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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Verfalles bald beseitigt sein: fast die ganze obere Galerie, von der
wir oben gesprochen haben, ist wiederum erbaut worden. So ist
auch der Haupteingang, über den die zerstörende Wuth der Refor¬
mation ergangen war, in seinem ursprünglichen Zustande wieder
hergestellt worden. Ebenso sind in neuerer Zeit auch im Innern der
Kathedrale große Verschönerungsarbeiten vorgenommen worden. So
haben wir unter anderen auf der rechten Seite des Chors eine Ka¬
pelle bemerkt, die einen sehr schönen gothischen Styl haben wird
Was aber vorzüglich verdient, ein Gegenstand unserer Aufmerksam-'
keit zu werden, das sind die Chorstühle in geschnittenem Holze, mit
denen der Umkreis des Chors bald vollständig geziert sein wird.
ES ist bis auf diese Zeit noch Nichts der Art in Belgien unternom¬
men worden, und wir glauben, daß es, mit Ausnahme Englands
etwa, schwer halten sollte, irgendwo anders ein zweites Beispiel
einer so sinnigen, geistreichen Rückkehr zur gothischen Kunst zu fin¬
den, besonders ein nach einem so hohen Maßstabe aufgefaßtes. Fast
alle Chorstühle nämlich, die man in den reichen Kirchen Flanderns
bewundert, rühren aus dem siebzehnten Jahrhunderte her. Die Ur¬
sache dieses Umstandes begreift man leicht. Die Wuth der Bilder¬
stürmer nämlich hat während der Reformationszeit, besonders um
das Jahr 1566, sämmtliche Kirchen ihres alten Schmuckes beraubt.
Nur sehr wenige Gemälde und Bildsäulen und noch weniger Altäre,
Kanzeln und Chorstühle entgingen dem AechtungSurtheil, das diese
Secte über sie fällte, welche den Bilderdienst und Alles, was damit
zusammenhing, gleich einem heidnischen Götzendienst verabscheute. Der
Strom raujchte vorüber und die Tempel wurden leer. Als endlich die
Unruhen gänzlich beigelegt waren und dem katholischen Glauben an
diesen Orten der Sieg geblieben war, da waren alle Stätten des Got¬
tesdienstes neuer Ausschmückung bedürftig. Diese Aufgabe war das
Erbtheil, das dem siebzehnten Jahrhundert zufiel; dieses war würdig,
sie zu erfüllen. Seine Maler, seine Bildhauer, seine Baumeister
machten sich an's Werk und in einigen Jahren war der Schaden
überall verschwunden. Daher herrscht in Belgien zwischen dem Cha¬
rakter der im Spitzbogenstyl erbauten Kirchen und dem der Zierra¬
then, mit denen sie geschmückt sind, eine weit durchgreifendere Verschie¬
denheit als irgendwo anders. Der Zwischenraum, der sie trennt,
ist die letzte Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts. In den Orna-


Verfalles bald beseitigt sein: fast die ganze obere Galerie, von der
wir oben gesprochen haben, ist wiederum erbaut worden. So ist
auch der Haupteingang, über den die zerstörende Wuth der Refor¬
mation ergangen war, in seinem ursprünglichen Zustande wieder
hergestellt worden. Ebenso sind in neuerer Zeit auch im Innern der
Kathedrale große Verschönerungsarbeiten vorgenommen worden. So
haben wir unter anderen auf der rechten Seite des Chors eine Ka¬
pelle bemerkt, die einen sehr schönen gothischen Styl haben wird
Was aber vorzüglich verdient, ein Gegenstand unserer Aufmerksam-'
keit zu werden, das sind die Chorstühle in geschnittenem Holze, mit
denen der Umkreis des Chors bald vollständig geziert sein wird.
ES ist bis auf diese Zeit noch Nichts der Art in Belgien unternom¬
men worden, und wir glauben, daß es, mit Ausnahme Englands
etwa, schwer halten sollte, irgendwo anders ein zweites Beispiel
einer so sinnigen, geistreichen Rückkehr zur gothischen Kunst zu fin¬
den, besonders ein nach einem so hohen Maßstabe aufgefaßtes. Fast
alle Chorstühle nämlich, die man in den reichen Kirchen Flanderns
bewundert, rühren aus dem siebzehnten Jahrhunderte her. Die Ur¬
sache dieses Umstandes begreift man leicht. Die Wuth der Bilder¬
stürmer nämlich hat während der Reformationszeit, besonders um
das Jahr 1566, sämmtliche Kirchen ihres alten Schmuckes beraubt.
