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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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ionische Sonne, der heilende Balsam akademischer Gärten und der
warme Schatten attischer Oelhaine. Drum hat er auch frühe die
schroffe, herbe, götterlose Welt verlassen, in deren Barbarei er nichts
Theures und Vorerhebenswerthes fand, als den Nachklang jener
einzig unübertroffner, ewig musterhaften Zeiten, in denen Musen
und Grazien noch leibhaft mit den Sterblichen verkehrten. Dissen's
Unterhaltung konnte dem Ankömmling, der seinen freien, begeisterten,
stillen Sinn nicht kannte, manchmal launenhaft, tonlos, schnöde ab¬
stoßend vorkommen; mancher hat wohl gemerkt, daß er sich ungern
aus seiner heimischen Welt, von Buch und Manuscript losriß, um sich
mit einem Besuchenden einzulassen, von dem er ja voraussetzen durfte,
daß derselbe noch eine sehr corrupte Ausgabe eines durch und durch
unclassischen Autors war. Im Grunde seiner Seele aber war
Dissen ein wahrhaft humaner Mann, der das Alterthum wie ein
köstliches, alle Glieder durchwärmendes Getränke in sich eingenom¬
men hatte, der in seinem Geiste das Bild griechischer Schönheit und
Klarheit trug, wie eine himmlische Geliebte, deren Cultus er jeden
Tag seines Lebens weihete. Fand er bei einem Schüler einen offe¬
nen Kopf, eine Freude an seinen Lieblingen, den Alten, so ward er
der beredteste, mittheilsamste, eindringlichste Lehrer und Rather. Sein
Gespräch gewann alsdann einen leichten, heitern Fluß, Gesicht und
Hände arbeiteten ohne Mühe die Gedanken hervor, die im Stillen
lange gereift, sich ihm schnell und in Fülle darboten. Ganz anders
konnte er in seinen Vorträgen ex vMciu sein. Durch unbarmherzige
ErPositionen, durch endlose Wiederholungen und Mühsam zusammen¬
gedrehte Phrasen, was man auf studentisch "Kohl" nennt, ärgerte
und brachte er die Zuhörer zu Seufzern und zur Verzweiflung. Sofort
aber flößte er durch klare, edle Auffassung des Geistes und der
Kunstform Neigung, Lust und Bewunderung für die Sache ein,
eine Bewunderung, die auf Verständniß und Gründen beruhte.
Sein College or. Müller, den der philologische Eifer bis in die
tödtende Sonne von Delphi getrieben hat, eroberte den Zuhörer
von vorn herein durch wohlgesetzre, blühende Rede, durch die Naschheit
seiner Ideen, den Ueberfluß seiner Anschauungen und Hypothesen;
er weckte und schüttelte mit den ersten Worten auf, und diese Wir¬
kung, der es nur zu oft an endlicher Befriedigung gebrach, setzte
sich bis zu Ende seiner Rede fort. Dissen kam auf dem entgegen"


ionische Sonne, der heilende Balsam akademischer Gärten und der
warme Schatten attischer Oelhaine. Drum hat er auch frühe die
schroffe, herbe, götterlose Welt verlassen, in deren Barbarei er nichts
Theures und Vorerhebenswerthes fand, als den Nachklang jener
einzig unübertroffner, ewig musterhaften Zeiten, in denen Musen
und Grazien noch leibhaft mit den Sterblichen verkehrten. Dissen's
Unterhaltung konnte dem Ankömmling, der seinen freien, begeisterten,
stillen Sinn nicht kannte, manchmal launenhaft, tonlos, schnöde ab¬
stoßend vorkommen; mancher hat wohl gemerkt, daß er sich ungern
aus seiner heimischen Welt, von Buch und Manuscript losriß, um sich
mit einem Besuchenden einzulassen, von dem er ja voraussetzen durfte,
daß derselbe noch eine sehr corrupte Ausgabe eines durch und durch
unclassischen Autors war. Im Grunde seiner Seele aber war
Dissen ein wahrhaft humaner Mann, der das Alterthum wie ein
köstliches, alle Glieder durchwärmendes Getränke in sich eingenom¬
men hatte, der in seinem Geiste das Bild griechischer Schönheit und
Klarheit trug, wie eine himmlische Geliebte, deren Cultus er jeden
Tag seines Lebens weihete. Fand er bei einem Schüler einen offe¬
nen Kopf, eine Freude an seinen Lieblingen, den Alten, so ward er
der beredteste, mittheilsamste, eindringlichste Lehrer und Rather. Sein
Gespräch gewann alsdann einen leichten, heitern Fluß, Gesicht und
Hände arbeiteten ohne Mühe die Gedanken hervor, die im Stillen
lange gereift, sich ihm schnell und in Fülle darboten. Ganz anders
konnte er in seinen Vorträgen ex vMciu sein. Durch unbarmherzige
ErPositionen, durch endlose Wiederholungen und Mühsam zusammen¬
gedrehte Phrasen, was man auf studentisch „Kohl" nennt, ärgerte
und brachte er die Zuhörer zu Seufzern und zur Verzweiflung. Sofort
aber flößte er durch klare, edle Auffassung des Geistes und der
Kunstform Neigung, Lust und Bewunderung für die Sache ein,
eine Bewunderung, die auf Verständniß und Gründen beruhte.
