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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Argwohn ziehen, ich will nicht behaupten, daß sie in's große Horn stoßen, da¬
mit die Kühe aus den deutschen Bergen die Köpfe voll Verwunderung zu¬
sammenstecken, nein ich will gerne glauben, daß diese Herren an alle die gro¬
ßen sympathetischen Wunderthaten, welche die Sympathien für Hamburg nach
ihrer Behauptung hervorgebracht haben sollen, glauben. Der Deutsche geht
hier größtentheils mit dem Deutschen um und die deutschen Korrespondenten
haben das, was sie in ihren Kreisen hörten, für die Stimme von ganz Paris
genommen. sZählen Sie mir die Subscribenten im Journal des DcbatS -- wer
sind die Veitvagenden ? Zwei Drittel sind Deutsche, und von dem andern sind
drei Viertel elsäßische Juden -- den kleinen übrigen Rest bilden die eigentli¬
chen Franzosen.Z Was kümmert den Pariser Hamburg? Ihm ist Saoma
und New-York und Hamburg ganz gleich. Ich wollte, man könnte die Stim¬
men zählen, welchen in Deutschland ein Ah! des Entsetzens über das Unglück
auf der Ncrsailler Eisenbahn entschlüpfte und die Stimmen, welche in Frank¬
reich irgend eine Theilnahme für Hamburg äußerten! Wir wollten dann sehen,
in welchem Lande man sich mehr für das Unglück des Nachbars interessirte.
Und doch wie gering ist das Versailler Unglück gegenüber dem Hamburger!
Glauben Sie nicht, daß ich über den Vorfall auf der Versailler Eisenbahn so
kalt spreche, weil ich nicht persönlich dabei betheiligt bin; das Unglück hat mich
fast direct berührt, da mein Landsmann, der Tischlermeister Kaiser, ein mir sehr
werther Mann, unter den Leichen war. Man hat ihn nicht herausfinde" kön¬
nen, den Unglücklichen, und zwei elternlose Waisen bleiben in dem weiten Pa¬
ris hilflos zurück. Kaiser war als Geselle im Jahre 1S28 hieher gekommen.
Er ist aus einer achtbaren Familie (sein Bater war beim Magistrate ange¬
stellt) und hatte eine ziemlich gute Erziehung erhalten. In den Julitagen
beging er, wie viele deutsche Handwerksburschen, die hier lebten, die Unvorsich¬
tigkeit, sich in Dinge zu mischen, die ihn nichts angingen; er wurde bei ei¬
nem Straßcngcmetzcl verwundet, kam ins Spital und blieb da sechs Woche"
liegen. Dadurch erfuhr unsere Gesandtschaft die Geschichte und machte einen
Bericht darüber. Sein Wanderbuch war gerade abgelaufen und man verwei¬
gerte ihm die Erneuerung. Man verlangte, er solle zurück in seine Heimath,
aber er traute nicht. Ohnedieß hatte eine hübsche, schwarzäugige Französin,
die in der Borstadt Se. Antoine mit weißen seinen Händen in einem Tabaks-
ladcn geschäftig waltete, sein ehrliches deutsches Herz gegen schlechten franzö¬
sischen Regie-Tabak eingetauscht. Er verheirathete sich; sein Vater schickte
ihm einiges Geld zur Einrichtung, er etablirte sich und das Glück, welches den
"leisten deutschen Arbeitern hier sich so hold zeigt, lächelte auch ihm. Sei"


Argwohn ziehen, ich will nicht behaupten, daß sie in's große Horn stoßen, da¬
mit die Kühe aus den deutschen Bergen die Köpfe voll Verwunderung zu¬
sammenstecken, nein ich will gerne glauben, daß diese Herren an alle die gro¬
ßen sympathetischen Wunderthaten, welche die Sympathien für Hamburg nach
ihrer Behauptung hervorgebracht haben sollen, glauben. Der Deutsche geht
hier größtentheils mit dem Deutschen um und die deutschen Korrespondenten
haben das, was sie in ihren Kreisen hörten, für die Stimme von ganz Paris
genommen. sZählen Sie mir die Subscribenten im Journal des DcbatS — wer
sind die Veitvagenden ? Zwei Drittel sind Deutsche, und von dem andern sind
drei Viertel elsäßische Juden — den kleinen übrigen Rest bilden die eigentli¬
chen Franzosen.Z Was kümmert den Pariser Hamburg? Ihm ist Saoma
und New-York und Hamburg ganz gleich. Ich wollte, man könnte die Stim¬
men zählen, welchen in Deutschland ein Ah! des Entsetzens über das Unglück
auf der Ncrsailler Eisenbahn entschlüpfte und die Stimmen, welche in Frank¬
reich irgend eine Theilnahme für Hamburg äußerten! Wir wollten dann sehen,
in welchem Lande man sich mehr für das Unglück des Nachbars interessirte.
Und doch wie gering ist das Versailler Unglück gegenüber dem Hamburger!
Glauben Sie nicht, daß ich über den Vorfall auf der Versailler Eisenbahn so
kalt spreche, weil ich nicht persönlich dabei betheiligt bin; das Unglück hat mich
fast direct berührt, da mein Landsmann, der Tischlermeister Kaiser, ein mir sehr
werther Mann, unter den Leichen war. Man hat ihn nicht herausfinde» kön¬
nen, den Unglücklichen, und zwei elternlose Waisen bleiben in dem weiten Pa¬
ris hilflos zurück. Kaiser war als Geselle im Jahre 1S28 hieher gekommen.
Er ist aus einer achtbaren Familie (sein Bater war beim Magistrate ange¬
stellt) und hatte eine ziemlich gute Erziehung erhalten. In den Julitagen
beging er, wie viele deutsche Handwerksburschen, die hier lebten, die Unvorsich¬
tigkeit, sich in Dinge zu mischen, die ihn nichts angingen; er wurde bei ei¬
nem Straßcngcmetzcl verwundet, kam ins Spital und blieb da sechs Woche»
liegen. Dadurch erfuhr unsere Gesandtschaft die Geschichte und machte einen
Bericht darüber. Sein Wanderbuch war gerade abgelaufen und man verwei¬
gerte ihm die Erneuerung. Man verlangte, er solle zurück in seine Heimath,
aber er traute nicht. Ohnedieß hatte eine hübsche, schwarzäugige Französin,
die in der Borstadt Se. Antoine mit weißen seinen Händen in einem Tabaks-
ladcn geschäftig waltete, sein ehrliches deutsches Herz gegen schlechten franzö¬
sischen Regie-Tabak eingetauscht. Er verheirathete sich; sein Vater schickte
ihm einiges Geld zur Einrichtung, er etablirte sich und das Glück, welches den
»leisten deutschen Arbeitern hier sich so hold zeigt, lächelte auch ihm. Sei»


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/49>, abgerufen am 23.07.2024.