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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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fruchtbaren Phantasie abgelegt hat. In Belgien findet sich von
diesem Styl, dessen Sonderbarkeiten nicht ohne Reiz sind, nur noch
ein Beispiel vor, nämlich der innere Hofdeö alten fürstlichbischöflichen
Palastes in Lüttich. Fürchteten wir übrigens nicht, in Aussuchung
von Analogien zu weit zu gehen, so würden wir sagen, daß diese
Erinnerungen an den Orient hier in Antwerpen mit den seltsamen
und bunten Trachten der überseeischen Handelsherrn sehr gut har-
monirte, welche damals um die Mittagsstunde die weiten Galerien
dieses Sammelplatzes von Kaufleuten aller Nationen füllten.

Das Hansahaus, Oosterlingnes, das zweite große Han¬
delsgebäude, das in demselben Jahrhundert erbaut wurde, -- denn
es trägt die Jahreszahl 1568, -- verdient wenigstens insofern hier
eine Erwähnung, als eS ein noch bestehendes Denkmal des ausge¬
dehnten Handels ist, den Antwerpen mit den Bewohnern des Nordens
trieb. Es enthielt, wie man sagt, dreihundert Zimmer, in denen
die Kaufleute aus den hanseatischen Häfen freie Wohnung erhielten
und in denen sie ihre Waaren niederzulegen berechtigt waren.

Bekanntlich hat Antwerpen lange, lange Zeit zu seinem großen
Unglück in den religiösen Unruhen der Niederlande unter der ver-
hängnißschweren Herrschaft Philipp's II. eine Rolle gespielt. Da¬
mals fehlte nur wenig daran, daß Antwerpen, während es im Be¬
sitz der abgefallenen Provinzen war, zu der Wichtigkett gelangt
wäre, welche nachher zu des ersteren großem Nachtheil Amsterdam
erlangt hat, das damals nur ein armselig, unbedeutendes Fischerdorf
war. Wäre Antwerpen der protestantischen Partei verblieben, so
würde es ohne Zweifel zu einem unerhörten Grad von Wohlstand
sich aufgeschwungen und in Folge dieser Unruhen selbst seine See¬
macht bedeutend emporgebracht haben. Erst als die Holländer
völlig daran verzweifeln mußten, es den Spaniern wieder zu ent¬
reißen, dachten sie daran, einen Fluß zu schließen, aus dem die
> Natur den geradesten Weg in die Noidsee gemacht hatte, eine
schreiende Ungerechtigkeit vom gesellschaftlichen Standpunkte aus,
welche aber von der Politik lange ihre Weihe erhalten hat und
noch heute nicht gänzlich aus dem europäische" Staatenrecht ver¬
schwunden ist, das freilich gar oft mit dem geheiligten Recht der Na¬
tionen in schreienden Widerspruch steht. Antwerpen nun scheint,
seitdem der siegreiche Widerstand seiner entfernten Herrscher es dem


fruchtbaren Phantasie abgelegt hat. In Belgien findet sich von
diesem Styl, dessen Sonderbarkeiten nicht ohne Reiz sind, nur noch
ein Beispiel vor, nämlich der innere Hofdeö alten fürstlichbischöflichen
Palastes in Lüttich. Fürchteten wir übrigens nicht, in Aussuchung
von Analogien zu weit zu gehen, so würden wir sagen, daß diese
Erinnerungen an den Orient hier in Antwerpen mit den seltsamen
und bunten Trachten der überseeischen Handelsherrn sehr gut har-
monirte, welche damals um die Mittagsstunde die weiten Galerien
dieses Sammelplatzes von Kaufleuten aller Nationen füllten.

Das Hansahaus, Oosterlingnes, das zweite große Han¬
delsgebäude, das in demselben Jahrhundert erbaut wurde, — denn
es trägt die Jahreszahl 1568, — verdient wenigstens insofern hier
eine Erwähnung, als eS ein noch bestehendes Denkmal des ausge¬
dehnten Handels ist, den Antwerpen mit den Bewohnern des Nordens
trieb. Es enthielt, wie man sagt, dreihundert Zimmer, in denen
die Kaufleute aus den hanseatischen Häfen freie Wohnung erhielten
und in denen sie ihre Waaren niederzulegen berechtigt waren.