Sein College or. Müller, den der philologische Eifer bis in die
tödtende Sonne von Delphi getrieben hat, eroberte den Zuhörer
von vorn herein durch wohlgesetzre, blühende Rede, durch die Naschheit
seiner Ideen, den Ueberfluß seiner Anschauungen und Hypothesen;
er weckte und schüttelte mit den ersten Worten auf, und diese Wir¬
kung, der es nur zu oft an endlicher Befriedigung gebrach, setzte
sich bis zu Ende seiner Rede fort. Dissen kam auf dem entgegen«


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[0350] ionische Sonne, der heilende Balsam akademischer Gärten und der warme Schatten attischer Oelhaine. Drum hat er auch frühe die schroffe, herbe, götterlose Welt verlassen, in deren Barbarei er nichts Theures und Vorerhebenswerthes fand, als den Nachklang jener einzig unübertroffner, ewig musterhaften Zeiten, in denen Musen und Grazien noch leibhaft mit den Sterblichen verkehrten. Dissen's Unterhaltung konnte dem Ankömmling, der seinen freien, begeisterten, stillen Sinn nicht kannte, manchmal launenhaft, tonlos, schnöde ab¬ stoßend vorkommen; mancher hat wohl gemerkt, daß er sich ungern aus seiner heimischen Welt, von Buch und Manuscript losriß, um sich mit einem Besuchenden einzulassen, von dem er ja voraussetzen durfte, daß derselbe noch eine sehr corrupte Ausgabe eines durch und durch unclassischen Autors war. Im Grunde seiner Seele aber war Dissen ein wahrhaft humaner Mann, der das Alterthum wie ein köstliches, alle Glieder durchwärmendes Getränke in sich eingenom¬ men hatte, der in seinem Geiste das Bild griechischer Schönheit und Klarheit trug, wie eine himmlische Geliebte, deren Cultus er jeden Tag seines Lebens weihete. Fand er bei einem Schüler einen offe¬ nen Kopf, eine Freude an seinen Lieblingen, den Alten, so ward er der beredteste, mittheilsamste, eindringlichste Lehrer und Rather. Sein Gespräch gewann alsdann einen leichten, heitern Fluß, Gesicht und Hände arbeiteten ohne Mühe die Gedanken hervor, die im Stillen lange gereift, sich ihm schnell und in Fülle darboten. Ganz anders konnte er in seinen Vorträgen ex vMciu sein. Durch unbarmherzige ErPositionen, durch endlose Wiederholungen und Mühsam zusammen¬ gedrehte Phrasen, was man auf studentisch „Kohl" nennt, ärgerte und brachte er die Zuhörer zu Seufzern und zur Verzweiflung. Sofort aber flößte er durch klare, edle Auffassung des Geistes und der Kunstform Neigung, Lust und Bewunderung für die Sache ein, eine Bewunderung, die auf Verständniß und Gründen beruhte. Sein College or. Müller, den der philologische Eifer bis in die tödtende Sonne von Delphi getrieben hat, eroberte den Zuhörer von vorn herein durch wohlgesetzre, blühende Rede, durch die Naschheit seiner Ideen, den Ueberfluß seiner Anschauungen und Hypothesen; er weckte und schüttelte mit den ersten Worten auf, und diese Wir¬ kung, der es nur zu oft an endlicher Befriedigung gebrach, setzte sich bis zu Ende seiner Rede fort. Dissen kam auf dem entgegen«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/350>, abgerufen am 26.08.2024.