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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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ren. Hier sind an der Stelle der wehenden Banner und der
Sinnbilder der Gewerke und Zünfte traurige und kalte Allegorien
getreten. Man sieht es wohl, Karl V. in seinem entsetzlichen Zorn
hat das ewige Feuer der inneren städtischen Unruhen schon mit dem
Blute seiner Genter Mitbürger gelöscht; jetzt gilt rS, sich unter den
Zepter seines schrecklichen Sohnes zu beugen und ohne Murren den
Befehlen zu gehorchen, die aus den Gemächern des Escurial herüber¬
kommen. DaS Nachhalls der Stadt Antwerpen besagt Nichts, weil
weder eine Leidenschaft noch ein Glaube dem todten Stein eine
Seele eingehaucht, dem stummen Bau eine Sprache verliehen hat.
Trägt es ja irgend einen Charakter an sich, so ist es eben der der
Sklaverei. Seine niedrigen Stockwerke, seine graue Fa^abe, dem
die Zeit eine abscheuliche schwarze Fälbung verliehen, sein Styl,
die nicht mehr gothisch und dennoch auch nicht zu keck weltlich ist,
-- dies Alles betrübt den Blick und scheint dem Beschauer auf alle
seine vergeblichen Fragen Nichts weiter zu antworten, als daß
Antwerpen, allein unter allen Städten der flandrischen Provinzen,
keine municipale Geschichte hat. Daher trägt auch die Architektur
der Privathäuser, die aus derselben Epoche herrühren, denselben
Charakter deö Schwankenden, Unentschiedenen. Nicht als ob, --
um einen sehr schlagenden Ausdruck Victor Hugo's in Notre-Dame
de Paris zu brauchen -- "die Buchdruckerel mit ihren bleiernen
Geschossen hier tödtlich gewirkt habe," nein, die communale Freiheit
war verschwunden, weil die feudale Unabhängigkeit auch ihre Zeit
durchgemacht hatte. Denn das Eine war die Folge deö Andern.
Um nur ein Beispiel aus den Antwerpener Privatbauten hervorzu¬
heben, führe ich das Junungshaus der Armbrustschützen an; man
betrachte eS nur mit seiner geschmack- und verhältnißlosen Fa^abe,
mit diesen fünf Stockwerken, in denen die meisten Fenster nur
Blenden sind. Ist dieses Halts nicht ein deutlicher Beweis von
der Ohnmacht der Kunst, die sich hier an Nichts weiter zu begei¬
stern hatte, als an der Eitelkeit einer fortan unnütz gewordenen
Körperschaft. Und dieselbe Unsicherheit und Armuth deö Styls
bieten, wie gesagt, alle alten Häuser Antwerpens dar. Die düstre
une- "los Nütissvui-Z, welche auf den Platz rechts vom Rathhause
ausläuft, gehört ganz und gar dieser Epoche an und es ist hier
seit dreihundert Jahren auch nicht ein Ziegelstein von der Stelle


ren. Hier sind an der Stelle der wehenden Banner und der
Sinnbilder der Gewerke und Zünfte traurige und kalte Allegorien
getreten. Man sieht es wohl, Karl V. in seinem entsetzlichen Zorn
hat das ewige Feuer der inneren städtischen Unruhen schon mit dem
Blute seiner Genter Mitbürger gelöscht; jetzt gilt rS, sich unter den
Zepter seines schrecklichen Sohnes zu beugen und ohne Murren den
Befehlen zu gehorchen, die aus den Gemächern des Escurial herüber¬
kommen. DaS Nachhalls der Stadt Antwerpen besagt Nichts, weil
weder eine Leidenschaft noch ein Glaube dem todten Stein eine
Seele eingehaucht, dem stummen Bau eine Sprache verliehen hat.
Trägt es ja irgend einen Charakter an sich, so ist es eben der der
Sklaverei. Seine niedrigen Stockwerke, seine graue Fa^abe, dem
die Zeit eine abscheuliche schwarze Fälbung verliehen, sein Styl,
die nicht mehr gothisch und dennoch auch nicht zu keck weltlich ist,
— dies Alles betrübt den Blick und scheint dem Beschauer auf alle
seine vergeblichen Fragen Nichts weiter zu antworten, als daß
Antwerpen, allein unter allen Städten der flandrischen Provinzen,
keine municipale Geschichte hat. Daher trägt auch die Architektur
der Privathäuser, die aus derselben Epoche herrühren, denselben
Charakter deö Schwankenden, Unentschiedenen. Nicht als ob, —
um einen sehr schlagenden Ausdruck Victor Hugo's in Notre-Dame
de Paris zu brauchen — „die Buchdruckerel mit ihren bleiernen
Geschossen hier tödtlich gewirkt habe," nein, die communale Freiheit
war verschwunden, weil die feudale Unabhängigkeit auch ihre Zeit
durchgemacht hatte. Denn das Eine war die Folge deö Andern.
