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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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die Leinewand zu werfen, um, was er empfunden, auch in der Seele
des Beschauers hervorzurufen?

Am andern Morgen wollte ich, als wir an unsrem Fenster
Kaffee tranken, in mein Album eine Erinnerung an diese schöne
Landschaft eintragen. Kaum hatte ich den Bleistift zur Hand ge¬
nommen, als alle meine Gefährten sich beeilten, meinem Beispiele
zu folgen. In einem Augenblick saßen wir nun alle vier da, zeich¬
nend, croquirend, skizzirend, als hätte auf ein Mal ein Kunsthändler
eine ganze Sammlung Rheinansichten bei uns bestellt.

Während dessen fiel es Herrmann ein, sich folgendermaßen
zu äußern:

"Der Gegenstand, der uns augenblicklich beschäftigt, ist interes¬
santer durch den schonen Farbenton, der darin herrscht, als in Be¬
zug auf Zeichnung; kaum habe ich ihn mit einigen Strichen auf
mein Album geworfen, so verliert er schon seinen Neiz: und doch hat
diese Ansicht einen eigenthümlichen Neiz, so daß man wider Willen
sich bewogen fühlt, nach Papier und Bleistift zu greifen."

Darauf entgegnete ich ihm Folgendes:

"Unmöglich kann ich wohl annehmen, lieber Freund, daß Du
nur zeichnest, weil ich es thue. Denn das wäre gerade so dumm,
als wolltest Du mir in Allem folgen, wie mein Schatten. Man
mag wohl gut thun, den Rath eines Andern anzuhö¬
ren, aber man höre stets auch auf sein eigenes Gefühl.
Hättest Du übrigens Deine Umrisse und Deine Linien getreu der
Natur nachgezeichnet, so würde Dir Deine Skizze besser gefallen.
Denn wenn Du nicht zum Bleistift gegriffen hast, eben nur um
meinem Beispiele zu folgen, so muß sich nothwendig in der Land¬
schaft, die ihre Herrlichkeiten vor uns ausbreitet, ein oder der andre
Gegenstand finden, der in Dir den Wunsch rege machte, ein Andenken
davon in Deinem Album zu haben. Denn Alles, was wir hier
sehen, ist natürlich: aber nicht Alles ist schön. Das Siebengebirge
bildet den Hauptgegenstand dieser Landschaft: durch seine grandiosen
und doch angenehmen Umrisse verleiht es derselben ihren ganzen
Glanz. Man nehme sie heraus und die Landschaft will nichts mehr
sagen. Und Du hast nun gerade die schönen Linien dieses Gebirges
vernachlässigt, ohne zu bedenken, daß das Uebrige für die Bleistift¬
zeichnung keine Wichtigkeit hat. Indem Du so den einzigen Gegen-


die Leinewand zu werfen, um, was er empfunden, auch in der Seele
des Beschauers hervorzurufen?

Am andern Morgen wollte ich, als wir an unsrem Fenster
Kaffee tranken, in mein Album eine Erinnerung an diese schöne
Landschaft eintragen. Kaum hatte ich den Bleistift zur Hand ge¬
nommen, als alle meine Gefährten sich beeilten, meinem Beispiele
zu folgen. In einem Augenblick saßen wir nun alle vier da, zeich¬
nend, croquirend, skizzirend, als hätte auf ein Mal ein Kunsthändler
eine ganze Sammlung Rheinansichten bei uns bestellt.

Während dessen fiel es Herrmann ein, sich folgendermaßen
zu äußern:

„Der Gegenstand, der uns augenblicklich beschäftigt, ist interes¬
santer durch den schonen Farbenton, der darin herrscht, als in Be¬
zug auf Zeichnung; kaum habe ich ihn mit einigen Strichen auf
mein Album geworfen, so verliert er schon seinen Neiz: und doch hat
diese Ansicht einen eigenthümlichen Neiz, so daß man wider Willen
sich bewogen fühlt, nach Papier und Bleistift zu greifen."

