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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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sagt werden kann ; denn die obern Stände haben sich hin an der
Maas sowohl, als am Rheine und anderwärts der Herrscherin
Möve gefügt.

Der Wallone ist, wie angedeutet, unternehmend, dabei kräftig
und kühn; er hält eben so fest an seinen Rechten und Freiheiten
als an seinen Gebräuchen und war zu jeder Zeit bereit, beide,
wenn man sie ihm zu nehmen drohte, mit den Waffen in der Hand,
mit Blut und Leben zu vertheidigen. So lies't man in den alten
Chroniken, bei den Geschichtschreibern von Lüttich und Namur, be¬
ständig von Reibungen und blutigen Kriegen, die mit der größten
Erbitterung oft um die geringfügigst scheinende Sache geführt wur¬
den, sobald sich ein Recht daran zu knüpfen schien.

Als Beispiel diene der in den Annalen der Geschichte dieses
Landes so berühmt gewordene Krieg um die Kuh von Eine".
In Ciney, einem zum Condroz, einer Landschaft des Bisthums
Lüttich, gehörigen Flecken, wird eine Kuh gestohlen. Ein Bürger
des Ortes glaubt sie in Antenne, einer Stadt in der Grafschaft Namur,
wohin der Dieb dieselbe geführt hatte, um sie auf fremdem Gebiet
in Sicherheit zu verkaufen, wiederzuerkennen. Es wurde gerade
ein Turnier gehalten und außer dem Grafen von Namur und an¬
dern Rittern und Herrn befand sich der Gerichtöamtmann des Con¬
droz hier anwesend. Diesem theilt jener Bürger von Ciney seine
Bemerkung mit und der Amtmann, in seinem Eifer, seinem benach-
theiligten Untergebenen Recht und dem Verbrechen Strafe zu ver¬
schaffen, greift zu einem Mittel, welches wohl nur in den Augen
jener Zeit, wegen der Leichtigkeit, mit welcher ein Verbrecher sich
durch den Uebertritt auf fremdes Gebiet der Strafe entziehen konnte,
Rechtfertigung finden kann. Der Amtmann begiebt sich nämlich zu
dem Bauern hin, sagt, daß er sein Verbrechen entdeckt habe, schüch¬
tert ihn durch Drohungen ein, und sagt ihm dann, daß er Alles
verschweigen und vergessen wolle, wenn der Andere, von zweien sei¬
ner Leute begleitet, die Kuh ihrem rechtmäßigen Besitzer wieder zu¬
stellen wolle. Der geängstete Dieb gehorcht, kaum aber hat er den
Boden des Condroz betreten, so wird er nach dem Befehle des Amt¬
manns ergriffen und aufgehängt. Der Graf von Namur, der hierin
eine Verrätherei gegen einen seiner Unterthanen und einen Eingriff
in seine Rechte erblickte, zog verheerend ein in den Condroz und


sagt werden kann ; denn die obern Stände haben sich hin an der
Maas sowohl, als am Rheine und anderwärts der Herrscherin
Möve gefügt.

Der Wallone ist, wie angedeutet, unternehmend, dabei kräftig
und kühn; er hält eben so fest an seinen Rechten und Freiheiten
als an seinen Gebräuchen und war zu jeder Zeit bereit, beide,
wenn man sie ihm zu nehmen drohte, mit den Waffen in der Hand,
mit Blut und Leben zu vertheidigen. So lies't man in den alten
Chroniken, bei den Geschichtschreibern von Lüttich und Namur, be¬
ständig von Reibungen und blutigen Kriegen, die mit der größten
Erbitterung oft um die geringfügigst scheinende Sache geführt wur¬
den, sobald sich ein Recht daran zu knüpfen schien.

