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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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sehenswerthen Aufwand an geistigen und pekuniären Mitteln voll¬
ziehen zu lassen; denn sie allein bietet durch ihre Stellung über den
Parteien, genügende und beruhigende Garantien dafür, daß keine
der Kunst fremde Rücksicht sie in der Wahl der Person, welcher diese
so wichtige Aufgabe anvertraut werden müßte, bestimmen würde.

Antwerpen zählt noch andre Kirchen, die, wenn sie auch in
keiner Beziehung mit der Kathedrale einen Vergleich aushalten, doch
auch nicht ganz ohne Erwähnung bleiben dürfen. So ist z. B.
die, welche dem heiligen Jacobus geweiht ist, ein gothisches Bau¬
werk aus der Verfallzeit dieses Styles, dessen Verhältnissen es aber
nicht an Großartigkeit fehlt. Sie wurde im Jahre .1479 begonnen
und konnte also nicht vollendet werden; denn diese ungeheuren Ar¬
beiten erforderten mehr als ein Jahrhundert und zwei nebeneinander
fortlaufende historische Thatsachen, welche beide auf den Spitzbogen¬
styl eine gleich nachtheilige Einwirkung haben mußten, die Refor¬
mation und die Renaissance, nahten mit großen Schritten. Dennoch
wurde im Jahre 1515, also sechs und dreißig Jahre nach dem
Anfange, der Chor beendigt. Die Thürme aber, welche man erst
im Jahre 1491 zu bauen begann, blieben in diesem Zustande der
ersten Anfänge: sie erheben sich nur um ein sehr Geringes über
die Kante deS Daches des Schiffes und sehen von Weitem wie ein
entmastetes Schiff aus. Bemerkenswert!) ist im Innern dieser Kirche
ein Smgchvr, eine Art von Tribune vor dem Chor, wie man sie
nur noch sehr selten antrifft. Was aber den Blick des kunstsinnigen
Beschauers am meisten betrübt, das sind die Glasfenster. Sie müssen,
wenn ich mich nicht sehr irre, aus dem Ende des siebzehnten Jahr¬
hunderts, d h. aus einer Epoche herrühren, wo das Geheimniß der
Glasmalerei schon fast gänzlich verloren war. ES möchte daher
schwer sein, ein Werk zü finden, dessen Ausführung matter wäre,
als diese Scheiben; man mochte fast meinen, die Farben seien nach
und nach vom Regen abgeschwemmt worden. Ueberhaupt ist dies eine
Zierde, welche den Antwerpener Kirchen fehlt. Die Glasmalereien
sind wahrscheinlich während der Schreckensherrschaft der Bilderstür¬
mer zertrümmert worden und die Antwerpener Kirchen haben nicht
gleich der von Se. Gudula in Brüssel, das besondere Glück gehabt,
daß sie zu einer Zeit reparirt wurden, wo in diesem Fache die guten
Traditionen noch lebendig waren.


sehenswerthen Aufwand an geistigen und pekuniären Mitteln voll¬
ziehen zu lassen; denn sie allein bietet durch ihre Stellung über den
Parteien, genügende und beruhigende Garantien dafür, daß keine
der Kunst fremde Rücksicht sie in der Wahl der Person, welcher diese
so wichtige Aufgabe anvertraut werden müßte, bestimmen würde.

