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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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mich heraufbeschwört^ indeß soll mich dieses eben so wenig verlei¬
ten, meiner Ueberzeugung untreu zu werden, als über die ihrige so¬
gleich Zeter und Mordjo zu schreien, wie dies in der letzteren Zeit der deut¬
schen Nativnaldeklamationen Mode geworden ist. Wenn Herr Wolf-
gang Menzel in der letzten Nummer seines Literaturblattes, bei
einer Beurtheilung des neuesten Bandes der Palackyschen Geschichte
Böhmens, in den Bewegungen der böhmischen Literatur russische
Propaganda riecht und bei dieser Gelegenheit nicht umhin kann, et¬
was Böhmen zu fressen, wie er früher Franzosen gefressen hat, Sö
hat das wahrscheinlich seinen Grund darin, daß er seinem Gaumen
eine kleine Abwechselung bieten wollte. Vielleicht fühlt er, daß er
sich an den Franzosen einen Zahn ausgebissen hat, und will eS
nun versuchen, ob die Böhmen nicht mürber und weicher sind. Aber
wenn andere leidenschaftslose und aufgeklärte Männer Deutschlands
diese Nussenriecherei in allen Bestrebungen der jungen böhmischen
Literatur theilen, so kommt man auf die Vermuthung, daß Ideen
ansteckend sind wie Pocken und Nervenfieber, und eS nur eines Ein¬
zigen bedarf, der davon befallen ist, um sogleich ein ganzes Quartier
anzustecken. Die Anstrengungen der böhmischen Literaten, ihre Mus¬
tersprache zu haben, ist eines jener wunderbaren Mittel, welche vie
Vorsehung wählt, um die Keime der Civilisation unter einem Volke
zu säen, welches auf dem großen Wege der Cultur eine Zeit lang
in Rückstand geblieben ist. Beinahe zwei Drittheile dieses Land¬
striches, umgeben von deutscher Sprache und Bevölkerung, versteht
die Mundart nicht, welche in den deutschen Gauen der Wärmeleiter
geistiger Erleuchtung geworden ist. Will man jene Handvoll that¬
kräftiger, begeisterter Männer, welche die unsägliche Mühe über¬
nommen haben, auf den Teppich der alten Landessprache die Blu¬
men der modernen Bildung zu streuen, und Wissenschaft und Poesie
dem Landvolke und den arbeitenden Classen zugänglich zu machen,
ihren Beruf noch erschweren? Herr Wolfgang Menzel vergißt, daß
er mit seinen Bemerkungen nur jenen Denuncianten sich anschließt,
welche das traurige Geschäft treiben, ein tüchtiges, ruhig strebsames
Volk in den Augen seiner Regierung zu verdächtigen, daß er den
jungen böhmischen Schriftstellern gegenüber nur das wiederholt, was
er gegen die deutsche schriftstellerische Jugend einst so glorreich aus¬
geführt. Ich habe Deutschland nach allen Richtungen durchstreift


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mich heraufbeschwört^ indeß soll mich dieses eben so wenig verlei¬
ten, meiner Ueberzeugung untreu zu werden, als über die ihrige so¬
gleich Zeter und Mordjo zu schreien, wie dies in der letzteren Zeit der deut¬
schen Nativnaldeklamationen Mode geworden ist. Wenn Herr Wolf-
gang Menzel in der letzten Nummer seines Literaturblattes, bei
einer Beurtheilung des neuesten Bandes der Palackyschen Geschichte
Böhmens, in den Bewegungen der böhmischen Literatur russische
Propaganda riecht und bei dieser Gelegenheit nicht umhin kann, et¬
was Böhmen zu fressen, wie er früher Franzosen gefressen hat, Sö
hat das wahrscheinlich seinen Grund darin, daß er seinem Gaumen
eine kleine Abwechselung bieten wollte. Vielleicht fühlt er, daß er
sich an den Franzosen einen Zahn ausgebissen hat, und will eS
nun versuchen, ob die Böhmen nicht mürber und weicher sind. Aber
wenn andere leidenschaftslose und aufgeklärte Männer Deutschlands
diese Nussenriecherei in allen Bestrebungen der jungen böhmischen
Literatur theilen, so kommt man auf die Vermuthung, daß Ideen
ansteckend sind wie Pocken und Nervenfieber, und eS nur eines Ein¬
zigen bedarf, der davon befallen ist, um sogleich ein ganzes Quartier
