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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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gar des TanzplatzeS von Wichtigkeit ist, da andre Tänze, wie Wal¬
zer und Gallopade auf dem Pflaster oder dem Lehmboden unmög¬
lich wären.

In manchen kleinern Städten, wie Huy, Ardennes :c. nehmen
selbst die höheren Stände an diesen Tänzen unter freiem Himmel
Theil und es bildet sich dann neben dem Volke oder den Bauern,
ein Contretanz der schönen Welt. Eine Vermischung findet jedoch
dabei nie statt und wenn auch nur instinctmäßig, so wird doch der
Unterschied der Stände streng beobachtet. Es versteht sich von selbst,
daß die feinern Herrn die Musikanten reichlich bezahlen und von
Letztern bei der Größe des TanzplatzeS deshalb sehr gern gese¬
hen werden; da der Ton der heisern Geige und der schreienden Kla¬
rinette in dem ganzen Umkreis leicht gehört wird, und, indem er
stets den Rhythmus richtig bezeichnet, in größerer Ferne den Vor¬
theil darbietet, die Mißtöne weniger hervortreten zu lassen.

Ist auf diese Weise der Umgang unter den jungen Leuten und
die Bildung von Bekanntschaften und Heirathen sehr erleichtert, so
sind diese letztern darum doch nicht weniger einer Controle unter¬
worfen, die von einem großen, moralischen Instinkte des Volkes aus¬
geht. Wird es nämlich bekannt, daß ein Ehemann sich von seiner
Frau schlagen läßt, so setzt man diesen selben Ehemann oder in
neuerer Zeit seiner Sratt einen Strohmann, verkehrt auf einen Esel,
ihm den Schwanz statt des Zaunes in die Hand gebend und führt
ihn unter allgemeinem Hohngelächter umher. Da die Heirath eines
Wittwers ebenfalls dem Volksgefühle widerspricht, so wird der Ta¬
del darüber durch ein während mehrerer Wochen jeden Abend wie¬
derholtes Charivari auf Kuhhörnern ausgesprochen, ein Gebrauch,
der trotz geschärfter Verbote bis jetzt nicht unterdrückt werden
konnte.

Bet den Kirchweihen auf dem Lande gesellt sich zu den obenge-
nannten Festlichkeiten noch das Werfen nach dem Truthahne.
Diese Ergötzlichkeit bietet in ihrer ursprünglichen Gestalt einen schla¬
genden Beweis von der Gemüthöroheit des Volkes dar, da sie ei¬
gentlich verlangt, daß der Truthahn lebend mit dem Kopfe auf ni^
nen 3 Fuß hohen, in die Erde eingerammten Pfahl festgenagelt
wird. (Neuere Verordnungen bestimmen, daß das Thier erst geschlach¬
tet werde, was denn häusig freilich selbst jetzt noch nur theilweise be-


gar des TanzplatzeS von Wichtigkeit ist, da andre Tänze, wie Wal¬
zer und Gallopade auf dem Pflaster oder dem Lehmboden unmög¬
lich wären.

In manchen kleinern Städten, wie Huy, Ardennes :c. nehmen
selbst die höheren Stände an diesen Tänzen unter freiem Himmel
Theil und es bildet sich dann neben dem Volke oder den Bauern,
ein Contretanz der schönen Welt. Eine Vermischung findet jedoch
dabei nie statt und wenn auch nur instinctmäßig, so wird doch der
Unterschied der Stände streng beobachtet. Es versteht sich von selbst,
daß die feinern Herrn die Musikanten reichlich bezahlen und von
Letztern bei der Größe des TanzplatzeS deshalb sehr gern gese¬
hen werden; da der Ton der heisern Geige und der schreienden Kla¬
rinette in dem ganzen Umkreis leicht gehört wird, und, indem er
stets den Rhythmus richtig bezeichnet, in größerer Ferne den Vor¬
theil darbietet, die Mißtöne weniger hervortreten zu lassen.

