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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Hamburg, Berlin, gar nicht zu gedenken. Ich wiederhole eS, als
deutsche Stadt ist Prag von keinem hohem Interesse als jede
andere Provinzialstadt. Aber als Hauptstadt Böhmens -- da
öffnet sich plötzlich eine ganz neue Perspektive, da schwillt dieser von
der Natur und der Geschichte so reichgeschmückte Punkt zu einer
Bedeutung an, wie sie der oberflächlich Reisende, der nicht vertraut
mit der Landessprache ist, freilich nicht begreifen und entziffern kann.
In diesem Aneinanderstoßen der slavischen und der deutschen Bewe¬
gung, in dieser Reibung zwischen dem nationalen Stamm und der
fremden aufgepfropften Bildung, da liegt Leben, Kraft, Geist, Ge-
schichte^ da rennen Aktion und Reaktion in so geharnischtem Kampf
an einander und ringen und prallen ab, wie bei einem glänzenden
Turnier, da ringt die Zukunft sich vom Boden der Vergangenheit
auf und umklammert mit nervigen Armen den Leib der Gegenwart,
um sich an ihm aufzuranken und ihn unter sich zu bringen. ES
liegt etwas Prunkendes in der Benennung: "kaiserlich königliche
Hauptstadt Prag" aber auch eine ganze Charakteristik dieser
Stadt ist damit ausgesprochen. Diese Mischung des böhmisch-könig¬
lichen mit dem deutsch-kaiserlichen ist es, was Prag zu einer Haupt¬
stadt, d. h. zu einem Hauptpunkte so vieler denkwürdigen Bewegun¬
gen in Religion und Geschichte gemacht hat. Wenn unsere jungen
böhmischen Schriftsteller von ihrem Nationalgefühl sich zu der Ueber¬
treibung verführen lassen, alle die segensreichen Wirkungen welche
die deutsche Civilisation in Böhmen hervorgebracht, zu verkleinern/
so wollen wir das ihrem feurigen Patriotismus und dem Schwunge
der jugendlichen Leidenschaft zu Gute halten. Ein ruhiger Beobach¬
ter wird es nicht abläugnen wollen, daß der Zusammenhang Böh¬
mens mit dein deutschen Reiche ein Hauptmotiv seiner Cultur und
seines Glanzes wurde. Selbst Karl, der Vierte, der die kostbarsten
Steine der Bildung von dem Gürtel seiner Zeit gelöst hat, um sein
theures Böhmen damit zu schmücken, wurde das nicht vermocht haben,
wäre er nicht deutscher Kaiser gewesen. Und ist eS nicht deutsche
Bildung, an welcher sich die Kraft der jungen böhmischen Literatur
entzündet hat und mit deren Hülfe sie dem alten Körper der böhmi¬
schen Sprache wieder neues Leben giebt? Ich weiß, daß dieser Aus-
spruch, wenn er hier gelesen wird, ein ganzes Donnerwetter von
Polemik bei meinen jungen, böhmisch schreibenden Landsleuten über


Hamburg, Berlin, gar nicht zu gedenken. Ich wiederhole eS, als
deutsche Stadt ist Prag von keinem hohem Interesse als jede
andere Provinzialstadt. Aber als Hauptstadt Böhmens — da
öffnet sich plötzlich eine ganz neue Perspektive, da schwillt dieser von
der Natur und der Geschichte so reichgeschmückte Punkt zu einer
Bedeutung an, wie sie der oberflächlich Reisende, der nicht vertraut
mit der Landessprache ist, freilich nicht begreifen und entziffern kann.
