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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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wußte. Schulze war eine langarmige, grünrockige Figm, mit weißem
Kopf, von einem hausbackenen, anekdotengespickten Vortrage, der
aber nicht gar selten die Batterien einer mörderischen Polemik er-
donnem ließ. Seine Todfeinde waren die "Herren Hegel und
Schelling;" er widerlegte sie nicht allein mit dem Munde, sondern
zugleich mit Armen und Beinen, er packte wie ein Prediger auch
den gefühllosen Pult, schüttelte sich auf seinem Orakelstuhl, warf
den Kopf platt auf das Heft, das vor ihm lag, kurz er electrisirte
seine Zuhörer mit Gewalt; ich will nicht sagen, daß er sie magneti-
sirte: einer solchen Blasphemie würde er noch aus dem Grabe her¬
aus widersprechen; alle Magnetkraft, -- außer der eisensteinernen,
diesen, fast logischen Mechanismus, welcher das Eisen auf eine so
begreifliche, natürliche Weise an sich lockt, --war ihmMarltschreierci;
jeder seelische Magnetismus, das Hellsehen, das Singen in der
Gurgel, das Brieflesen mit der Magengegend, das Hereinragen
einer Geisterwelt, diese gräuliche Wunderdoktorei, Hegel und Spinoza,
das war ihm der tiefste, ungeheuerlichste Abgrund der Seelenkranl-
hetten; gegen diese Gespenster verführte er ein unausgesetztes Treib-
jagen, wie ein hannoverscher Landjunker auf die Einwohner des
Sollings und des DeisterS.

Vielleicht, mit aller gebührenden Pietät sei dies gesagt, viel¬
leicht hat nie ein zierlicherer, sparsamer constitutrter Hofrath gelebt
und docirt, als Dissen, der trockenste zugleich und enthusiastischste
Philologe, vom feinsten attischen Geschmack, den Göttingen seit lange
besessen hat. Kürzer zwar -- um bei dem Nächsten stehen zu
bleiben -- kürzer an Leibeslänge als Jener, war ein sogenannter
Hofrath an der Bibliothek, Dornissen, eine phvnizisch-ägyptische Ge¬
lehrsamkeit; nur ist das hieroglyphische Problem nie ganz ans Licht
gekommen, ob Derselbe ein Hofrath gewesen; wir wissen nur soviel,
daß die Studirenden ihn mit letzterem Ehrentitel anzugehn Pflegten,
um, wie nun einmal der Glaube herrschte, zu bewirken, daß das
begehrte Buch auf der Königliche" Bücherei gerade vorräthig sei.
-- Bei dem trefflichen Dissen hatte die Natur den Mißgriff gemacht,
daß sie ihn unter die eisige, hyperboreische, grubenhagensche Sonnen¬
scheibe versetzt hatte. Reinste auch sein Körper über die Höhe eines
guten Folianten hinaus, so stand er doch an Peripherie den bestge¬
nährten darunter nach. Dieser verkümmerten Pflanze fehlte die


wußte. Schulze war eine langarmige, grünrockige Figm, mit weißem
Kopf, von einem hausbackenen, anekdotengespickten Vortrage, der
aber nicht gar selten die Batterien einer mörderischen Polemik er-
donnem ließ. Seine Todfeinde waren die „Herren Hegel und
Schelling;" er widerlegte sie nicht allein mit dem Munde, sondern
zugleich mit Armen und Beinen, er packte wie ein Prediger auch
den gefühllosen Pult, schüttelte sich auf seinem Orakelstuhl, warf
den Kopf platt auf das Heft, das vor ihm lag, kurz er electrisirte
seine Zuhörer mit Gewalt; ich will nicht sagen, daß er sie magneti-
sirte: einer solchen Blasphemie würde er noch aus dem Grabe her¬
aus widersprechen; alle Magnetkraft, — außer der eisensteinernen,
diesen, fast logischen Mechanismus, welcher das Eisen auf eine so
begreifliche, natürliche Weise an sich lockt, —war ihmMarltschreierci;
jeder seelische Magnetismus, das Hellsehen, das Singen in der
Gurgel, das Brieflesen mit der Magengegend, das Hereinragen
einer Geisterwelt, diese gräuliche Wunderdoktorei, Hegel und Spinoza,
das war ihm der tiefste, ungeheuerlichste Abgrund der Seelenkranl-
hetten; gegen diese Gespenster verführte er ein unausgesetztes Treib-
jagen, wie ein hannoverscher Landjunker auf die Einwohner des
Sollings und des DeisterS.

