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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Und hier zuletzt schließt das Gedicht die innerste Ueberzeugung
des Verfassers auf, welche wir in den früher vorkommenden Zeilen
zu finden glauben:

"Gedanke heißt der Heilige, der Held,
Der im Urkamps ersiegt das weite Feld!
Er hat getaucht die Sterne in sein Licht,
Er gab den Stand den Sterne und die Flucht,
Hält ewig fest die strenge Sternenzucht,
Sein ist die ganze Welt und ihr Gericht."

Der Sieg des Geistes, die Herrschaft der Wahrheit ist das
Endziel der Weltgeschichte, zu welchem alle großen Katastrophen,
das Bauen und Niederstürzen in der unendlichen Arbeit der Völker
hinwirken müssen. Aber der Anblick der schweren Entwicklung"!!-
Phasen erfüllt das menschliche Herz mit Wehmuth, mit Bewundern
und Schauder. Wir glauben an die einstige Erfüllung der Ge¬
schichte, aber die Wege, die Wir, das eine menschliche Geschlecht, da¬
hin genommen haben, ziehen sich noch weitab zur Seite des Ziels,
das noch trübe und fern aus Irrthum und Verhängniß hindurch¬
blickt. So ruft der "Greis" gegen Ende:

"Noch die Freiheit war es nicht;
Dunklen Gruß, verworrne Kunde
Brachte nur von ihrem Licht
Die vorangeeilte Stunde."

Was man erkämpfen wollte, war noch nicht die reine und völ¬
lige Freiheit, nicht "ein klarer Blick in'S Herz der Freiheit," nicht
"Liebe für die heilige, erkannte," trieb dazu, nicht Wissenschaft, es
war von der Wahrheit nur ein "dunkles Ahnen." -- Und warum,
fragt der Schlußgesang, warum jene Zeiten aus der Vergessenheit
rufen? "Hat unsre Zeit nicht Leids genug für Klagen?" -- Allein
in der Vergangenheit lebte auch unser Schicksal mit, in der Vor¬
welt und in unserer Gegenwart wirkt der nämliche stetige Geist, der
auch uns ansprechen soll:

"Daß wir uns recht mit ihm zusammcnfühlen,
In ein Geschlecht, ein Leben, ein Geschick."

Jeder Zeitraum arbeitet dem folgenden vor: leidet für ihn, bahnt
ihm die Straße. ' Auch unsere Zeit, mit ihren Wehen und Zwie-


Und hier zuletzt schließt das Gedicht die innerste Ueberzeugung
des Verfassers auf, welche wir in den früher vorkommenden Zeilen
zu finden glauben:

„Gedanke heißt der Heilige, der Held,
Der im Urkamps ersiegt das weite Feld!
Er hat getaucht die Sterne in sein Licht,
Er gab den Stand den Sterne und die Flucht,
Hält ewig fest die strenge Sternenzucht,
Sein ist die ganze Welt und ihr Gericht."

Der Sieg des Geistes, die Herrschaft der Wahrheit ist das
Endziel der Weltgeschichte, zu welchem alle großen Katastrophen,
das Bauen und Niederstürzen in der unendlichen Arbeit der Völker
hinwirken müssen. Aber der Anblick der schweren Entwicklung«!!-
Phasen erfüllt das menschliche Herz mit Wehmuth, mit Bewundern
und Schauder. Wir glauben an die einstige Erfüllung der Ge¬
schichte, aber die Wege, die Wir, das eine menschliche Geschlecht, da¬
hin genommen haben, ziehen sich noch weitab zur Seite des Ziels,
das noch trübe und fern aus Irrthum und Verhängniß hindurch¬
blickt. So ruft der „Greis" gegen Ende:

„Noch die Freiheit war es nicht;
Dunklen Gruß, verworrne Kunde
Brachte nur von ihrem Licht
Die vorangeeilte Stunde."

Was man erkämpfen wollte, war noch nicht die reine und völ¬
lige Freiheit, nicht „ein klarer Blick in'S Herz der Freiheit," nicht
„Liebe für die heilige, erkannte," trieb dazu, nicht Wissenschaft, es
war von der Wahrheit nur ein „dunkles Ahnen." — Und warum,
fragt der Schlußgesang, warum jene Zeiten aus der Vergessenheit
rufen? „Hat unsre Zeit nicht Leids genug für Klagen?" — Allein
in der Vergangenheit lebte auch unser Schicksal mit, in der Vor¬
welt und in unserer Gegenwart wirkt der nämliche stetige Geist, der
auch uns ansprechen soll:

„Daß wir uns recht mit ihm zusammcnfühlen,
In ein Geschlecht, ein Leben, ein Geschick."

Jeder Zeitraum arbeitet dem folgenden vor: leidet für ihn, bahnt
ihm die Straße. ' Auch unsere Zeit, mit ihren Wehen und Zwie-


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[0432] Und hier zuletzt schließt das Gedicht die innerste Ueberzeugung des Verfassers auf, welche wir in den früher vorkommenden Zeilen zu finden glauben: „Gedanke heißt der Heilige, der Held, Der im Urkamps ersiegt das weite Feld! Er hat getaucht die Sterne in sein Licht, Er gab den Stand den Sterne und die Flucht, Hält ewig fest die strenge Sternenzucht, Sein ist die ganze Welt und ihr Gericht." Der Sieg des Geistes, die Herrschaft der Wahrheit ist das Endziel der Weltgeschichte, zu welchem alle großen Katastrophen, das Bauen und Niederstürzen in der unendlichen Arbeit der Völker hinwirken müssen. Aber der Anblick der schweren Entwicklung«!!- Phasen erfüllt das menschliche Herz mit Wehmuth, mit Bewundern und Schauder. Wir glauben an die einstige Erfüllung der Ge¬ schichte, aber die Wege, die Wir, das eine menschliche Geschlecht, da¬ hin genommen haben, ziehen sich noch weitab zur Seite des Ziels, das noch trübe und fern aus Irrthum und Verhängniß hindurch¬ blickt. So ruft der „Greis" gegen Ende: „Noch die Freiheit war es nicht; Dunklen Gruß, verworrne Kunde Brachte nur von ihrem Licht Die vorangeeilte Stunde." Was man erkämpfen wollte, war noch nicht die reine und völ¬ lige Freiheit, nicht „ein klarer Blick in'S Herz der Freiheit," nicht „Liebe für die heilige, erkannte," trieb dazu, nicht Wissenschaft, es war von der Wahrheit nur ein „dunkles Ahnen." — Und warum, fragt der Schlußgesang, warum jene Zeiten aus der Vergessenheit rufen? „Hat unsre Zeit nicht Leids genug für Klagen?" — Allein in der Vergangenheit lebte auch unser Schicksal mit, in der Vor¬ welt und in unserer Gegenwart wirkt der nämliche stetige Geist, der auch uns ansprechen soll: „Daß wir uns recht mit ihm zusammcnfühlen, In ein Geschlecht, ein Leben, ein Geschick." Jeder Zeitraum arbeitet dem folgenden vor: leidet für ihn, bahnt ihm die Straße. ' Auch unsere Zeit, mit ihren Wehen und Zwie-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/432>, abgerufen am 23.07.2024.