Darauf entgegnete ich ihm Folgendes:

„Unmöglich kann ich wohl annehmen, lieber Freund, daß Du
nur zeichnest, weil ich es thue. Denn das wäre gerade so dumm,
als wolltest Du mir in Allem folgen, wie mein Schatten. Man
mag wohl gut thun, den Rath eines Andern anzuhö¬
ren, aber man höre stets auch auf sein eigenes Gefühl.
Hättest Du übrigens Deine Umrisse und Deine Linien getreu der
Natur nachgezeichnet, so würde Dir Deine Skizze besser gefallen.
Denn wenn Du nicht zum Bleistift gegriffen hast, eben nur um
meinem Beispiele zu folgen, so muß sich nothwendig in der Land¬
schaft, die ihre Herrlichkeiten vor uns ausbreitet, ein oder der andre
Gegenstand finden, der in Dir den Wunsch rege machte, ein Andenken
davon in Deinem Album zu haben. Denn Alles, was wir hier
sehen, ist natürlich: aber nicht Alles ist schön. Das Siebengebirge
bildet den Hauptgegenstand dieser Landschaft: durch seine grandiosen
und doch angenehmen Umrisse verleiht es derselben ihren ganzen
Glanz. Man nehme sie heraus und die Landschaft will nichts mehr
sagen. Und Du hast nun gerade die schönen Linien dieses Gebirges
vernachlässigt, ohne zu bedenken, daß das Uebrige für die Bleistift¬
zeichnung keine Wichtigkeit hat. Indem Du so den einzigen Gegen-


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[0374] die Leinewand zu werfen, um, was er empfunden, auch in der Seele des Beschauers hervorzurufen? Am andern Morgen wollte ich, als wir an unsrem Fenster Kaffee tranken, in mein Album eine Erinnerung an diese schöne Landschaft eintragen. Kaum hatte ich den Bleistift zur Hand ge¬ nommen, als alle meine Gefährten sich beeilten, meinem Beispiele zu folgen. In einem Augenblick saßen wir nun alle vier da, zeich¬ nend, croquirend, skizzirend, als hätte auf ein Mal ein Kunsthändler eine ganze Sammlung Rheinansichten bei uns bestellt. Während dessen fiel es Herrmann ein, sich folgendermaßen zu äußern: „Der Gegenstand, der uns augenblicklich beschäftigt, ist interes¬ santer durch den schonen Farbenton, der darin herrscht, als in Be¬ zug auf Zeichnung; kaum habe ich ihn mit einigen Strichen auf mein Album geworfen, so verliert er schon seinen Neiz: und doch hat diese Ansicht einen eigenthümlichen Neiz, so daß man wider Willen sich bewogen fühlt, nach Papier und Bleistift zu greifen." Darauf entgegnete ich ihm Folgendes: „Unmöglich kann ich wohl annehmen, lieber Freund, daß Du nur zeichnest, weil ich es thue. Denn das wäre gerade so dumm, als wolltest Du mir in Allem folgen, wie mein Schatten. Man mag wohl gut thun, den Rath eines Andern anzuhö¬ ren, aber man höre stets auch auf sein eigenes Gefühl. Hättest Du übrigens Deine Umrisse und Deine Linien getreu der Natur nachgezeichnet, so würde Dir Deine Skizze besser gefallen. Denn wenn Du nicht zum Bleistift gegriffen hast, eben nur um meinem Beispiele zu folgen, so muß sich nothwendig in der Land¬ schaft, die ihre Herrlichkeiten vor uns ausbreitet, ein oder der andre Gegenstand finden, der in Dir den Wunsch rege machte, ein Andenken davon in Deinem Album zu haben. Denn Alles, was wir hier sehen, ist natürlich: aber nicht Alles ist schön. Das Siebengebirge bildet den Hauptgegenstand dieser Landschaft: durch seine grandiosen und doch angenehmen Umrisse verleiht es derselben ihren ganzen Glanz. Man nehme sie heraus und die Landschaft will nichts mehr sagen. Und Du hast nun gerade die schönen Linien dieses Gebirges vernachlässigt, ohne zu bedenken, daß das Uebrige für die Bleistift¬ zeichnung keine Wichtigkeit hat. Indem Du so den einzigen Gegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/374>, abgerufen am 23.07.2024.