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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Beinkleid " lit cositqiiö erregt unaufhörlich den Neid aller Stutzer
zweiten und dritten Ranges. -- Pierrot ist, freilich zur Schande
der Moral und der menschlichen Natur, in Allem, was er unter¬
nimmt, glücklich. Er reussirt überall in der großen Welt, er gewinnt
fleißig im Spiele, so daß er sich sogar baumwollene Handschuhe
kaufen kann, Cigarren mit Strohspitzen raucht und seinen Schnurr¬
bart neu ausfärbt und täglich wichst. -- Sein Schlaf wird durch-"
aus nicht von Gewissensbissen beunruhigt; aber Nichts leider! stürzt
so schnell zusammen als das Gebäuve eines Wohlstandes, dessen
Grundlage nicht die Tugend ist. Indem Pierrot in die Welt ge¬
gangen ist, hat er auch ihre glänzenden Laster angenommen. Durch
seine Liebe für die Herzogin läßt er sich nicht abhalten, auch noch
mit einigen Operntänzerinnen Liebschaften zu unterhalten, so daß
der arme Teufel bald wieder in die äußerste Noth und Verlegenheit
geräth. Es bleiben ihm keine andern Hülfsmittel mehr übrig, als
der Verkauf seines köstlichen, hoffnungsfarbigen Fracks, der ihm so
viele süße Erfolge zu Wege gebracht, und seines bewunderungswür¬
digen Beinkleids ü in, cosaquv, dessen bauschige Weite ihm so
prachtvolle Dienste geleistet hat, um seine abwesenden Waden zu
verheimlichen.

Hier findet sich nun eine dramatische Situation von einer bis¬
her vielleicht unerstiegenen Höhe und einer erschreckenden philosophi¬
schen Tiefe. Pierrot, den die Erinnerung an sein Verbrechen,
nun er in's Elend gerathen ist, wieder zu quälen anfängt, wagt es
nicht einen Kleiderhändler zu rufen, aus Furcht, das entsetzliche Ge¬
spenst möge ihm erscheinen. In der That geht auch, als hätte es
der bloße Gedanke herbeibeschworen, das Phantom in der Straße
vorbei, indem eS mit heiserer Stimme und als hätte es den Mund
voll Erde gestopft, röchelnd die Worte: "Marrrchand d'habits" heult!
Pierrot geht keck dem Gespenste entgegen und schlägt ihm mit einer
Verwegenheit, die Don Juan selbst vielleicht nicht hat, vor, ihm
Frack, Weste, Beinkleid und Hut im Ganzen abzukaufen: das Ge¬
spenst spricht sich pantomimisch dahin aus, daß die Sachen schon
sehr abgenutzt sind und bietet ihm für Alles anderthalb Franken.--
Pierrot wagt es erst, ihn einen Dieb zu nennen, dann aber willigt
er in den Handel und übergiebt ihm die Kleidungsstücke; da aber
will ihm das Gespenst die anderthalb Franken nicht geben, weil, wie


Beinkleid » lit cositqiiö erregt unaufhörlich den Neid aller Stutzer
zweiten und dritten Ranges. — Pierrot ist, freilich zur Schande
der Moral und der menschlichen Natur, in Allem, was er unter¬
nimmt, glücklich. Er reussirt überall in der großen Welt, er gewinnt
fleißig im Spiele, so daß er sich sogar baumwollene Handschuhe
kaufen kann, Cigarren mit Strohspitzen raucht und seinen Schnurr¬
bart neu ausfärbt und täglich wichst. — Sein Schlaf wird durch-"
aus nicht von Gewissensbissen beunruhigt; aber Nichts leider! stürzt
so schnell zusammen als das Gebäuve eines Wohlstandes, dessen
Grundlage nicht die Tugend ist. Indem Pierrot in die Welt ge¬
gangen ist, hat er auch ihre glänzenden Laster angenommen. Durch
seine Liebe für die Herzogin läßt er sich nicht abhalten, auch noch
mit einigen Operntänzerinnen Liebschaften zu unterhalten, so daß
der arme Teufel bald wieder in die äußerste Noth und Verlegenheit
geräth. Es bleiben ihm keine andern Hülfsmittel mehr übrig, als
der Verkauf seines köstlichen, hoffnungsfarbigen Fracks, der ihm so
viele süße Erfolge zu Wege gebracht, und seines bewunderungswür¬
digen Beinkleids ü in, cosaquv, dessen bauschige Weite ihm so
prachtvolle Dienste geleistet hat, um seine abwesenden Waden zu
verheimlichen.