Bekanntlich hat Antwerpen lange, lange Zeit zu seinem großen
Unglück in den religiösen Unruhen der Niederlande unter der ver-
hängnißschweren Herrschaft Philipp's II. eine Rolle gespielt. Da¬
mals fehlte nur wenig daran, daß Antwerpen, während es im Be¬
sitz der abgefallenen Provinzen war, zu der Wichtigkett gelangt
wäre, welche nachher zu des ersteren großem Nachtheil Amsterdam
erlangt hat, das damals nur ein armselig, unbedeutendes Fischerdorf
war. Wäre Antwerpen der protestantischen Partei verblieben, so
würde es ohne Zweifel zu einem unerhörten Grad von Wohlstand
sich aufgeschwungen und in Folge dieser Unruhen selbst seine See¬
macht bedeutend emporgebracht haben. Erst als die Holländer
völlig daran verzweifeln mußten, es den Spaniern wieder zu ent¬
reißen, dachten sie daran, einen Fluß zu schließen, aus dem die
> Natur den geradesten Weg in die Noidsee gemacht hatte, eine
schreiende Ungerechtigkeit vom gesellschaftlichen Standpunkte aus,
welche aber von der Politik lange ihre Weihe erhalten hat und
noch heute nicht gänzlich aus dem europäische» Staatenrecht ver¬
schwunden ist, das freilich gar oft mit dem geheiligten Recht der Na¬
tionen in schreienden Widerspruch steht. Antwerpen nun scheint,
seitdem der siegreiche Widerstand seiner entfernten Herrscher es dem


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[0420] fruchtbaren Phantasie abgelegt hat. In Belgien findet sich von diesem Styl, dessen Sonderbarkeiten nicht ohne Reiz sind, nur noch ein Beispiel vor, nämlich der innere Hofdeö alten fürstlichbischöflichen Palastes in Lüttich. Fürchteten wir übrigens nicht, in Aussuchung von Analogien zu weit zu gehen, so würden wir sagen, daß diese Erinnerungen an den Orient hier in Antwerpen mit den seltsamen und bunten Trachten der überseeischen Handelsherrn sehr gut har- monirte, welche damals um die Mittagsstunde die weiten Galerien dieses Sammelplatzes von Kaufleuten aller Nationen füllten. Das Hansahaus, Oosterlingnes, das zweite große Han¬ delsgebäude, das in demselben Jahrhundert erbaut wurde, — denn es trägt die Jahreszahl 1568, — verdient wenigstens insofern hier eine Erwähnung, als eS ein noch bestehendes Denkmal des ausge¬ dehnten Handels ist, den Antwerpen mit den Bewohnern des Nordens trieb. Es enthielt, wie man sagt, dreihundert Zimmer, in denen die Kaufleute aus den hanseatischen Häfen freie Wohnung erhielten und in denen sie ihre Waaren niederzulegen berechtigt waren. Bekanntlich hat Antwerpen lange, lange Zeit zu seinem großen Unglück in den religiösen Unruhen der Niederlande unter der ver- hängnißschweren Herrschaft Philipp's II. eine Rolle gespielt. Da¬ mals fehlte nur wenig daran, daß Antwerpen, während es im Be¬ sitz der abgefallenen Provinzen war, zu der Wichtigkett gelangt wäre, welche nachher zu des ersteren großem Nachtheil Amsterdam erlangt hat, das damals nur ein armselig, unbedeutendes Fischerdorf war. Wäre Antwerpen der protestantischen Partei verblieben, so würde es ohne Zweifel zu einem unerhörten Grad von Wohlstand sich aufgeschwungen und in Folge dieser Unruhen selbst seine See¬ macht bedeutend emporgebracht haben. Erst als die Holländer völlig daran verzweifeln mußten, es den Spaniern wieder zu ent¬ reißen, dachten sie daran, einen Fluß zu schließen, aus dem die > Natur den geradesten Weg in die Noidsee gemacht hatte, eine schreiende Ungerechtigkeit vom gesellschaftlichen Standpunkte aus, welche aber von der Politik lange ihre Weihe erhalten hat und noch heute nicht gänzlich aus dem europäische» Staatenrecht ver¬ schwunden ist, das freilich gar oft mit dem geheiligten Recht der Na¬ tionen in schreienden Widerspruch steht. Antwerpen nun scheint, seitdem der siegreiche Widerstand seiner entfernten Herrscher es dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/420>, abgerufen am 26.08.2024.