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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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eingetragen haben. Wer ist Herr Granville? Es ist der Held einer andern
Komödie, die ich in diesem Theater des Obi-on einige Abende später zum er¬
sten Male aufführen sah und welches den Titel führt: "Der Poet, oder die
dirons et'-uiteur." Es ist doch ein gesegneter Boden, dieses Frankreich! Die
clrvits ä'antsur! In Deutschland könnte man hieraus höchstens ein Trauer¬
spiel machen; Dank den besseren Gesetzen Frankreichs, hier macht man ein
Lustspiel daraus. Herr Granville ist ein großer Dichter, ohne Geld; er will
jenseits des Meeres sein Glück suchen und kommt natürlich eben so arm zurück,
als er abgereist ist, nur ist der arme Teufel um 13 Jahre älter und hat eine
Tochter Julie. Nun aber kommt die eigentliche Geschichte. Granville hat
bei seiner Abreise eine ungeheure Menge von Komödien, Tragödien, Dramen,
mit einem Worte allerhand Arbeiten eines Theaterdichters zurückgelassen. O Glück!
Diese Werft, mit denen Granville Nichts anzufangen wußte, sind plötzlich bei
aller Welt beliebt geworden, als man ihren Verfasser gestorben glaubte. Die
Theater haben sich um seine Lustspiele, seine Baudevilles, seine Dramen ge¬
rissen. Das Publikum hat für diese Meisterwerke nicht allein seinen enthusi¬
astischen Beifall, sondern auch sein Geld, nicht blos seine Thränen, sondern auch
sein Geld, nicht bloß seine Heiterkeit, sondern auch sein Geld, immer sein Geld
gegeben; -- aus diesem Geld ist nun eine Masse geworden und die Mitgift
des Fräuleins Granville ist sofort da. Wäre Fräulein Granville die Tochter
eines deutschen Theaterdichters gewesen, sie wäre wahrscheinlich noch heute
unverheirathet. -- Erinnern Sie sich noch einer Novelle von Zschokke, welche
der Fcldwcibel heißt? Friedrich Wilhelm l., der Freund aller großen Männer,
d. h. solcher, die sechs Fuß und noch etwas darüber messen, läßt einen jungen
Schweizer mit Gewalt ausheben und in sein Regiment einregistrircn. Ein
junges Mädchen von nicht minder hoher Taille begegnet dem König auf einem
Spazierritt, erhält ein Briefchen nach Potsdam und soll dort gezwungen wer¬
den, besagtem großen Mann aus der Schweiz als Ehegattin sich zu verbin¬
den. Welch ein prächtiger Stoff für ein Lustspiel! Warum hat man noch
keins daraus gemacht? Hier hat man aus einem ähnlichen, aber viel schlech¬
teren, ein allerliebstes Vaudeville in zwei Acten fabricirt, welches unter dem
Titel "Die beiden Brigadiers" im Varwtll Thviltre von Stapel ging.

"An ebener Erde und im ersten Stock", Restroy'ö spafikräftige Posse, macht
hier enormes Glück; wenn wir doch nur gerechter gegen uns selbst wären.
Ich habe das Stück im österreichischen Dialekte im Theater an der Wien ge¬
sehen; die Wiener Gutmüthigkeit fehlt in der französischen Übersetzung. Wie
köstlich ist Scholz, wenn er den Brief an seine Geliebte sich vorlesen läßt und


eingetragen haben. Wer ist Herr Granville? Es ist der Held einer andern
Komödie, die ich in diesem Theater des Obi-on einige Abende später zum er¬
sten Male aufführen sah und welches den Titel führt: „Der Poet, oder die
dirons et'-uiteur." Es ist doch ein gesegneter Boden, dieses Frankreich! Die
clrvits ä'antsur! In Deutschland könnte man hieraus höchstens ein Trauer¬
spiel machen; Dank den besseren Gesetzen Frankreichs, hier macht man ein
Lustspiel daraus. Herr Granville ist ein großer Dichter, ohne Geld; er will
jenseits des Meeres sein Glück suchen und kommt natürlich eben so arm zurück,
als er abgereist ist, nur ist der arme Teufel um 13 Jahre älter und hat eine
Tochter Julie. Nun aber kommt die eigentliche Geschichte. Granville hat
bei seiner Abreise eine ungeheure Menge von Komödien, Tragödien, Dramen,
mit einem Worte allerhand Arbeiten eines Theaterdichters zurückgelassen. O Glück!
Diese Werft, mit denen Granville Nichts anzufangen wußte, sind plötzlich bei
aller Welt beliebt geworden, als man ihren Verfasser gestorben glaubte. Die
Theater haben sich um seine Lustspiele, seine Baudevilles, seine Dramen ge¬
rissen. Das Publikum hat für diese Meisterwerke nicht allein seinen enthusi¬
astischen Beifall, sondern auch sein Geld, nicht blos seine Thränen, sondern auch
sein Geld, nicht bloß seine Heiterkeit, sondern auch sein Geld, immer sein Geld
gegeben; — aus diesem Geld ist nun eine Masse geworden und die Mitgift
des Fräuleins Granville ist sofort da. Wäre Fräulein Granville die Tochter
eines deutschen Theaterdichters gewesen, sie wäre wahrscheinlich noch heute
unverheirathet. — Erinnern Sie sich noch einer Novelle von Zschokke, welche
der Fcldwcibel heißt? Friedrich Wilhelm l., der Freund aller großen Männer,
d. h. solcher, die sechs Fuß und noch etwas darüber messen, läßt einen jungen
Schweizer mit Gewalt ausheben und in sein Regiment einregistrircn. Ein
junges Mädchen von nicht minder hoher Taille begegnet dem König auf einem
Spazierritt, erhält ein Briefchen nach Potsdam und soll dort gezwungen wer¬
den, besagtem großen Mann aus der Schweiz als Ehegattin sich zu verbin¬
den. Welch ein prächtiger Stoff für ein Lustspiel! Warum hat man noch
keins daraus gemacht? Hier hat man aus einem ähnlichen, aber viel schlech¬
teren, ein allerliebstes Vaudeville in zwei Acten fabricirt, welches unter dem
Titel „Die beiden Brigadiers" im Varwtll Thviltre von Stapel ging.

„An ebener Erde und im ersten Stock", Restroy'ö spafikräftige Posse, macht
hier enormes Glück; wenn wir doch nur gerechter gegen uns selbst wären.
Ich habe das Stück im österreichischen Dialekte im Theater an der Wien ge¬
sehen; die Wiener Gutmüthigkeit fehlt in der französischen Übersetzung. Wie
köstlich ist Scholz, wenn er den Brief an seine Geliebte sich vorlesen läßt und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/440>, abgerufen am 23.07.2024.