Nur sehr wenige Gemälde und Bildsäulen und noch weniger Altäre,
Kanzeln und Chorstühle entgingen dem AechtungSurtheil, das diese
Secte über sie fällte, welche den Bilderdienst und Alles, was damit
zusammenhing, gleich einem heidnischen Götzendienst verabscheute. Der
Strom raujchte vorüber und die Tempel wurden leer. Als endlich die
Unruhen gänzlich beigelegt waren und dem katholischen Glauben an
diesen Orten der Sieg geblieben war, da waren alle Stätten des Got¬
tesdienstes neuer Ausschmückung bedürftig. Diese Aufgabe war das
Erbtheil, das dem siebzehnten Jahrhundert zufiel; dieses war würdig,
sie zu erfüllen. Seine Maler, seine Bildhauer, seine Baumeister
machten sich an's Werk und in einigen Jahren war der Schaden
überall verschwunden. Daher herrscht in Belgien zwischen dem Cha¬
rakter der im Spitzbogenstyl erbauten Kirchen und dem der Zierra¬
then, mit denen sie geschmückt sind, eine weit durchgreifendere Verschie¬
denheit als irgendwo anders. Der Zwischenraum, der sie trennt,
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[0409] Verfalles bald beseitigt sein: fast die ganze obere Galerie, von der wir oben gesprochen haben, ist wiederum erbaut worden. So ist auch der Haupteingang, über den die zerstörende Wuth der Refor¬ mation ergangen war, in seinem ursprünglichen Zustande wieder hergestellt worden. Ebenso sind in neuerer Zeit auch im Innern der Kathedrale große Verschönerungsarbeiten vorgenommen worden. So haben wir unter anderen auf der rechten Seite des Chors eine Ka¬ pelle bemerkt, die einen sehr schönen gothischen Styl haben wird Was aber vorzüglich verdient, ein Gegenstand unserer Aufmerksam-' keit zu werden, das sind die Chorstühle in geschnittenem Holze, mit denen der Umkreis des Chors bald vollständig geziert sein wird. ES ist bis auf diese Zeit noch Nichts der Art in Belgien unternom¬ men worden, und wir glauben, daß es, mit Ausnahme Englands etwa, schwer halten sollte, irgendwo anders ein zweites Beispiel einer so sinnigen, geistreichen Rückkehr zur gothischen Kunst zu fin¬ den, besonders ein nach einem so hohen Maßstabe aufgefaßtes. Fast alle Chorstühle nämlich, die man in den reichen Kirchen Flanderns bewundert, rühren aus dem siebzehnten Jahrhunderte her. Die Ur¬ sache dieses Umstandes begreift man leicht. Die Wuth der Bilder¬ stürmer nämlich hat während der Reformationszeit, besonders um das Jahr 1566, sämmtliche Kirchen ihres alten Schmuckes beraubt. Nur sehr wenige Gemälde und Bildsäulen und noch weniger Altäre, Kanzeln und Chorstühle entgingen dem AechtungSurtheil, das diese Secte über sie fällte, welche den Bilderdienst und Alles, was damit zusammenhing, gleich einem heidnischen Götzendienst verabscheute. Der Strom raujchte vorüber und die Tempel wurden leer. Als endlich die Unruhen gänzlich beigelegt waren und dem katholischen Glauben an diesen Orten der Sieg geblieben war, da waren alle Stätten des Got¬ tesdienstes neuer Ausschmückung bedürftig. Diese Aufgabe war das Erbtheil, das dem siebzehnten Jahrhundert zufiel; dieses war würdig, sie zu erfüllen. Seine Maler, seine Bildhauer, seine Baumeister machten sich an's Werk und in einigen Jahren war der Schaden überall verschwunden. Daher herrscht in Belgien zwischen dem Cha¬ rakter der im Spitzbogenstyl erbauten Kirchen und dem der Zierra¬ then, mit denen sie geschmückt sind, eine weit durchgreifendere Verschie¬ denheit als irgendwo anders. Der Zwischenraum, der sie trennt, ist die letzte Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts. In den Orna-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/409>, abgerufen am 26.08.2024.