nicht sehr sanft an, weil ich ja sähe, daß er be- deschäftigt sei. Dafür hätte er eigentlich kein Trinkgeld vom Grafen verdient; ich werd'S ihm wiedersagen. Ich seufzte und trollte mich weiter — denn ich bin kein Graf. Trotzdem logire ich hier doch im Hs>tel de Hambourg. Alles ist hier auf'6 eleganteste eingerichtet, auch hält man hier auf anständige Preise; man nennt das großstädtisch. Warum reist man denn auch? Man sollte eigentlich ruhig zu Hause bleiben, weder Schlafrock noch Pantoffeln vom Leibe lassen, wie sich's echten Deutschen ziemt. Unsre Urväter gingen nicht ungezwungen aus dem Lande ihrer Heimath; deshalb gab eS damals ein Deutschland. Heut zu Tage soll man, in der vornehmen Welt geboren, erst Franzose werden, ehe man noch Hosen trägt, und hernach, wenn man pou -l pou einen Backenbart kriegt, sich mit der Fibel in'S Deutschthum hineinarbeiten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/506
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/506>, abgerufen am 23.07.2024.