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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Arbeit, von keinen Sorgen verdüstert, in leichtbeflügelten Wechsel
dahinrauschend.

Kaum angelangt in dem neuen Wohnsitze, suchte ich Gelegen¬
heit, manche von den Lichtern am damaligen Göttinger Firmament
kennen zu lernen. Ich hatte mir vorgenommen, ein oder ein Paar
Halbjahr den allgemeinem Bildungsfächern zu widmen. Denn das
Studiren im engern Sinne, oder das "Ochsen," betrifft einzig die
Wissenschaften, welche ein Staatseraminandus testirt haben muß,
womit nicht gesagt ist, daß er sie gehört, am allerwenigsten, daß er
sie ergründet habe. Von meinem Brotstudium, der Jurisprudenz, habe
ich nicht viel angenehme Reminiscenzen; diese Wissenschaft ist an und
für sich selbst zu grau, um helle Reflere zu geben; sie wird erst
blinkend in ihren Erfolgen.

So kam ich eines Mittags zu Bouterweck, dem berühmten Lite¬
raturhistoriker, dem Apodiktiker, Metaphystker, Aesthetiker, dem geist¬
reichen Hofrath, der sogar eine Art Dichter vorgestellt hatte, und
dem man nachsagte, er habe seinen angebornen Harzer Namen But¬
terweck (zu niederdeutsch Buttersemmel) in den, freilich nachdenklicher
lautenden: Bouterweck, umgeändert. Um diesen Namen schimmert
noch jetzt ein romantischer Abglanz. Daß Er es ist, der den Deut-
schen ihren Jean Paul gegeben, der ihn als "Dichter" verständlich
gemacht, hat die Nation, wenn sie es gewußt, bereits wieder ver¬
gessen. Auch ist kein Gewicht daraus zu legen, daß er in der Ge¬
schichte der Dichtkunst, während er den Grasen Donamar perhorres-
cirte, doch nicht umhin konnte, sich selber als Liederdichter zu erwähnen
und in die Hefte hineinzudictiren. Mehr als Alles dies machte ihn
bei Jünglingen und Damen die Patronschaft, mit der er E. Schulzen
gehegt hatte, populär. Jeder Mann von Gefühl kennt das Grab dieses
Sängers der Rose und Cäciliens, diesen Wallfahrtsort der Göttinger
Musenjugend, welche an Liebe und an Harfe und Leier leidet.
Bouterweck machte bei mir den Eindruck geschickt conservirter und
zu Tage gestellter Jugendlichkeit. Das künstliche Haar, das sich
nächtlich über eine gern niedergebeugte Stirn erhob, das unstäte,
in verhaltnen Feuer leuchtende Auge, die schnelle, kurz abgeschnittne,
bewußt markirte Rede, ließ mich in ihm nicht den bejahrten Mann
vermuthen, den ich wenige Monate nach meiner Ankunft zu seiner
letzten Ruhestätte, wenn es nicht die erste war, begleiten sollte.


Arbeit, von keinen Sorgen verdüstert, in leichtbeflügelten Wechsel
dahinrauschend.

Kaum angelangt in dem neuen Wohnsitze, suchte ich Gelegen¬
heit, manche von den Lichtern am damaligen Göttinger Firmament
kennen zu lernen. Ich hatte mir vorgenommen, ein oder ein Paar
Halbjahr den allgemeinem Bildungsfächern zu widmen. Denn das
Studiren im engern Sinne, oder das „Ochsen," betrifft einzig die
Wissenschaften, welche ein Staatseraminandus testirt haben muß,
womit nicht gesagt ist, daß er sie gehört, am allerwenigsten, daß er
sie ergründet habe. Von meinem Brotstudium, der Jurisprudenz, habe
ich nicht viel angenehme Reminiscenzen; diese Wissenschaft ist an und
für sich selbst zu grau, um helle Reflere zu geben; sie wird erst
blinkend in ihren Erfolgen.