Als Beispiel diene der in den Annalen der Geschichte dieses
Landes so berühmt gewordene Krieg um die Kuh von Eine».
In Ciney, einem zum Condroz, einer Landschaft des Bisthums
Lüttich, gehörigen Flecken, wird eine Kuh gestohlen. Ein Bürger
des Ortes glaubt sie in Antenne, einer Stadt in der Grafschaft Namur,
wohin der Dieb dieselbe geführt hatte, um sie auf fremdem Gebiet
in Sicherheit zu verkaufen, wiederzuerkennen. Es wurde gerade
ein Turnier gehalten und außer dem Grafen von Namur und an¬
dern Rittern und Herrn befand sich der Gerichtöamtmann des Con¬
droz hier anwesend. Diesem theilt jener Bürger von Ciney seine
Bemerkung mit und der Amtmann, in seinem Eifer, seinem benach-
theiligten Untergebenen Recht und dem Verbrechen Strafe zu ver¬
schaffen, greift zu einem Mittel, welches wohl nur in den Augen
jener Zeit, wegen der Leichtigkeit, mit welcher ein Verbrecher sich
durch den Uebertritt auf fremdes Gebiet der Strafe entziehen konnte,
Rechtfertigung finden kann. Der Amtmann begiebt sich nämlich zu
dem Bauern hin, sagt, daß er sein Verbrechen entdeckt habe, schüch¬
tert ihn durch Drohungen ein, und sagt ihm dann, daß er Alles
verschweigen und vergessen wolle, wenn der Andere, von zweien sei¬
ner Leute begleitet, die Kuh ihrem rechtmäßigen Besitzer wieder zu¬
stellen wolle. Der geängstete Dieb gehorcht, kaum aber hat er den
Boden des Condroz betreten, so wird er nach dem Befehle des Amt¬
manns ergriffen und aufgehängt. Der Graf von Namur, der hierin
eine Verrätherei gegen einen seiner Unterthanen und einen Eingriff
in seine Rechte erblickte, zog verheerend ein in den Condroz und


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[0473] sagt werden kann ; denn die obern Stände haben sich hin an der Maas sowohl, als am Rheine und anderwärts der Herrscherin Möve gefügt. Der Wallone ist, wie angedeutet, unternehmend, dabei kräftig und kühn; er hält eben so fest an seinen Rechten und Freiheiten als an seinen Gebräuchen und war zu jeder Zeit bereit, beide, wenn man sie ihm zu nehmen drohte, mit den Waffen in der Hand, mit Blut und Leben zu vertheidigen. So lies't man in den alten Chroniken, bei den Geschichtschreibern von Lüttich und Namur, be¬ ständig von Reibungen und blutigen Kriegen, die mit der größten Erbitterung oft um die geringfügigst scheinende Sache geführt wur¬ den, sobald sich ein Recht daran zu knüpfen schien. Als Beispiel diene der in den Annalen der Geschichte dieses Landes so berühmt gewordene Krieg um die Kuh von Eine». In Ciney, einem zum Condroz, einer Landschaft des Bisthums Lüttich, gehörigen Flecken, wird eine Kuh gestohlen. Ein Bürger des Ortes glaubt sie in Antenne, einer Stadt in der Grafschaft Namur, wohin der Dieb dieselbe geführt hatte, um sie auf fremdem Gebiet in Sicherheit zu verkaufen, wiederzuerkennen. Es wurde gerade ein Turnier gehalten und außer dem Grafen von Namur und an¬ dern Rittern und Herrn befand sich der Gerichtöamtmann des Con¬ droz hier anwesend. Diesem theilt jener Bürger von Ciney seine Bemerkung mit und der Amtmann, in seinem Eifer, seinem benach- theiligten Untergebenen Recht und dem Verbrechen Strafe zu ver¬ schaffen, greift zu einem Mittel, welches wohl nur in den Augen jener Zeit, wegen der Leichtigkeit, mit welcher ein Verbrecher sich durch den Uebertritt auf fremdes Gebiet der Strafe entziehen konnte, Rechtfertigung finden kann. Der Amtmann begiebt sich nämlich zu dem Bauern hin, sagt, daß er sein Verbrechen entdeckt habe, schüch¬ tert ihn durch Drohungen ein, und sagt ihm dann, daß er Alles verschweigen und vergessen wolle, wenn der Andere, von zweien sei¬ ner Leute begleitet, die Kuh ihrem rechtmäßigen Besitzer wieder zu¬ stellen wolle. Der geängstete Dieb gehorcht, kaum aber hat er den Boden des Condroz betreten, so wird er nach dem Befehle des Amt¬ manns ergriffen und aufgehängt. Der Graf von Namur, der hierin eine Verrätherei gegen einen seiner Unterthanen und einen Eingriff in seine Rechte erblickte, zog verheerend ein in den Condroz und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/473>, abgerufen am 26.08.2024.