Vielleicht, mit aller gebührenden Pietät sei dies gesagt, viel¬
leicht hat nie ein zierlicherer, sparsamer constitutrter Hofrath gelebt
und docirt, als Dissen, der trockenste zugleich und enthusiastischste
Philologe, vom feinsten attischen Geschmack, den Göttingen seit lange
besessen hat. Kürzer zwar — um bei dem Nächsten stehen zu
bleiben — kürzer an Leibeslänge als Jener, war ein sogenannter
Hofrath an der Bibliothek, Dornissen, eine phvnizisch-ägyptische Ge¬
lehrsamkeit; nur ist das hieroglyphische Problem nie ganz ans Licht
gekommen, ob Derselbe ein Hofrath gewesen; wir wissen nur soviel,
daß die Studirenden ihn mit letzterem Ehrentitel anzugehn Pflegten,
um, wie nun einmal der Glaube herrschte, zu bewirken, daß das
begehrte Buch auf der Königliche» Bücherei gerade vorräthig sei.
— Bei dem trefflichen Dissen hatte die Natur den Mißgriff gemacht,
daß sie ihn unter die eisige, hyperboreische, grubenhagensche Sonnen¬
scheibe versetzt hatte. Reinste auch sein Körper über die Höhe eines
guten Folianten hinaus, so stand er doch an Peripherie den bestge¬
nährten darunter nach. Dieser verkümmerten Pflanze fehlte die


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[0349] wußte. Schulze war eine langarmige, grünrockige Figm, mit weißem Kopf, von einem hausbackenen, anekdotengespickten Vortrage, der aber nicht gar selten die Batterien einer mörderischen Polemik er- donnem ließ. Seine Todfeinde waren die „Herren Hegel und Schelling;" er widerlegte sie nicht allein mit dem Munde, sondern zugleich mit Armen und Beinen, er packte wie ein Prediger auch den gefühllosen Pult, schüttelte sich auf seinem Orakelstuhl, warf den Kopf platt auf das Heft, das vor ihm lag, kurz er electrisirte seine Zuhörer mit Gewalt; ich will nicht sagen, daß er sie magneti- sirte: einer solchen Blasphemie würde er noch aus dem Grabe her¬ aus widersprechen; alle Magnetkraft, — außer der eisensteinernen, diesen, fast logischen Mechanismus, welcher das Eisen auf eine so begreifliche, natürliche Weise an sich lockt, —war ihmMarltschreierci; jeder seelische Magnetismus, das Hellsehen, das Singen in der Gurgel, das Brieflesen mit der Magengegend, das Hereinragen einer Geisterwelt, diese gräuliche Wunderdoktorei, Hegel und Spinoza, das war ihm der tiefste, ungeheuerlichste Abgrund der Seelenkranl- hetten; gegen diese Gespenster verführte er ein unausgesetztes Treib- jagen, wie ein hannoverscher Landjunker auf die Einwohner des Sollings und des DeisterS. Vielleicht, mit aller gebührenden Pietät sei dies gesagt, viel¬ leicht hat nie ein zierlicherer, sparsamer constitutrter Hofrath gelebt und docirt, als Dissen, der trockenste zugleich und enthusiastischste Philologe, vom feinsten attischen Geschmack, den Göttingen seit lange besessen hat. Kürzer zwar — um bei dem Nächsten stehen zu bleiben — kürzer an Leibeslänge als Jener, war ein sogenannter Hofrath an der Bibliothek, Dornissen, eine phvnizisch-ägyptische Ge¬ lehrsamkeit; nur ist das hieroglyphische Problem nie ganz ans Licht gekommen, ob Derselbe ein Hofrath gewesen; wir wissen nur soviel, daß die Studirenden ihn mit letzterem Ehrentitel anzugehn Pflegten, um, wie nun einmal der Glaube herrschte, zu bewirken, daß das begehrte Buch auf der Königliche» Bücherei gerade vorräthig sei. — Bei dem trefflichen Dissen hatte die Natur den Mißgriff gemacht, daß sie ihn unter die eisige, hyperboreische, grubenhagensche Sonnen¬ scheibe versetzt hatte. Reinste auch sein Körper über die Höhe eines guten Folianten hinaus, so stand er doch an Peripherie den bestge¬ nährten darunter nach. Dieser verkümmerten Pflanze fehlte die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/349>, abgerufen am 26.08.2024.