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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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oft mir auf dem Papier, während der Staat alle dafür in Rech¬
nung gesetzten Ausgaben bezahlt, als beständen sie in Wirklichkeit.
Alte Uniformen, die den Militair-'Commissionen als unbrauchbar
zurückgestellt werden, vertheilt man an anderen Orten wiederum
statt neuer und die fern von der Hauptstadt, also außerhalb des
Gesichtskreises der persönlichen Ueberwachung des Kaisers, garniso-
nirenden Regimenter sind in Folge dieses Betruges oft in Lumpen
und zusammengenähte Fetzen alter Uniformen gekleidet. Ost würde
wirklich der Anzug eines italienischen Lazzarone oder die aus den
Straßen- Dublin'S zusammengerafften Hüllen, die einen armen Jr-
länver bedecke", noch gut zu nennen sein, neben der Bekleidung eines
russischen Soldaten. Mit den auf diese und andere schmachvolle
Arten zusammengestohlencn Summen befriedigen die Großen ihre
Laster und elenden Leidenschaften. Das grobe Beinkleid eines Re¬
giments verwandelt sich in kostbare Shawls oder prächtige Teppiche
für die Maitresse des Generals; der Solbabzug, um den der arme
Soldat betrogen wird, verschafft seinem Chef die Mittel, am Phn-
rotische, das Lieblingslaster der russischen Adligen, ein keckes v-i, tummle
zu rufen. Der verstorbene Kaiser Alexander verzweifelte, nachdem
er ungeheure Anstrengungen in dieser Beziehung gemacht, daran, diesen
Krebsschaden der allgemeinen moralischen Verdorbenheit heilen zu
können und ergab sich resignirt darein, ihn zu dulden. Von der
Höhe, die unter seiner Herrschaft dieser Unfug erreicht hatte, will
ich Ihnen ein schlagendes Beispiel mittheilen.

Der damalige Minister des Innern legte eines Tages dem
Kaiser einen Bericht vor, damit er ihn zu der Verausgabung unge¬
heurer Summen berechtige, welche zur Erbauung einer Stadt dienen
sollten, die der Kaiser am Ufer eines großen, schiffbaren Flusses an¬
zulegen befohlen hatte, wodurch der commercielle Betrieb und der
Wohlstand der Bewohner eines bedeutenden, von diesem Fluß durch¬
strömten Landstriches erhöht und befördert werden sollte. Der Kaiser
unterzeichnete. General Diebitsch, der General-Adjutant und Liebling
des Kaisers, der sich zufällig in diesem Augenblick im Ccibinet
desselben befand, nahm sich diese Thatsache zu Papier. Einige
Zeit nachher begleitete er den Kaiser auf einer Reise in's Innere des
Reiches, und bei der ersten sich bietenden Gelegenheit gab er dem
Postillon den Befehl, die Richtung nach der vorgeblichen Stadt ein-


oft mir auf dem Papier, während der Staat alle dafür in Rech¬
nung gesetzten Ausgaben bezahlt, als beständen sie in Wirklichkeit.
Alte Uniformen, die den Militair-'Commissionen als unbrauchbar
zurückgestellt werden, vertheilt man an anderen Orten wiederum
statt neuer und die fern von der Hauptstadt, also außerhalb des
Gesichtskreises der persönlichen Ueberwachung des Kaisers, garniso-
nirenden Regimenter sind in Folge dieses Betruges oft in Lumpen
und zusammengenähte Fetzen alter Uniformen gekleidet. Ost würde
wirklich der Anzug eines italienischen Lazzarone oder die aus den
Straßen- Dublin'S zusammengerafften Hüllen, die einen armen Jr-
länver bedecke», noch gut zu nennen sein, neben der Bekleidung eines
russischen Soldaten. Mit den auf diese und andere schmachvolle
Arten zusammengestohlencn Summen befriedigen die Großen ihre
Laster und elenden Leidenschaften. Das grobe Beinkleid eines Re¬
giments verwandelt sich in kostbare Shawls oder prächtige Teppiche
für die Maitresse des Generals; der Solbabzug, um den der arme
Soldat betrogen wird, verschafft seinem Chef die Mittel, am Phn-
rotische, das Lieblingslaster der russischen Adligen, ein keckes v-i, tummle
zu rufen. Der verstorbene Kaiser Alexander verzweifelte, nachdem
er ungeheure Anstrengungen in dieser Beziehung gemacht, daran, diesen
Krebsschaden der allgemeinen moralischen Verdorbenheit heilen zu
können und ergab sich resignirt darein, ihn zu dulden. Von der
Höhe, die unter seiner Herrschaft dieser Unfug erreicht hatte, will
ich Ihnen ein schlagendes Beispiel mittheilen.