Ist auf diese Weise der Umgang unter den jungen Leuten und
die Bildung von Bekanntschaften und Heirathen sehr erleichtert, so
sind diese letztern darum doch nicht weniger einer Controle unter¬
worfen, die von einem großen, moralischen Instinkte des Volkes aus¬
geht. Wird es nämlich bekannt, daß ein Ehemann sich von seiner
Frau schlagen läßt, so setzt man diesen selben Ehemann oder in
neuerer Zeit seiner Sratt einen Strohmann, verkehrt auf einen Esel,
ihm den Schwanz statt des Zaunes in die Hand gebend und führt
ihn unter allgemeinem Hohngelächter umher. Da die Heirath eines
Wittwers ebenfalls dem Volksgefühle widerspricht, so wird der Ta¬
del darüber durch ein während mehrerer Wochen jeden Abend wie¬
derholtes Charivari auf Kuhhörnern ausgesprochen, ein Gebrauch,
der trotz geschärfter Verbote bis jetzt nicht unterdrückt werden
konnte.

Bet den Kirchweihen auf dem Lande gesellt sich zu den obenge-
nannten Festlichkeiten noch das Werfen nach dem Truthahne.
Diese Ergötzlichkeit bietet in ihrer ursprünglichen Gestalt einen schla¬
genden Beweis von der Gemüthöroheit des Volkes dar, da sie ei¬
gentlich verlangt, daß der Truthahn lebend mit dem Kopfe auf ni^
nen 3 Fuß hohen, in die Erde eingerammten Pfahl festgenagelt
wird. (Neuere Verordnungen bestimmen, daß das Thier erst geschlach¬
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[0476] gar des TanzplatzeS von Wichtigkeit ist, da andre Tänze, wie Wal¬ zer und Gallopade auf dem Pflaster oder dem Lehmboden unmög¬ lich wären. In manchen kleinern Städten, wie Huy, Ardennes :c. nehmen selbst die höheren Stände an diesen Tänzen unter freiem Himmel Theil und es bildet sich dann neben dem Volke oder den Bauern, ein Contretanz der schönen Welt. Eine Vermischung findet jedoch dabei nie statt und wenn auch nur instinctmäßig, so wird doch der Unterschied der Stände streng beobachtet. Es versteht sich von selbst, daß die feinern Herrn die Musikanten reichlich bezahlen und von Letztern bei der Größe des TanzplatzeS deshalb sehr gern gese¬ hen werden; da der Ton der heisern Geige und der schreienden Kla¬ rinette in dem ganzen Umkreis leicht gehört wird, und, indem er stets den Rhythmus richtig bezeichnet, in größerer Ferne den Vor¬ theil darbietet, die Mißtöne weniger hervortreten zu lassen. Ist auf diese Weise der Umgang unter den jungen Leuten und die Bildung von Bekanntschaften und Heirathen sehr erleichtert, so sind diese letztern darum doch nicht weniger einer Controle unter¬ worfen, die von einem großen, moralischen Instinkte des Volkes aus¬ geht. Wird es nämlich bekannt, daß ein Ehemann sich von seiner Frau schlagen läßt, so setzt man diesen selben Ehemann oder in neuerer Zeit seiner Sratt einen Strohmann, verkehrt auf einen Esel, ihm den Schwanz statt des Zaunes in die Hand gebend und führt ihn unter allgemeinem Hohngelächter umher. Da die Heirath eines Wittwers ebenfalls dem Volksgefühle widerspricht, so wird der Ta¬ del darüber durch ein während mehrerer Wochen jeden Abend wie¬ derholtes Charivari auf Kuhhörnern ausgesprochen, ein Gebrauch, der trotz geschärfter Verbote bis jetzt nicht unterdrückt werden konnte. Bet den Kirchweihen auf dem Lande gesellt sich zu den obenge- nannten Festlichkeiten noch das Werfen nach dem Truthahne. Diese Ergötzlichkeit bietet in ihrer ursprünglichen Gestalt einen schla¬ genden Beweis von der Gemüthöroheit des Volkes dar, da sie ei¬ gentlich verlangt, daß der Truthahn lebend mit dem Kopfe auf ni^ nen 3 Fuß hohen, in die Erde eingerammten Pfahl festgenagelt wird. (Neuere Verordnungen bestimmen, daß das Thier erst geschlach¬ tet werde, was denn häusig freilich selbst jetzt noch nur theilweise be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/476>, abgerufen am 26.08.2024.