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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Atelier machte ihn wohlhabend, und als seine Frau nach zwei Jahren starb,
nahm er seine Schweflet zu sich. Es war ein hcrzzerschncidendcr Anblick, diese
Schwester am BcgrSbnißtage, die beiden elternlosen Waisen an der Hand, sich
auf das Grab stürzen zu sehen. Die Eisenbahnverwaltung hat sich er¬
boten, die Kinder erziehen zu lassen. Das Atelier wird von dem Werk-
führer, gleichfalls einem Deutschen, fortgeführt werden. Wenn uns nur
alle Deutschen so viel Ehre machten, wie unsere Handwerker! Diesem Schu¬
mann, der mit seiner Truppe uns so blamirt hat, möchte ich einen Denkzettel
auf den Weg mitgeben, daß er sein Lebelang daran denken sollte. Es .ist
unter mehreren jungen Deutschen hier ernstlich davon die Rede gewesen, ihn
und seinen Pächter (denn Schumann ist nur wie ein Frachter mit seinem Wa¬
gen und seinen Gäulen, von einem Speculanten gepachtet gewesen) weidlich
durchzuprügeln. Man hat diesen schönen Plan aufgegeben, weil man nicht
noch größeren Scandal zum Besten geben wollte, als schon geschehen ist. Aber
ich wünschte, daß, wie dieser Mensch den deutschen Boden betritt, hundert
handfeste Choristen an der Grenze stünden, von denen ihm jeder eine tüchtige
Maulschelle im Namen aller Uebrigen gäbe- Nicht nur, daß er die deutsche
Kunst auf mehrere Jahre hinaus in Mißcredit brachtet, hat er auch den deut¬
schen Charakter in Schatten gestellt. Und wahrlich, die Franzosen haben nicht
Unrecht, von diesen "t>vtos aUemanslss" zu sprechen, die plump, dumm und
sogar frech genug sind, Paris mit Kräften erobern zu wollen, die für keine
Borstadtbühne ausreichten. Wie wenig sonst Frechheit im Charakter des
Deutschen liegt -- hier giebt es keine andere Bezeichnung. Nun büßen sie es,
die Abenteurer! Die deutsche Kunst bettelt von Thüre zu Thüre, von Esta-
minet zu Estaminet. Keine Uebertreibung! Ich habe Leute aus dem Schu-
mannschen Chöre mit der Guitarre an den öffentlichen Plätzen herumziehen
sehen -- um so von der Würde unseres Theaters auch dem Pöbel einen Be¬
griff zu geben. Pfui -- pfui! Ich mag über die dumme Geschichte Ihnen
gar nicht mehr schreiben.

Ueber Heine 's Schildcrhcbung für Rossini's Stalle gegen die deutsche Musik
und namentlich gegen Mendelssohn-Bartholdy (in der Augöb.Allg.) hat man wohl
in Deutschland sich eben so angelegentlich unterhalten, wie hier- Es zeigt sich im¬
mer mehr, wie Recht Heine hatte, als er seine Muse eine "gute Dirne" nannte;
man könnte sie noch besser eine Sirene nennen. Ach, wie sie zaubern und
trügen kann! Durch die reizende Schilderung einer Kinderprocession in Cette,
die ihn bald katholisch gemacht hätte, beweist Heine auf ein Haar, daß Rossini
eigentlich christlicher sei, als Händel, Bach und Mendelssohn-Bartholdy. Und


Atelier machte ihn wohlhabend, und als seine Frau nach zwei Jahren starb,
nahm er seine Schweflet zu sich. Es war ein hcrzzerschncidendcr Anblick, diese
Schwester am BcgrSbnißtage, die beiden elternlosen Waisen an der Hand, sich
auf das Grab stürzen zu sehen. Die Eisenbahnverwaltung hat sich er¬
boten, die Kinder erziehen zu lassen. Das Atelier wird von dem Werk-
führer, gleichfalls einem Deutschen, fortgeführt werden. Wenn uns nur
alle Deutschen so viel Ehre machten, wie unsere Handwerker! Diesem Schu¬
mann, der mit seiner Truppe uns so blamirt hat, möchte ich einen Denkzettel
auf den Weg mitgeben, daß er sein Lebelang daran denken sollte. Es .ist
unter mehreren jungen Deutschen hier ernstlich davon die Rede gewesen, ihn
und seinen Pächter (denn Schumann ist nur wie ein Frachter mit seinem Wa¬
gen und seinen Gäulen, von einem Speculanten gepachtet gewesen) weidlich
durchzuprügeln. Man hat diesen schönen Plan aufgegeben, weil man nicht
noch größeren Scandal zum Besten geben wollte, als schon geschehen ist. Aber
ich wünschte, daß, wie dieser Mensch den deutschen Boden betritt, hundert
handfeste Choristen an der Grenze stünden, von denen ihm jeder eine tüchtige
Maulschelle im Namen aller Uebrigen gäbe- Nicht nur, daß er die deutsche
Kunst auf mehrere Jahre hinaus in Mißcredit brachtet, hat er auch den deut¬
schen Charakter in Schatten gestellt. Und wahrlich, die Franzosen haben nicht
Unrecht, von diesen „t>vtos aUemanslss" zu sprechen, die plump, dumm und
sogar frech genug sind, Paris mit Kräften erobern zu wollen, die für keine
Borstadtbühne ausreichten. Wie wenig sonst Frechheit im Charakter des
Deutschen liegt — hier giebt es keine andere Bezeichnung. Nun büßen sie es,
die Abenteurer! Die deutsche Kunst bettelt von Thüre zu Thüre, von Esta-
minet zu Estaminet. Keine Uebertreibung! Ich habe Leute aus dem Schu-
mannschen Chöre mit der Guitarre an den öffentlichen Plätzen herumziehen
sehen — um so von der Würde unseres Theaters auch dem Pöbel einen Be¬
griff zu geben. Pfui — pfui! Ich mag über die dumme Geschichte Ihnen
gar nicht mehr schreiben.

Ueber Heine 's Schildcrhcbung für Rossini's Stalle gegen die deutsche Musik
und namentlich gegen Mendelssohn-Bartholdy (in der Augöb.Allg.) hat man wohl
in Deutschland sich eben so angelegentlich unterhalten, wie hier- Es zeigt sich im¬
mer mehr, wie Recht Heine hatte, als er seine Muse eine „gute Dirne" nannte;
man könnte sie noch besser eine Sirene nennen. Ach, wie sie zaubern und
trügen kann! Durch die reizende Schilderung einer Kinderprocession in Cette,
die ihn bald katholisch gemacht hätte, beweist Heine auf ein Haar, daß Rossini
eigentlich christlicher sei, als Händel, Bach und Mendelssohn-Bartholdy. Und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/50>, abgerufen am 23.07.2024.