Hier findet sich nun eine dramatische Situation von einer bis¬
her vielleicht unerstiegenen Höhe und einer erschreckenden philosophi¬
schen Tiefe. Pierrot, den die Erinnerung an sein Verbrechen,
nun er in's Elend gerathen ist, wieder zu quälen anfängt, wagt es
nicht einen Kleiderhändler zu rufen, aus Furcht, das entsetzliche Ge¬
spenst möge ihm erscheinen. In der That geht auch, als hätte es
der bloße Gedanke herbeibeschworen, das Phantom in der Straße
vorbei, indem eS mit heiserer Stimme und als hätte es den Mund
voll Erde gestopft, röchelnd die Worte: „Marrrchand d'habits" heult!
Pierrot geht keck dem Gespenste entgegen und schlägt ihm mit einer
Verwegenheit, die Don Juan selbst vielleicht nicht hat, vor, ihm
Frack, Weste, Beinkleid und Hut im Ganzen abzukaufen: das Ge¬
spenst spricht sich pantomimisch dahin aus, daß die Sachen schon
sehr abgenutzt sind und bietet ihm für Alles anderthalb Franken.—
Pierrot wagt es erst, ihn einen Dieb zu nennen, dann aber willigt
er in den Handel und übergiebt ihm die Kleidungsstücke; da aber
will ihm das Gespenst die anderthalb Franken nicht geben, weil, wie


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[0388] Beinkleid » lit cositqiiö erregt unaufhörlich den Neid aller Stutzer zweiten und dritten Ranges. — Pierrot ist, freilich zur Schande der Moral und der menschlichen Natur, in Allem, was er unter¬ nimmt, glücklich. Er reussirt überall in der großen Welt, er gewinnt fleißig im Spiele, so daß er sich sogar baumwollene Handschuhe kaufen kann, Cigarren mit Strohspitzen raucht und seinen Schnurr¬ bart neu ausfärbt und täglich wichst. — Sein Schlaf wird durch-" aus nicht von Gewissensbissen beunruhigt; aber Nichts leider! stürzt so schnell zusammen als das Gebäuve eines Wohlstandes, dessen Grundlage nicht die Tugend ist. Indem Pierrot in die Welt ge¬ gangen ist, hat er auch ihre glänzenden Laster angenommen. Durch seine Liebe für die Herzogin läßt er sich nicht abhalten, auch noch mit einigen Operntänzerinnen Liebschaften zu unterhalten, so daß der arme Teufel bald wieder in die äußerste Noth und Verlegenheit geräth. Es bleiben ihm keine andern Hülfsmittel mehr übrig, als der Verkauf seines köstlichen, hoffnungsfarbigen Fracks, der ihm so viele süße Erfolge zu Wege gebracht, und seines bewunderungswür¬ digen Beinkleids ü in, cosaquv, dessen bauschige Weite ihm so prachtvolle Dienste geleistet hat, um seine abwesenden Waden zu verheimlichen. Hier findet sich nun eine dramatische Situation von einer bis¬ her vielleicht unerstiegenen Höhe und einer erschreckenden philosophi¬ schen Tiefe. Pierrot, den die Erinnerung an sein Verbrechen, nun er in's Elend gerathen ist, wieder zu quälen anfängt, wagt es nicht einen Kleiderhändler zu rufen, aus Furcht, das entsetzliche Ge¬ spenst möge ihm erscheinen. In der That geht auch, als hätte es der bloße Gedanke herbeibeschworen, das Phantom in der Straße vorbei, indem eS mit heiserer Stimme und als hätte es den Mund voll Erde gestopft, röchelnd die Worte: „Marrrchand d'habits" heult! Pierrot geht keck dem Gespenste entgegen und schlägt ihm mit einer Verwegenheit, die Don Juan selbst vielleicht nicht hat, vor, ihm Frack, Weste, Beinkleid und Hut im Ganzen abzukaufen: das Ge¬ spenst spricht sich pantomimisch dahin aus, daß die Sachen schon sehr abgenutzt sind und bietet ihm für Alles anderthalb Franken.— Pierrot wagt es erst, ihn einen Dieb zu nennen, dann aber willigt er in den Handel und übergiebt ihm die Kleidungsstücke; da aber will ihm das Gespenst die anderthalb Franken nicht geben, weil, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/388>, abgerufen am 26.08.2024.