Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.Die deutschen Schriftsteller und die Gesellschaft I. -- Sonst und Jetzt -- Es gab eine Zeit, wo der Autor, wenn er keinen sonstigen Die deutschen Schriftsteller und die Gesellschaft I. — Sonst und Jetzt — Es gab eine Zeit, wo der Autor, wenn er keinen sonstigen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0036" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266653"/> </div> <div n="1"> <head> Die deutschen Schriftsteller und die Gesellschaft</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> I.<lb/> — Sonst und Jetzt —</head><lb/> <p xml:id="ID_67" next="#ID_68"> Es gab eine Zeit, wo der Autor, wenn er keinen sonstigen<lb/> Rang und Titel besaß, in der Gesellschaft kein Ansehen hatte. Die<lb/> kühnsten und edelsten Geister dieser Art waren gewissermaßen vogel¬<lb/> frei. Der große Haufe hielt die Verschiedenheit der Stände nicht<lb/> für eine historische, sondern naturhistorische Frucht, für eine vom lie¬<lb/> ben Herrgott selbst am sechsten Tage eingesetzte Ordnung; als Gott<lb/> die großen und die kleinen Lichter am Himmel schuf, ließ er auch<lb/> die Könige und Fürsten, die Bischöfe und Bürgermeister, dann die<lb/> Schneidermeister, Schuster und die übrigen löblichen Zünfte und Ho¬<lb/> noratioren wachsen. In welches Fach sollte man den Schriftsteller<lb/> stecken? ES blieb ihm nichts übrig, als auf Schiller's Rath mit<lb/> Gott in seinem Himmel zu wohnen. Dem ordentlichen Bürger war<lb/> er ein überzähliges Geschöpf, der lustige Hofnarr der Welt. Er<lb/> stand aber nicht unter, sondern außer der Gesellschaft und über<lb/> ihr; er war Bettler und König zugleich. Denn nicht nur die Spie߬<lb/> bürgerlichkeit der Stände, sondern auch sein Stolz machte ihn zum<lb/> Fremdling in den Kreisen deö geselligen Lebens. Zu solcher Lauf¬<lb/> bahn gehörte ein heroischer Muth, ein starker Geist, deshalb gab eS<lb/> unter den Schrifthelden des vorigen Jahrhunderts, wie einst unter<lb/> den italienischen und spanischen Malern, so viel reckenhafte, eigen¬<lb/> willige, wildfrete Charaktere: Heinse, Lesstng, Lenz, Seume, OelSner,<lb/> Schubart u. A. Wer fühlte nicht einen Ehrfurchtsschauer, wenn er<lb/> den Ausdruck gebietender Freiheit im Antlitz dieser Literaten steht,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0036]
Die deutschen Schriftsteller und die Gesellschaft
I.
— Sonst und Jetzt —
Es gab eine Zeit, wo der Autor, wenn er keinen sonstigen
Rang und Titel besaß, in der Gesellschaft kein Ansehen hatte. Die
kühnsten und edelsten Geister dieser Art waren gewissermaßen vogel¬
frei. Der große Haufe hielt die Verschiedenheit der Stände nicht
für eine historische, sondern naturhistorische Frucht, für eine vom lie¬
ben Herrgott selbst am sechsten Tage eingesetzte Ordnung; als Gott
die großen und die kleinen Lichter am Himmel schuf, ließ er auch
die Könige und Fürsten, die Bischöfe und Bürgermeister, dann die
Schneidermeister, Schuster und die übrigen löblichen Zünfte und Ho¬
noratioren wachsen. In welches Fach sollte man den Schriftsteller
stecken? ES blieb ihm nichts übrig, als auf Schiller's Rath mit
Gott in seinem Himmel zu wohnen. Dem ordentlichen Bürger war
er ein überzähliges Geschöpf, der lustige Hofnarr der Welt. Er
stand aber nicht unter, sondern außer der Gesellschaft und über
ihr; er war Bettler und König zugleich. Denn nicht nur die Spie߬
bürgerlichkeit der Stände, sondern auch sein Stolz machte ihn zum
Fremdling in den Kreisen deö geselligen Lebens. Zu solcher Lauf¬
bahn gehörte ein heroischer Muth, ein starker Geist, deshalb gab eS
unter den Schrifthelden des vorigen Jahrhunderts, wie einst unter
den italienischen und spanischen Malern, so viel reckenhafte, eigen¬
willige, wildfrete Charaktere: Heinse, Lesstng, Lenz, Seume, OelSner,
Schubart u. A. Wer fühlte nicht einen Ehrfurchtsschauer, wenn er
den Ausdruck gebietender Freiheit im Antlitz dieser Literaten steht,
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