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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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inwiefern sie dem Zollverein beizutreten geneigt oder abgeneigt seien, so ist es
darum nicht minder wahr, daß die Regierung über die Gesinnun¬
gen derselben sich wohl unterrichtet hat. Wo es so viele indirekte
Mittel zur Kenntniß der allgemeinen Stimmung giebt, wie bei uns,
da braucht man sich von Oben nicht zu direkten Erkundigungen
herabzulassen. Eine schlimme Vorbedeutung für den projektirten
Zollanschluß ist es, daß der Delegirte, den der böhmische Gewcrbc-
verein nach Mainz zu der dortigen Industrieausstellung absandte,
dort statt aller Verbindungen nichts als -- den Tod gefunden hat.
Der Verlust dieses trefflichen Mannes, der um seiner vielen Verdienste
willen, erst vor Kurzem von dem Kaiser in den Adelstand erhoben
wurde -- er hieß Leopold Jerusalem von Salenfels -- hat hier
eine große Theilnahme unter der Kaufmannswelt erregt, um so
mehr als die Nachricht von seinem plötzlichen Tode fast gleichzeitig
mit seiner Leiche, welche dessen Familie von Mainz abholen ließ,
hier einträfe). Die hiesigen Industriellen, ohnehin gegen den Zoll-



Anm. d. Eins.

^) Einige Tage darauf trat noch eine andere Ursache ein, um diese Be¬
stürzung unter der Kaufmannschaft zu erhöhen, da der Verstorbene durch seine
unbegrenzte Wohlthätigkeit seine Vermögensumstände in Zerrüttung hinter¬
ließ ; doch hat seine Familie Alles auf das ehrenvollste geordnet. Zu bedauern
ist es nur, daß durch dieses Unglück mehrere hundert Personen, welche dieser
thätige Jndustriel beschäftigt hatte, arbeitslos geworden sind. Diese Fabrik¬
arbeiter, Drucker, Färber :c. sind vielleicht der unruhigste Theil unserer Be¬
völkerung und die Behörde sieht nicht gleichgültig diese Horden durch die
Wirthshäuser brodlos schweifen. Die letzten Vorfälle in Liverpool und Man¬
chester sind ernste Mahner. Was würde aus diesen Leuten bei einem ZoUan-
schlufi werdend)
Unser werther Herr Korrespondent beantwortet sich ja diese Frage
selbst, in seinen folgenden Zeilen. Ein Land wie Böhmen, das auf!.>57 Qua-
dratmeilen kaum 4 Millionen Einwohner zählt, das einen so unschätzbaren,
nicht zur Hälfte ausgebeuteten Reichthum an Naturproducten be¬
sitzt, ist nicht auf die Industrie einiger Cattunfabrikcn angewiesen. Die indu¬
strielle Zukunft Böhmens liegt in seinen Wäldern und Feldern, in seinen Ber¬
gen und Gruben. Mag auch el" Zweig seiner Industrie bei dein Anschluß
an den Zollverein leiden, zwanzig andere werden dagegen aufblühen. Doch
i" einer Redactionsnote ist der Platz nicht zur Beleuchtung einer für Oester¬
reich, Böhmen und Deutschland so wichtigen Frage. Wir müssen den geehrten

inwiefern sie dem Zollverein beizutreten geneigt oder abgeneigt seien, so ist es
darum nicht minder wahr, daß die Regierung über die Gesinnun¬
gen derselben sich wohl unterrichtet hat. Wo es so viele indirekte
Mittel zur Kenntniß der allgemeinen Stimmung giebt, wie bei uns,
da braucht man sich von Oben nicht zu direkten Erkundigungen
herabzulassen. Eine schlimme Vorbedeutung für den projektirten
Zollanschluß ist es, daß der Delegirte, den der böhmische Gewcrbc-
verein nach Mainz zu der dortigen Industrieausstellung absandte,
dort statt aller Verbindungen nichts als — den Tod gefunden hat.
Der Verlust dieses trefflichen Mannes, der um seiner vielen Verdienste
willen, erst vor Kurzem von dem Kaiser in den Adelstand erhoben
wurde — er hieß Leopold Jerusalem von Salenfels — hat hier
eine große Theilnahme unter der Kaufmannswelt erregt, um so
mehr als die Nachricht von seinem plötzlichen Tode fast gleichzeitig
mit seiner Leiche, welche dessen Familie von Mainz abholen ließ,
hier einträfe). Die hiesigen Industriellen, ohnehin gegen den Zoll-



Anm. d. Eins.

