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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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deutschen, englischen und französischen Zeitungen berichteten in jenem
Monat aus Rußland Nichts als Verschwörungen gegen den Kaiser,
Mordversuche der Großen und dergleichen mehr. Uns hier in Se.
Petersburg, denen die meisten fremden Journale, besonders die deut¬
schen, nur sehr spät zukommen, erscheinen dergleichen Berichte um
so seltsamer, wenn sie, wie dies Mal geschah, von einem Unsinn
und einer Unwahrheit zu einer entgegengesetzten umspringen. Nach
den Geschichtchen von den Ermordungen des Kaisers durch seine
Großen tischten nämlich die englischen Blätter das Umgekehrte auf,
wie der Czar im Palaste auf seine Minister, Adjutanten u. s. w.
förmlich eine Menschenjagd angestellt und mehrere derselben höchst¬
eigenhändig umgebracht habe. Ich kann Ihnen die Versicherung
geben, daß alle diese Fabeln nicht einmal das Verdienst des bon
trop-tlo haben und wirklich besser im Feuilleton zur Unterhaltung
abenteuer- und märchenlustiger Leser als im ernsten Theile polni¬
scher Blätter ihren Platz gefunden hätten. Denn der Kaiser aller
Reußen hat mit dem König der Franzosen (der sich, beiläufig be¬
merkt, auch hierin von den früheren Königen von Frankreich unter,-
scheidet), wenigstens das gemein, daß er kein Jäger, wie überhaupt die
Jagdliche in der kaiserlichen Familie nicht sehr heimisch ist. Eines aber
liegt all jenen Zeitungsberichten zu Grunde, nämlich die offenbare
Verstimmung und Mißlaune des Kaisers während der ersten Wo¬
chen des Augustmonates. Dies ist eine Thatsache, deren Bestätigung
mir nicht allein aus dem Munde aller Personen geworden, welche
Gelegenheit hatten, Nicolaus während jener Zeit im Paläste zu be¬
obachten, sondern die auch Jedermann sehr leicht wahrnehmen konnte,
der demselben auf der Straße begegnete. Sonst nämlich pflegte die¬
ser jeden ihn Grüßenden mit seinem durchdringenden Blick scharf
und forschend in's Auge zu fassen; in jenen Wochen aber war er
sichtbar zerstreut und erwiederte, ohne weiter hinzublicken, die zahl¬
reichen Grüße nur durch eine fast mechanische Handbewegung nach
dem Hute. Das stolze, männlich schöne Angesicht des Kaisers
pflegt sonst nicht gerade ein Spiegel seiner Empfindungen zu sein,
und diese gewaltige Natur übt ihre Herrscherkraft zunächst an sich
selbst aus. Es mußte also etwas Bedeutenderes sein, als eines der
europäischen Zeitungsmärchen, etwa von einem Tscherkessen-Sieg,
oder von einer Bojarenverschwörung, was ihn aufregte und verstimmte.


deutschen, englischen und französischen Zeitungen berichteten in jenem
Monat aus Rußland Nichts als Verschwörungen gegen den Kaiser,
Mordversuche der Großen und dergleichen mehr. Uns hier in Se.
Petersburg, denen die meisten fremden Journale, besonders die deut¬
schen, nur sehr spät zukommen, erscheinen dergleichen Berichte um
so seltsamer, wenn sie, wie dies Mal geschah, von einem Unsinn
und einer Unwahrheit zu einer entgegengesetzten umspringen. Nach
den Geschichtchen von den Ermordungen des Kaisers durch seine
Großen tischten nämlich die englischen Blätter das Umgekehrte auf,
wie der Czar im Palaste auf seine Minister, Adjutanten u. s. w.