anzustecken. Die Anstrengungen der böhmischen Literaten, ihre Mus¬
tersprache zu haben, ist eines jener wunderbaren Mittel, welche vie
Vorsehung wählt, um die Keime der Civilisation unter einem Volke
zu säen, welches auf dem großen Wege der Cultur eine Zeit lang
in Rückstand geblieben ist. Beinahe zwei Drittheile dieses Land¬
striches, umgeben von deutscher Sprache und Bevölkerung, versteht
die Mundart nicht, welche in den deutschen Gauen der Wärmeleiter
geistiger Erleuchtung geworden ist. Will man jene Handvoll that¬
kräftiger, begeisterter Männer, welche die unsägliche Mühe über¬
nommen haben, auf den Teppich der alten Landessprache die Blu¬
men der modernen Bildung zu streuen, und Wissenschaft und Poesie
dem Landvolke und den arbeitenden Classen zugänglich zu machen,
ihren Beruf noch erschweren? Herr Wolfgang Menzel vergißt, daß
er mit seinen Bemerkungen nur jenen Denuncianten sich anschließt,
welche das traurige Geschäft treiben, ein tüchtiges, ruhig strebsames
Volk in den Augen seiner Regierung zu verdächtigen, daß er den
jungen böhmischen Schriftstellern gegenüber nur das wiederholt, was
er gegen die deutsche schriftstellerische Jugend einst so glorreich aus¬
geführt. Ich habe Deutschland nach allen Richtungen durchstreift


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[0499] mich heraufbeschwört^ indeß soll mich dieses eben so wenig verlei¬ ten, meiner Ueberzeugung untreu zu werden, als über die ihrige so¬ gleich Zeter und Mordjo zu schreien, wie dies in der letzteren Zeit der deut¬ schen Nativnaldeklamationen Mode geworden ist. Wenn Herr Wolf- gang Menzel in der letzten Nummer seines Literaturblattes, bei einer Beurtheilung des neuesten Bandes der Palackyschen Geschichte Böhmens, in den Bewegungen der böhmischen Literatur russische Propaganda riecht und bei dieser Gelegenheit nicht umhin kann, et¬ was Böhmen zu fressen, wie er früher Franzosen gefressen hat, Sö hat das wahrscheinlich seinen Grund darin, daß er seinem Gaumen eine kleine Abwechselung bieten wollte. Vielleicht fühlt er, daß er sich an den Franzosen einen Zahn ausgebissen hat, und will eS nun versuchen, ob die Böhmen nicht mürber und weicher sind. Aber wenn andere leidenschaftslose und aufgeklärte Männer Deutschlands diese Nussenriecherei in allen Bestrebungen der jungen böhmischen Literatur theilen, so kommt man auf die Vermuthung, daß Ideen ansteckend sind wie Pocken und Nervenfieber, und eS nur eines Ein¬ zigen bedarf, der davon befallen ist, um sogleich ein ganzes Quartier anzustecken. Die Anstrengungen der böhmischen Literaten, ihre Mus¬ tersprache zu haben, ist eines jener wunderbaren Mittel, welche vie Vorsehung wählt, um die Keime der Civilisation unter einem Volke zu säen, welches auf dem großen Wege der Cultur eine Zeit lang in Rückstand geblieben ist. Beinahe zwei Drittheile dieses Land¬ striches, umgeben von deutscher Sprache und Bevölkerung, versteht die Mundart nicht, welche in den deutschen Gauen der Wärmeleiter geistiger Erleuchtung geworden ist. Will man jene Handvoll that¬ kräftiger, begeisterter Männer, welche die unsägliche Mühe über¬ nommen haben, auf den Teppich der alten Landessprache die Blu¬ men der modernen Bildung zu streuen, und Wissenschaft und Poesie dem Landvolke und den arbeitenden Classen zugänglich zu machen, ihren Beruf noch erschweren? Herr Wolfgang Menzel vergißt, daß er mit seinen Bemerkungen nur jenen Denuncianten sich anschließt, welche das traurige Geschäft treiben, ein tüchtiges, ruhig strebsames Volk in den Augen seiner Regierung zu verdächtigen, daß er den jungen böhmischen Schriftstellern gegenüber nur das wiederholt, was er gegen die deutsche schriftstellerische Jugend einst so glorreich aus¬ geführt. Ich habe Deutschland nach allen Richtungen durchstreift 3?»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/499>, abgerufen am 03.07.2024.