Um nur ein Beispiel aus den Antwerpener Privatbauten hervorzu¬
heben, führe ich das Junungshaus der Armbrustschützen an; man
betrachte eS nur mit seiner geschmack- und verhältnißlosen Fa^abe,
mit diesen fünf Stockwerken, in denen die meisten Fenster nur
Blenden sind. Ist dieses Halts nicht ein deutlicher Beweis von
der Ohnmacht der Kunst, die sich hier an Nichts weiter zu begei¬
stern hatte, als an der Eitelkeit einer fortan unnütz gewordenen
Körperschaft. Und dieselbe Unsicherheit und Armuth deö Styls
bieten, wie gesagt, alle alten Häuser Antwerpens dar. Die düstre
une- «los Nütissvui-Z, welche auf den Platz rechts vom Rathhause
ausläuft, gehört ganz und gar dieser Epoche an und es ist hier
seit dreihundert Jahren auch nicht ein Ziegelstein von der Stelle


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[0418] ren. Hier sind an der Stelle der wehenden Banner und der Sinnbilder der Gewerke und Zünfte traurige und kalte Allegorien getreten. Man sieht es wohl, Karl V. in seinem entsetzlichen Zorn hat das ewige Feuer der inneren städtischen Unruhen schon mit dem Blute seiner Genter Mitbürger gelöscht; jetzt gilt rS, sich unter den Zepter seines schrecklichen Sohnes zu beugen und ohne Murren den Befehlen zu gehorchen, die aus den Gemächern des Escurial herüber¬ kommen. DaS Nachhalls der Stadt Antwerpen besagt Nichts, weil weder eine Leidenschaft noch ein Glaube dem todten Stein eine Seele eingehaucht, dem stummen Bau eine Sprache verliehen hat. Trägt es ja irgend einen Charakter an sich, so ist es eben der der Sklaverei. Seine niedrigen Stockwerke, seine graue Fa^abe, dem die Zeit eine abscheuliche schwarze Fälbung verliehen, sein Styl, die nicht mehr gothisch und dennoch auch nicht zu keck weltlich ist, — dies Alles betrübt den Blick und scheint dem Beschauer auf alle seine vergeblichen Fragen Nichts weiter zu antworten, als daß Antwerpen, allein unter allen Städten der flandrischen Provinzen, keine municipale Geschichte hat. Daher trägt auch die Architektur der Privathäuser, die aus derselben Epoche herrühren, denselben Charakter deö Schwankenden, Unentschiedenen. Nicht als ob, — um einen sehr schlagenden Ausdruck Victor Hugo's in Notre-Dame de Paris zu brauchen — „die Buchdruckerel mit ihren bleiernen Geschossen hier tödtlich gewirkt habe," nein, die communale Freiheit war verschwunden, weil die feudale Unabhängigkeit auch ihre Zeit durchgemacht hatte. Denn das Eine war die Folge deö Andern. Um nur ein Beispiel aus den Antwerpener Privatbauten hervorzu¬ heben, führe ich das Junungshaus der Armbrustschützen an; man betrachte eS nur mit seiner geschmack- und verhältnißlosen Fa^abe, mit diesen fünf Stockwerken, in denen die meisten Fenster nur Blenden sind. Ist dieses Halts nicht ein deutlicher Beweis von der Ohnmacht der Kunst, die sich hier an Nichts weiter zu begei¬ stern hatte, als an der Eitelkeit einer fortan unnütz gewordenen Körperschaft. Und dieselbe Unsicherheit und Armuth deö Styls bieten, wie gesagt, alle alten Häuser Antwerpens dar. Die düstre une- «los Nütissvui-Z, welche auf den Platz rechts vom Rathhause ausläuft, gehört ganz und gar dieser Epoche an und es ist hier seit dreihundert Jahren auch nicht ein Ziegelstein von der Stelle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/418>, abgerufen am 26.08.2024.