förmlich eine Menschenjagd angestellt und mehrere derselben höchst¬
eigenhändig umgebracht habe. Ich kann Ihnen die Versicherung
geben, daß alle diese Fabeln nicht einmal das Verdienst des bon
trop-tlo haben und wirklich besser im Feuilleton zur Unterhaltung
abenteuer- und märchenlustiger Leser als im ernsten Theile polni¬
scher Blätter ihren Platz gefunden hätten. Denn der Kaiser aller
Reußen hat mit dem König der Franzosen (der sich, beiläufig be¬
merkt, auch hierin von den früheren Königen von Frankreich unter,-
scheidet), wenigstens das gemein, daß er kein Jäger, wie überhaupt die
Jagdliche in der kaiserlichen Familie nicht sehr heimisch ist. Eines aber
liegt all jenen Zeitungsberichten zu Grunde, nämlich die offenbare
Verstimmung und Mißlaune des Kaisers während der ersten Wo¬
chen des Augustmonates. Dies ist eine Thatsache, deren Bestätigung
mir nicht allein aus dem Munde aller Personen geworden, welche
Gelegenheit hatten, Nicolaus während jener Zeit im Paläste zu be¬
obachten, sondern die auch Jedermann sehr leicht wahrnehmen konnte,
der demselben auf der Straße begegnete. Sonst nämlich pflegte die¬
ser jeden ihn Grüßenden mit seinem durchdringenden Blick scharf
und forschend in's Auge zu fassen; in jenen Wochen aber war er
sichtbar zerstreut und erwiederte, ohne weiter hinzublicken, die zahl¬
reichen Grüße nur durch eine fast mechanische Handbewegung nach
dem Hute. Das stolze, männlich schöne Angesicht des Kaisers
pflegt sonst nicht gerade ein Spiegel seiner Empfindungen zu sein,
und diese gewaltige Natur übt ihre Herrscherkraft zunächst an sich
selbst aus. Es mußte also etwas Bedeutenderes sein, als eines der
europäischen Zeitungsmärchen, etwa von einem Tscherkessen-Sieg,
oder von einer Bojarenverschwörung, was ihn aufregte und verstimmte.


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[0450] deutschen, englischen und französischen Zeitungen berichteten in jenem Monat aus Rußland Nichts als Verschwörungen gegen den Kaiser, Mordversuche der Großen und dergleichen mehr. Uns hier in Se. Petersburg, denen die meisten fremden Journale, besonders die deut¬ schen, nur sehr spät zukommen, erscheinen dergleichen Berichte um so seltsamer, wenn sie, wie dies Mal geschah, von einem Unsinn und einer Unwahrheit zu einer entgegengesetzten umspringen. Nach den Geschichtchen von den Ermordungen des Kaisers durch seine Großen tischten nämlich die englischen Blätter das Umgekehrte auf, wie der Czar im Palaste auf seine Minister, Adjutanten u. s. w. förmlich eine Menschenjagd angestellt und mehrere derselben höchst¬ eigenhändig umgebracht habe. Ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß alle diese Fabeln nicht einmal das Verdienst des bon trop-tlo haben und wirklich besser im Feuilleton zur Unterhaltung abenteuer- und märchenlustiger Leser als im ernsten Theile polni¬ scher Blätter ihren Platz gefunden hätten. Denn der Kaiser aller Reußen hat mit dem König der Franzosen (der sich, beiläufig be¬ merkt, auch hierin von den früheren Königen von Frankreich unter,- scheidet), wenigstens das gemein, daß er kein Jäger, wie überhaupt die Jagdliche in der kaiserlichen Familie nicht sehr heimisch ist. Eines aber liegt all jenen Zeitungsberichten zu Grunde, nämlich die offenbare Verstimmung und Mißlaune des Kaisers während der ersten Wo¬ chen des Augustmonates. Dies ist eine Thatsache, deren Bestätigung mir nicht allein aus dem Munde aller Personen geworden, welche Gelegenheit hatten, Nicolaus während jener Zeit im Paläste zu be¬ obachten, sondern die auch Jedermann sehr leicht wahrnehmen konnte, der demselben auf der Straße begegnete. Sonst nämlich pflegte die¬ ser jeden ihn Grüßenden mit seinem durchdringenden Blick scharf und forschend in's Auge zu fassen; in jenen Wochen aber war er sichtbar zerstreut und erwiederte, ohne weiter hinzublicken, die zahl¬ reichen Grüße nur durch eine fast mechanische Handbewegung nach dem Hute. Das stolze, männlich schöne Angesicht des Kaisers pflegt sonst nicht gerade ein Spiegel seiner Empfindungen zu sein, und diese gewaltige Natur übt ihre Herrscherkraft zunächst an sich selbst aus. Es mußte also etwas Bedeutenderes sein, als eines der europäischen Zeitungsmärchen, etwa von einem Tscherkessen-Sieg, oder von einer Bojarenverschwörung, was ihn aufregte und verstimmte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/450>, abgerufen am 23.07.2024.