^) Einige Tage darauf trat noch eine andere Ursache ein, um diese Be¬
stürzung unter der Kaufmannschaft zu erhöhen, da der Verstorbene durch seine
unbegrenzte Wohlthätigkeit seine Vermögensumstände in Zerrüttung hinter¬
ließ ; doch hat seine Familie Alles auf das ehrenvollste geordnet. Zu bedauern
ist es nur, daß durch dieses Unglück mehrere hundert Personen, welche dieser
thätige Jndustriel beschäftigt hatte, arbeitslos geworden sind. Diese Fabrik¬
arbeiter, Drucker, Färber :c. sind vielleicht der unruhigste Theil unserer Be¬
völkerung und die Behörde sieht nicht gleichgültig diese Horden durch die
Wirthshäuser brodlos schweifen. Die letzten Vorfälle in Liverpool und Man¬
chester sind ernste Mahner. Was würde aus diesen Leuten bei einem ZoUan-
schlufi werdend)
Unser werther Herr Korrespondent beantwortet sich ja diese Frage
selbst, in seinen folgenden Zeilen. Ein Land wie Böhmen, das auf!.>57 Qua-
dratmeilen kaum 4 Millionen Einwohner zählt, das einen so unschätzbaren,
nicht zur Hälfte ausgebeuteten Reichthum an Naturproducten be¬
sitzt, ist nicht auf die Industrie einiger Cattunfabrikcn angewiesen. Die indu¬
strielle Zukunft Böhmens liegt in seinen Wäldern und Feldern, in seinen Ber¬
gen und Gruben. Mag auch el» Zweig seiner Industrie bei dein Anschluß
an den Zollverein leiden, zwanzig andere werden dagegen aufblühen. Doch
i» einer Redactionsnote ist der Platz nicht zur Beleuchtung einer für Oester¬
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[0502] inwiefern sie dem Zollverein beizutreten geneigt oder abgeneigt seien, so ist es darum nicht minder wahr, daß die Regierung über die Gesinnun¬ gen derselben sich wohl unterrichtet hat. Wo es so viele indirekte Mittel zur Kenntniß der allgemeinen Stimmung giebt, wie bei uns, da braucht man sich von Oben nicht zu direkten Erkundigungen herabzulassen. Eine schlimme Vorbedeutung für den projektirten Zollanschluß ist es, daß der Delegirte, den der böhmische Gewcrbc- verein nach Mainz zu der dortigen Industrieausstellung absandte, dort statt aller Verbindungen nichts als — den Tod gefunden hat. Der Verlust dieses trefflichen Mannes, der um seiner vielen Verdienste willen, erst vor Kurzem von dem Kaiser in den Adelstand erhoben wurde — er hieß Leopold Jerusalem von Salenfels — hat hier eine große Theilnahme unter der Kaufmannswelt erregt, um so mehr als die Nachricht von seinem plötzlichen Tode fast gleichzeitig mit seiner Leiche, welche dessen Familie von Mainz abholen ließ, hier einträfe). Die hiesigen Industriellen, ohnehin gegen den Zoll- Anm. d. Eins. ^) Einige Tage darauf trat noch eine andere Ursache ein, um diese Be¬ stürzung unter der Kaufmannschaft zu erhöhen, da der Verstorbene durch seine unbegrenzte Wohlthätigkeit seine Vermögensumstände in Zerrüttung hinter¬ ließ ; doch hat seine Familie Alles auf das ehrenvollste geordnet. Zu bedauern ist es nur, daß durch dieses Unglück mehrere hundert Personen, welche dieser thätige Jndustriel beschäftigt hatte, arbeitslos geworden sind. Diese Fabrik¬ arbeiter, Drucker, Färber :c. sind vielleicht der unruhigste Theil unserer Be¬ völkerung und die Behörde sieht nicht gleichgültig diese Horden durch die Wirthshäuser brodlos schweifen. Die letzten Vorfälle in Liverpool und Man¬ chester sind ernste Mahner. Was würde aus diesen Leuten bei einem ZoUan- schlufi werdend) Unser werther Herr Korrespondent beantwortet sich ja diese Frage selbst, in seinen folgenden Zeilen. Ein Land wie Böhmen, das auf!.>57 Qua- dratmeilen kaum 4 Millionen Einwohner zählt, das einen so unschätzbaren, nicht zur Hälfte ausgebeuteten Reichthum an Naturproducten be¬ sitzt, ist nicht auf die Industrie einiger Cattunfabrikcn angewiesen. Die indu¬ strielle Zukunft Böhmens liegt in seinen Wäldern und Feldern, in seinen Ber¬ gen und Gruben. Mag auch el» Zweig seiner Industrie bei dein Anschluß an den Zollverein leiden, zwanzig andere werden dagegen aufblühen. Doch i» einer Redactionsnote ist der Platz nicht zur Beleuchtung einer für Oester¬ reich, Böhmen und Deutschland so wichtigen Frage. Wir müssen den geehrten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/502>, abgerufen am 23.07.2024.