In diesem Aneinanderstoßen der slavischen und der deutschen Bewe¬
gung, in dieser Reibung zwischen dem nationalen Stamm und der
fremden aufgepfropften Bildung, da liegt Leben, Kraft, Geist, Ge-
schichte^ da rennen Aktion und Reaktion in so geharnischtem Kampf
an einander und ringen und prallen ab, wie bei einem glänzenden
Turnier, da ringt die Zukunft sich vom Boden der Vergangenheit
auf und umklammert mit nervigen Armen den Leib der Gegenwart,
um sich an ihm aufzuranken und ihn unter sich zu bringen. ES
liegt etwas Prunkendes in der Benennung: „kaiserlich königliche
Hauptstadt Prag" aber auch eine ganze Charakteristik dieser
Stadt ist damit ausgesprochen. Diese Mischung des böhmisch-könig¬
lichen mit dem deutsch-kaiserlichen ist es, was Prag zu einer Haupt¬
stadt, d. h. zu einem Hauptpunkte so vieler denkwürdigen Bewegun¬
gen in Religion und Geschichte gemacht hat. Wenn unsere jungen
böhmischen Schriftsteller von ihrem Nationalgefühl sich zu der Ueber¬
treibung verführen lassen, alle die segensreichen Wirkungen welche
die deutsche Civilisation in Böhmen hervorgebracht, zu verkleinern/
so wollen wir das ihrem feurigen Patriotismus und dem Schwunge
der jugendlichen Leidenschaft zu Gute halten. Ein ruhiger Beobach¬
ter wird es nicht abläugnen wollen, daß der Zusammenhang Böh¬
mens mit dein deutschen Reiche ein Hauptmotiv seiner Cultur und
seines Glanzes wurde. Selbst Karl, der Vierte, der die kostbarsten
Steine der Bildung von dem Gürtel seiner Zeit gelöst hat, um sein
theures Böhmen damit zu schmücken, wurde das nicht vermocht haben,
wäre er nicht deutscher Kaiser gewesen. Und ist eS nicht deutsche
Bildung, an welcher sich die Kraft der jungen böhmischen Literatur
entzündet hat und mit deren Hülfe sie dem alten Körper der böhmi¬
schen Sprache wieder neues Leben giebt? Ich weiß, daß dieser Aus-
spruch, wenn er hier gelesen wird, ein ganzes Donnerwetter von
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[0498] Hamburg, Berlin, gar nicht zu gedenken. Ich wiederhole eS, als deutsche Stadt ist Prag von keinem hohem Interesse als jede andere Provinzialstadt. Aber als Hauptstadt Böhmens — da öffnet sich plötzlich eine ganz neue Perspektive, da schwillt dieser von der Natur und der Geschichte so reichgeschmückte Punkt zu einer Bedeutung an, wie sie der oberflächlich Reisende, der nicht vertraut mit der Landessprache ist, freilich nicht begreifen und entziffern kann. In diesem Aneinanderstoßen der slavischen und der deutschen Bewe¬ gung, in dieser Reibung zwischen dem nationalen Stamm und der fremden aufgepfropften Bildung, da liegt Leben, Kraft, Geist, Ge- schichte^ da rennen Aktion und Reaktion in so geharnischtem Kampf an einander und ringen und prallen ab, wie bei einem glänzenden Turnier, da ringt die Zukunft sich vom Boden der Vergangenheit auf und umklammert mit nervigen Armen den Leib der Gegenwart, um sich an ihm aufzuranken und ihn unter sich zu bringen. ES liegt etwas Prunkendes in der Benennung: „kaiserlich königliche Hauptstadt Prag" aber auch eine ganze Charakteristik dieser Stadt ist damit ausgesprochen. Diese Mischung des böhmisch-könig¬ lichen mit dem deutsch-kaiserlichen ist es, was Prag zu einer Haupt¬ stadt, d. h. zu einem Hauptpunkte so vieler denkwürdigen Bewegun¬ gen in Religion und Geschichte gemacht hat. Wenn unsere jungen böhmischen Schriftsteller von ihrem Nationalgefühl sich zu der Ueber¬ treibung verführen lassen, alle die segensreichen Wirkungen welche die deutsche Civilisation in Böhmen hervorgebracht, zu verkleinern/ so wollen wir das ihrem feurigen Patriotismus und dem Schwunge der jugendlichen Leidenschaft zu Gute halten. Ein ruhiger Beobach¬ ter wird es nicht abläugnen wollen, daß der Zusammenhang Böh¬ mens mit dein deutschen Reiche ein Hauptmotiv seiner Cultur und seines Glanzes wurde. Selbst Karl, der Vierte, der die kostbarsten Steine der Bildung von dem Gürtel seiner Zeit gelöst hat, um sein theures Böhmen damit zu schmücken, wurde das nicht vermocht haben, wäre er nicht deutscher Kaiser gewesen. Und ist eS nicht deutsche Bildung, an welcher sich die Kraft der jungen böhmischen Literatur entzündet hat und mit deren Hülfe sie dem alten Körper der böhmi¬ schen Sprache wieder neues Leben giebt? Ich weiß, daß dieser Aus- spruch, wenn er hier gelesen wird, ein ganzes Donnerwetter von Polemik bei meinen jungen, böhmisch schreibenden Landsleuten über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/498>, abgerufen am 03.07.2024.