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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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zweite den Fund; gleicher Erfolg. Ebenso die dritte, die vierte u. s. w. Als
das ganze Schock sich auf diese Weise an der langen Schnur ausgefädelt hatte,
zog der pfiffige Jäger sie an sich, wickelte sie um den Leib und eilte mit dem
Fange nach Hause. Plötzlich aber singen die Vögel an unruhig zu werden,
breiteten ihre Flügel aus und flatterten in die Höhe. Der erschrockene Münch-
hausen wurde in die Lüfte gehoben und sah zu seinem Entsetzen sich plötzlich
zwischen Himmel und Erde schweben. Aber der alte Münchhausen war nicht
der Mann, der sich prellen ließ; bald hatte er seine Geistesgegenwart wieder
gefunden und beschloß aus diesem Iwischcnfallc Nutzen zu ziehen und auf ei¬
nem um so schnellern Wege zu seinem Ziele nach Hause zu gelangen. Er sing
an, die fliegenden Schnepfen so, wie man einen Wagen kutschirt, nach der Ge¬
gend zu lenken, wo seine Wohnung sich befand, und als er nun über den
Kamin seines Hauses flog, da drehte er einer Schnepfe nach der andern den
Kopf um und senkte sich auf diese Art langsam und allmälig durch den Schorn¬
stein herab und gelangte wohlbehalten und zum Erstaunen des ganzen Küchcn-
personalö in der Mitte der Seinigen an. -- Diese vortreffliche und höchst
merkwürdige Geschichte erscheint Bieten als eine närrische Aufschneiderei und
lächerliches Lügengewebe; aber der Weise sieht ihr auf den Grund und bemerkt
leicht, daß es eine gar tiefsinnige Allegorie ist, welche den Kampf, den der
Juli-Thron seit zwölf Jahren mit der Presse führt, sehr beißend und treffend
pcrsisflirt. Als nämlich am Morgen nach der Julirevolution der kluge Waid-
man", der sich so gern den Napoleon des Friedens nennen hört, das kleine
Brodrindchen, die kleine Phrase Ili, alares ssra un? vvritö, an die lange
Schnur der neuen Konstitution befestigte, da bissen die guten Schnepfen Frank¬
reichs an. Heißhungrig schnappten sie nach der leckeren Phrase und der kleine
Köder ging von Schnabel zu Schnabel. Als alle an der Schnur festsaßen,
da wickelte sie der kluge Jäger um sich herum und glaubte nun ganz ruhig
genießen zu können. Aber die Bögel singen an zu flattern und zu zappeln,
die Journale sammelten ihre Kräfte und rissen kreischend und alle Kräfte anspan¬
nend den Waidmann in die Höhe. Der Boden unter seinen Füßen schwand,
mit Entsetzen sah er jede" Augenblick mit dem Sturze sich bedroht. Unten
aber standen die Epiciers und alle die kleinen Leute über deren Haupt der
gefährliche Flug hinwegzog, und zitterten, daß er auf sie herabstürzen und ih¬
nen die Köpfe zerschmettern könnte. Der Waidmann aber verlor die Geistes¬
gegenwart nicht; er lenkte und lenkte, und als er den günstigen Zeitpunkt ersah, da
begann er allmälig einem Journale nach dem andern den Hals umzudrehen und
Europas Küchcnpcrsonal sieht nun mit Erstaunen den Fliegenden durch den


zweite den Fund; gleicher Erfolg. Ebenso die dritte, die vierte u. s. w. Als
das ganze Schock sich auf diese Weise an der langen Schnur ausgefädelt hatte,
zog der pfiffige Jäger sie an sich, wickelte sie um den Leib und eilte mit dem
Fange nach Hause. Plötzlich aber singen die Vögel an unruhig zu werden,
breiteten ihre Flügel aus und flatterten in die Höhe. Der erschrockene Münch-
hausen wurde in die Lüfte gehoben und sah zu seinem Entsetzen sich plötzlich
zwischen Himmel und Erde schweben. Aber der alte Münchhausen war nicht
der Mann, der sich prellen ließ; bald hatte er seine Geistesgegenwart wieder
gefunden und beschloß aus diesem Iwischcnfallc Nutzen zu ziehen und auf ei¬
nem um so schnellern Wege zu seinem Ziele nach Hause zu gelangen. Er sing
an, die fliegenden Schnepfen so, wie man einen Wagen kutschirt, nach der Ge¬
gend zu lenken, wo seine Wohnung sich befand, und als er nun über den
Kamin seines Hauses flog, da drehte er einer Schnepfe nach der andern den
Kopf um und senkte sich auf diese Art langsam und allmälig durch den Schorn¬
stein herab und gelangte wohlbehalten und zum Erstaunen des ganzen Küchcn-
personalö in der Mitte der Seinigen an. — Diese vortreffliche und höchst
merkwürdige Geschichte erscheint Bieten als eine närrische Aufschneiderei und
lächerliches Lügengewebe; aber der Weise sieht ihr auf den Grund und bemerkt
leicht, daß es eine gar tiefsinnige Allegorie ist, welche den Kampf, den der
Juli-Thron seit zwölf Jahren mit der Presse führt, sehr beißend und treffend
pcrsisflirt. Als nämlich am Morgen nach der Julirevolution der kluge Waid-
man», der sich so gern den Napoleon des Friedens nennen hört, das kleine
Brodrindchen, die kleine Phrase Ili, alares ssra un? vvritö, an die lange
Schnur der neuen Konstitution befestigte, da bissen die guten Schnepfen Frank¬
reichs an. Heißhungrig schnappten sie nach der leckeren Phrase und der kleine
Köder ging von Schnabel zu Schnabel. Als alle an der Schnur festsaßen,
da wickelte sie der kluge Jäger um sich herum und glaubte nun ganz ruhig
genießen zu können. Aber die Bögel singen an zu flattern und zu zappeln,
die Journale sammelten ihre Kräfte und rissen kreischend und alle Kräfte anspan¬
nend den Waidmann in die Höhe. Der Boden unter seinen Füßen schwand,
mit Entsetzen sah er jede» Augenblick mit dem Sturze sich bedroht. Unten
aber standen die Epiciers und alle die kleinen Leute über deren Haupt der
gefährliche Flug hinwegzog, und zitterten, daß er auf sie herabstürzen und ih¬
nen die Köpfe zerschmettern könnte. Der Waidmann aber verlor die Geistes¬
gegenwart nicht; er lenkte und lenkte, und als er den günstigen Zeitpunkt ersah, da
begann er allmälig einem Journale nach dem andern den Hals umzudrehen und
Europas Küchcnpcrsonal sieht nun mit Erstaunen den Fliegenden durch den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/47>, abgerufen am 23.07.2024.