Der damalige Minister des Innern legte eines Tages dem
Kaiser einen Bericht vor, damit er ihn zu der Verausgabung unge¬
heurer Summen berechtige, welche zur Erbauung einer Stadt dienen
sollten, die der Kaiser am Ufer eines großen, schiffbaren Flusses an¬
zulegen befohlen hatte, wodurch der commercielle Betrieb und der
Wohlstand der Bewohner eines bedeutenden, von diesem Fluß durch¬
strömten Landstriches erhöht und befördert werden sollte. Der Kaiser
unterzeichnete. General Diebitsch, der General-Adjutant und Liebling
des Kaisers, der sich zufällig in diesem Augenblick im Ccibinet
desselben befand, nahm sich diese Thatsache zu Papier. Einige
Zeit nachher begleitete er den Kaiser auf einer Reise in's Innere des
Reiches, und bei der ersten sich bietenden Gelegenheit gab er dem
Postillon den Befehl, die Richtung nach der vorgeblichen Stadt ein-


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[0461] oft mir auf dem Papier, während der Staat alle dafür in Rech¬ nung gesetzten Ausgaben bezahlt, als beständen sie in Wirklichkeit. Alte Uniformen, die den Militair-'Commissionen als unbrauchbar zurückgestellt werden, vertheilt man an anderen Orten wiederum statt neuer und die fern von der Hauptstadt, also außerhalb des Gesichtskreises der persönlichen Ueberwachung des Kaisers, garniso- nirenden Regimenter sind in Folge dieses Betruges oft in Lumpen und zusammengenähte Fetzen alter Uniformen gekleidet. Ost würde wirklich der Anzug eines italienischen Lazzarone oder die aus den Straßen- Dublin'S zusammengerafften Hüllen, die einen armen Jr- länver bedecke», noch gut zu nennen sein, neben der Bekleidung eines russischen Soldaten. Mit den auf diese und andere schmachvolle Arten zusammengestohlencn Summen befriedigen die Großen ihre Laster und elenden Leidenschaften. Das grobe Beinkleid eines Re¬ giments verwandelt sich in kostbare Shawls oder prächtige Teppiche für die Maitresse des Generals; der Solbabzug, um den der arme Soldat betrogen wird, verschafft seinem Chef die Mittel, am Phn- rotische, das Lieblingslaster der russischen Adligen, ein keckes v-i, tummle zu rufen. Der verstorbene Kaiser Alexander verzweifelte, nachdem er ungeheure Anstrengungen in dieser Beziehung gemacht, daran, diesen Krebsschaden der allgemeinen moralischen Verdorbenheit heilen zu können und ergab sich resignirt darein, ihn zu dulden. Von der Höhe, die unter seiner Herrschaft dieser Unfug erreicht hatte, will ich Ihnen ein schlagendes Beispiel mittheilen. Der damalige Minister des Innern legte eines Tages dem Kaiser einen Bericht vor, damit er ihn zu der Verausgabung unge¬ heurer Summen berechtige, welche zur Erbauung einer Stadt dienen sollten, die der Kaiser am Ufer eines großen, schiffbaren Flusses an¬ zulegen befohlen hatte, wodurch der commercielle Betrieb und der Wohlstand der Bewohner eines bedeutenden, von diesem Fluß durch¬ strömten Landstriches erhöht und befördert werden sollte. Der Kaiser unterzeichnete. General Diebitsch, der General-Adjutant und Liebling des Kaisers, der sich zufällig in diesem Augenblick im Ccibinet desselben befand, nahm sich diese Thatsache zu Papier. Einige Zeit nachher begleitete er den Kaiser auf einer Reise in's Innere des Reiches, und bei der ersten sich bietenden Gelegenheit gab er dem Postillon den Befehl, die Richtung nach der vorgeblichen Stadt ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/461>, abgerufen am 23.07.2024.