Antwerpen zählt noch andre Kirchen, die, wenn sie auch in
keiner Beziehung mit der Kathedrale einen Vergleich aushalten, doch
auch nicht ganz ohne Erwähnung bleiben dürfen. So ist z. B.
die, welche dem heiligen Jacobus geweiht ist, ein gothisches Bau¬
werk aus der Verfallzeit dieses Styles, dessen Verhältnissen es aber
nicht an Großartigkeit fehlt. Sie wurde im Jahre .1479 begonnen
und konnte also nicht vollendet werden; denn diese ungeheuren Ar¬
beiten erforderten mehr als ein Jahrhundert und zwei nebeneinander
fortlaufende historische Thatsachen, welche beide auf den Spitzbogen¬
styl eine gleich nachtheilige Einwirkung haben mußten, die Refor¬
mation und die Renaissance, nahten mit großen Schritten. Dennoch
wurde im Jahre 1515, also sechs und dreißig Jahre nach dem
Anfange, der Chor beendigt. Die Thürme aber, welche man erst
im Jahre 1491 zu bauen begann, blieben in diesem Zustande der
ersten Anfänge: sie erheben sich nur um ein sehr Geringes über
die Kante deS Daches des Schiffes und sehen von Weitem wie ein
entmastetes Schiff aus. Bemerkenswert!) ist im Innern dieser Kirche
ein Smgchvr, eine Art von Tribune vor dem Chor, wie man sie
nur noch sehr selten antrifft. Was aber den Blick des kunstsinnigen
Beschauers am meisten betrübt, das sind die Glasfenster. Sie müssen,
wenn ich mich nicht sehr irre, aus dem Ende des siebzehnten Jahr¬
hunderts, d h. aus einer Epoche herrühren, wo das Geheimniß der
Glasmalerei schon fast gänzlich verloren war. ES möchte daher
schwer sein, ein Werk zü finden, dessen Ausführung matter wäre,
als diese Scheiben; man mochte fast meinen, die Farben seien nach
und nach vom Regen abgeschwemmt worden. Ueberhaupt ist dies eine
Zierde, welche den Antwerpener Kirchen fehlt. Die Glasmalereien
sind wahrscheinlich während der Schreckensherrschaft der Bilderstür¬
mer zertrümmert worden und die Antwerpener Kirchen haben nicht
gleich der von Se. Gudula in Brüssel, das besondere Glück gehabt,
daß sie zu einer Zeit reparirt wurden, wo in diesem Fache die guten
Traditionen noch lebendig waren.


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[0415] sehenswerthen Aufwand an geistigen und pekuniären Mitteln voll¬ ziehen zu lassen; denn sie allein bietet durch ihre Stellung über den Parteien, genügende und beruhigende Garantien dafür, daß keine der Kunst fremde Rücksicht sie in der Wahl der Person, welcher diese so wichtige Aufgabe anvertraut werden müßte, bestimmen würde. Antwerpen zählt noch andre Kirchen, die, wenn sie auch in keiner Beziehung mit der Kathedrale einen Vergleich aushalten, doch auch nicht ganz ohne Erwähnung bleiben dürfen. So ist z. B. die, welche dem heiligen Jacobus geweiht ist, ein gothisches Bau¬ werk aus der Verfallzeit dieses Styles, dessen Verhältnissen es aber nicht an Großartigkeit fehlt. Sie wurde im Jahre .1479 begonnen und konnte also nicht vollendet werden; denn diese ungeheuren Ar¬ beiten erforderten mehr als ein Jahrhundert und zwei nebeneinander fortlaufende historische Thatsachen, welche beide auf den Spitzbogen¬ styl eine gleich nachtheilige Einwirkung haben mußten, die Refor¬ mation und die Renaissance, nahten mit großen Schritten. Dennoch wurde im Jahre 1515, also sechs und dreißig Jahre nach dem Anfange, der Chor beendigt. Die Thürme aber, welche man erst im Jahre 1491 zu bauen begann, blieben in diesem Zustande der ersten Anfänge: sie erheben sich nur um ein sehr Geringes über die Kante deS Daches des Schiffes und sehen von Weitem wie ein entmastetes Schiff aus. Bemerkenswert!) ist im Innern dieser Kirche ein Smgchvr, eine Art von Tribune vor dem Chor, wie man sie nur noch sehr selten antrifft. Was aber den Blick des kunstsinnigen Beschauers am meisten betrübt, das sind die Glasfenster. Sie müssen, wenn ich mich nicht sehr irre, aus dem Ende des siebzehnten Jahr¬ hunderts, d h. aus einer Epoche herrühren, wo das Geheimniß der Glasmalerei schon fast gänzlich verloren war. ES möchte daher schwer sein, ein Werk zü finden, dessen Ausführung matter wäre, als diese Scheiben; man mochte fast meinen, die Farben seien nach und nach vom Regen abgeschwemmt worden. Ueberhaupt ist dies eine Zierde, welche den Antwerpener Kirchen fehlt. Die Glasmalereien sind wahrscheinlich während der Schreckensherrschaft der Bilderstür¬ mer zertrümmert worden und die Antwerpener Kirchen haben nicht gleich der von Se. Gudula in Brüssel, das besondere Glück gehabt, daß sie zu einer Zeit reparirt wurden, wo in diesem Fache die guten Traditionen noch lebendig waren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/415>, abgerufen am 26.08.2024.