So kam ich eines Mittags zu Bouterweck, dem berühmten Lite¬
raturhistoriker, dem Apodiktiker, Metaphystker, Aesthetiker, dem geist¬
reichen Hofrath, der sogar eine Art Dichter vorgestellt hatte, und
dem man nachsagte, er habe seinen angebornen Harzer Namen But¬
terweck (zu niederdeutsch Buttersemmel) in den, freilich nachdenklicher
lautenden: Bouterweck, umgeändert. Um diesen Namen schimmert
noch jetzt ein romantischer Abglanz. Daß Er es ist, der den Deut-
schen ihren Jean Paul gegeben, der ihn als „Dichter" verständlich
gemacht, hat die Nation, wenn sie es gewußt, bereits wieder ver¬
gessen. Auch ist kein Gewicht daraus zu legen, daß er in der Ge¬
schichte der Dichtkunst, während er den Grasen Donamar perhorres-
cirte, doch nicht umhin konnte, sich selber als Liederdichter zu erwähnen
und in die Hefte hineinzudictiren. Mehr als Alles dies machte ihn
bei Jünglingen und Damen die Patronschaft, mit der er E. Schulzen
gehegt hatte, populär. Jeder Mann von Gefühl kennt das Grab dieses
Sängers der Rose und Cäciliens, diesen Wallfahrtsort der Göttinger
Musenjugend, welche an Liebe und an Harfe und Leier leidet.
Bouterweck machte bei mir den Eindruck geschickt conservirter und
zu Tage gestellter Jugendlichkeit. Das künstliche Haar, das sich
nächtlich über eine gern niedergebeugte Stirn erhob, das unstäte,
in verhaltnen Feuer leuchtende Auge, die schnelle, kurz abgeschnittne,
bewußt markirte Rede, ließ mich in ihm nicht den bejahrten Mann
vermuthen, den ich wenige Monate nach meiner Ankunft zu seiner
letzten Ruhestätte, wenn es nicht die erste war, begleiten sollte.


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[0347] Arbeit, von keinen Sorgen verdüstert, in leichtbeflügelten Wechsel dahinrauschend. Kaum angelangt in dem neuen Wohnsitze, suchte ich Gelegen¬ heit, manche von den Lichtern am damaligen Göttinger Firmament kennen zu lernen. Ich hatte mir vorgenommen, ein oder ein Paar Halbjahr den allgemeinem Bildungsfächern zu widmen. Denn das Studiren im engern Sinne, oder das „Ochsen," betrifft einzig die Wissenschaften, welche ein Staatseraminandus testirt haben muß, womit nicht gesagt ist, daß er sie gehört, am allerwenigsten, daß er sie ergründet habe. Von meinem Brotstudium, der Jurisprudenz, habe ich nicht viel angenehme Reminiscenzen; diese Wissenschaft ist an und für sich selbst zu grau, um helle Reflere zu geben; sie wird erst blinkend in ihren Erfolgen. So kam ich eines Mittags zu Bouterweck, dem berühmten Lite¬ raturhistoriker, dem Apodiktiker, Metaphystker, Aesthetiker, dem geist¬ reichen Hofrath, der sogar eine Art Dichter vorgestellt hatte, und dem man nachsagte, er habe seinen angebornen Harzer Namen But¬ terweck (zu niederdeutsch Buttersemmel) in den, freilich nachdenklicher lautenden: Bouterweck, umgeändert. Um diesen Namen schimmert noch jetzt ein romantischer Abglanz. Daß Er es ist, der den Deut- schen ihren Jean Paul gegeben, der ihn als „Dichter" verständlich gemacht, hat die Nation, wenn sie es gewußt, bereits wieder ver¬ gessen. Auch ist kein Gewicht daraus zu legen, daß er in der Ge¬ schichte der Dichtkunst, während er den Grasen Donamar perhorres- cirte, doch nicht umhin konnte, sich selber als Liederdichter zu erwähnen und in die Hefte hineinzudictiren. Mehr als Alles dies machte ihn bei Jünglingen und Damen die Patronschaft, mit der er E. Schulzen gehegt hatte, populär. Jeder Mann von Gefühl kennt das Grab dieses Sängers der Rose und Cäciliens, diesen Wallfahrtsort der Göttinger Musenjugend, welche an Liebe und an Harfe und Leier leidet. Bouterweck machte bei mir den Eindruck geschickt conservirter und zu Tage gestellter Jugendlichkeit. Das künstliche Haar, das sich nächtlich über eine gern niedergebeugte Stirn erhob, das unstäte, in verhaltnen Feuer leuchtende Auge, die schnelle, kurz abgeschnittne, bewußt markirte Rede, ließ mich in ihm nicht den bejahrten Mann vermuthen, den ich wenige Monate nach meiner Ankunft zu seiner letzten Ruhestätte, wenn es nicht die erste war, begleiten sollte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/347>, abgerufen am 23.07.2024.